Blutendes Silber. Peter Raupach
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Die Landschaft glitt sanft dahin. Er hatte nun endlich Zeit, über das Erlebte nachzudenken. Schwarzerlen glitten am Ufer lautlos vorbei. Nur selten streiften deren tiefhängende Äste noch vereinzelte Eisschollen. Vorbei zogen fast schneeweiße Uferbänke mit feinem Flusssand, auf denen schwarze alte Holzstücke lagen. Der Frost hatte sich schon vor Tagen zurückgezogen. Nasser, schwerer Schnee lag hier und da noch an sonnenabgewandten Seiten des Flussufers. Plötzlich ging es dem Schiffer schlecht. Es geschah beim Wortwechsel mit seinem Sohn über den günstigsten Winkel, um das Schiff an einer Sandbank vorbei zu manövrieren. Zuerst griff er sich mit beiden Händen an den Kopf. Die Manövrierstange rutschte über das Deck. Sein Sohn, ein kräftiger etwa 16 Jahre junger Bursche, sprang vor Schreck auf und rannte zu seinem Vater. Dieser sackte in einer Art Krampf auf die Knie und kippte dann langsam nach vorn. Fast gleichzeitig bewegte sich das Schiff gefährlich nach steuerbord in Richtung Ufer. Nun blieb der Bursche unschlüssig stehen, große Tränen standen ihm in den Augen. Er war völlig überfordert und wusste nicht was er tun sollte. Entweder, er half seinem Vater oder er nahm die Manövrierstange. Heinrich lief, so schnell es auf dem glatten Deck eben ging, zum Schiffer. Er nahm ihn in die Arme und legte dessen Kopf dabei auf sein Knie. Dann öffnete er dessen Hemd, um den Hals frei zu machen. Der Schiffer atmete stoßweise und Heinrich spürte das Fieber auf seinem Knie. Als der Bursche sah, dass Heinrich sich um seinen Vater kümmerte, reagierte er dann doch ziemlich vernünftig. Er nahm schnell die Manövrierstange und mit wenigen ruhigen Bewegungen brachte er das Schiff wieder auf Kurs. Heinrich sprach beruhigend auf den Schweratmenden ein. Der neigte den Kopf leicht zur Seite, was ihm offensichtlich schwer fiel. Er fieberte stark und flüsterte die Worte: „Mein geliebter Fluss komm, komm, kühle mich.“ Dann, plötzlich, wurde Heinrich etwas bewusst. Er hatte sie bisher nicht bemerkt, weil er so etwas noch nie gesehen hatte. Aber nun sah er sie deutlich, diese Flecken. Da waren sie, blauschwarze Flecken in der Halsbeuge. Oh mein Gott, dachte Heinrich, das durfte einfach nicht sein, die Pest! Im selben Moment fing er an zu zittern, er fror, seine Zähne klapperten aufeinander. Es war die Pest, es war die Angst. Mit nasskalter klebriger Zunge leckte sie auf seiner Stirn, dann unter den Achseln. Sein Hemd klebte an der Brust. Heinrich versuchte, sich zu konzentrieren, es klappte nicht, die Angst wurde größer. Seine Beine fingen an zu schütteln. Der Kopf des Schiffers schlug dadurch hin und her. Heinrich hielt den Kopf fester. Vielmehr hielt er sich an dem Kopf des Schiffers fest. Er versuchte zu beten, doch nichts fiel ihm ein. War der Teufel hier? Dann legten sich kalte nasse Hände langsam um seinen Hals. Schlagartig versteifte sich sein Körper. Er war wie gelähmt. Er versuchte zu schlucken, bis es im Hals schmerzte. Dann schmeckte er bitteren Speichel, er schluckte und schluckte und spürte seine Zunge, die sich wie ein Fremdkörper in seinem Mund bewegte. Heinrich glaubte zu spüren, wie sich die Fingerknochen der fremden Hand fast elegant leicht anspannten. Heinrich würgte sofort. Sein Puls raste und übergangslos spürte er ein hartes Klopfen im Kopf. Jedem Schlag folgte ein stechender Schmerz im Hinterkopf. Immer noch hielt er mit seiner linken Hand den Kopf des Schiffers, mit der rechten tastete er jetzt unbewusst nach seinen Sachen. Vielleicht suchte er Halt nach etwas ganz Persönlichem, wie ein Kind, dass nach seiner Strohpuppe sucht, um bei ihr Trost zu finden. Er fand das kleine Bündel. Schwer glitt das Metallstück aus den Lappen. Er drückte es instinktiv an seine heiße Stirn und schloss dabei stöhnend die Augen. Schlagartig hörten das Klopfen und die Schmerzen auf. Erleichtert öffnete er die Augen. Was er noch flüchtig sah, bevor es sich farblos werdend auflöste, würde er sein Leben lang nicht vergessen. Hunderte Rattenaugen schauten ihn an. Er war sich sicher, er hatte auch ein Bedauern in diesen Augen gesehen. Dieses Bild brannte sich in Heinrichs Gehirn ein. Die Zunge hatte also ein Gesicht. Aber es ging ihm sofort besser, der Albtraum schien vorüber. Heinrich schaute nach vorn. Der Sohn des Schiffers saß leicht zusammen gekrümmt an einem Salzfass. Er war wohl völlig erschöpft von der ungewohnten Arbeit und Verantwortung für das Salzschiff. Dann sah Heinrich, wie der Junge versuchte, aufzustehen. Er schwankte dabei stark. Die Bordwand kam gefährlich näher. Der Junge schlug hart mit dem Kopf an ein massives Holzteil der Ankerwinde. Heinrich blickte völlig gebannt. Das alles dauerte keine drei Sekunden. Durch den harten Schlag wieder bei Sinnen, rappelte sich der Junge vor Schmerz stöhnend hoch. Doch als er endlich wieder stand, verlor er das Gleichgewicht und kippte einfach über Bord. Heinrich schrie vor Angst: „Nein!“ Dann sah er den Lockenkopf auftauchen. Er war schon meterweit von der Bordwand entfernt. Heinrich legte den Kopf des Schiffers schnell aber vorsichtig auf den beplankten Boden. Dann rannte er auf das hintere Deck, wo Tauwerk und Stangen lagen. Die Taue waren lang und schwer. Ohne zu Zögern, legte sich