Die Vergessenen 02 - Kitsune. Sabina S. Schneider
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Heinrich machte Rast in dem vermaledeiten Wald, der keinen Anfang hatte und kein Ende. Er war schlecht gelaunt. Schon zu lange war er in der Weltgeschichte herumgereist, ohne jemanden mit Potential zu finden. Die hochgewachsenen Bäume um ihn herum und das Grün erfreuten ihn genau so wenig wie der Geruch nach Kiefern und Zedern. Er musste bald etwas finden, irgendetwas. Warum es ihn in dieses seltsame Land der aufgehenden Sonne verschlagen hatte, wusste er nicht. Sein Riecher hatte ihn nicht einmal in eine Stadt geführt, die nur so von Menschen wimmelte. Nein, sein Instinkt hatte ihn in ein kaum besiedeltes Gebiet gebracht, in dem man kilometerweit laufen musste, um auch nur einer Menschenseele zu begegnen.
Zum ersten Mal in seinem Leben zweifelte er an seinem Instinkt, der ihn bisher noch nie im Stich gelassen hatte. Ihn immer zu Kindern mit mehr Potential geführt hatte, als gut für sie war. Er hatte gefühlt, wie die Gabe in ihren kleinen Körpern pulsierte, darauf wartete, zu erblühen und die Welt zu verändern. Doch das letzte Jahr war trocken gewesen. Er hatte nicht einmal den Hauch von Talent gespürt. Nicht in Afrika, nicht in Indien, China oder Russland.
Und jetzt war er in einem Wald im Norden Japans. Weit abgelegen von jeder Zivilisation. Ein riesiger schwarzer Rabe, der Heinrich kalte Schauder über den Rücken jagte, landete auf einem Baum, nicht weit von ihm. Er hörte sie nicht kommen und doch stand sie plötzlich vor ihm. Ihre Augen strahlten ihn an, ihr Mund wölbte sich zu einem Lächeln. Noch bevor Heinrich den kleinen, schmächtigen Körper berührte, wusste er, dass er sie gefunden hatte.
Ihr Gesicht war schmutzig, ihre Arme und Beine bedeckt mit Dreck. Das lange, schwarze Haar stand ihr ungekämmt in alle Richtungen vom Kopf ab. Ihr fehlte ein Zahn. Ungewaschen und ungepflegt stand das kleine, zerbrechliche Mädchen vor ihm und er hatte noch nie etwas Schöneres gesehen, noch nie solch eine Macht gespürt. Sie pulsierte aus ihr heraus, schwappte auf das Gras über, die Bäume und erfüllte selbst die Luft. Die Macht, die der kleine Körper noch nicht halten konnte, gab er willentlich an seine Umwelt ab.
So viel Lebensfreude, wie in den dunklen Augen des Mädchens, hatte er noch nie gesehen. Ihrem Zauber verfallen, handelte Heinrich doch so wie immer. Es geschah automatisch. Er folgte ihr bis zu einem alten Gebäude, längst über den Zustand der Reparaturbedürftigkeit hinaus, aber noch keine Ruine. Daneben stand eine kleine Kirche mit einem Holzkreuz auf dem Dach. Frauen in Schwarz und Weiß gekleidet begrüßten ihn. Das Mädchen hatte ihn zu einem Waisenhaus geführt.
Die Nonnen, die es betrieben, freuten sich über sein Interesse und gaben alles großzügig preis. Der Name des kleinen Mädchens war Akiko. Man hatte sie zufällig im Wald unter einer uralten Kiefer gefunden. Heinrich forderte ohne Umschweifen Adoptionspapiere an. Alle schienen froh darüber, dass es ein Maul weniger zu stopfen gab. Auch wenn das Mädchen aussah, als wüsste sie nicht einmal, was das Wort Essen bedeutete. Keiner stellte Fragen. Es war einfacher denn je. Keine Eltern, die sie vermissen würden.
Während er auf die Unterlagen wartete, beobachtete Heinrich das Mädchen mit dem Namen Akiko. Sie spielte mit den Kindern, oder versuchte es. Die anderen liefen vor ihr weg, zuckten vor ihrer Berührung zurück, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Einer der größeren Jungen nahm einen Stein und warf ihn nach ihr. Der Stein traf Akiko am Kopf. Blut lief ihre Wange herunter und tropfte auf ihr schmutziges, zerrissenes Kleid. Mit einem Gesicht, in dem nur Überraschung zu lesen war, hob sie ihre kleine Hand, langte sich an den Kopf und schleckte das Blut ab, bevor Heinrich sie erreichen konnte.
Als sie ihn sah, lächelte sie ihn wieder an und er verlor sein Herz an sie. Doch das verstand er erst viel später. Zu Spät. Er tupfte das Blut mit seinem Taschentuch ab und strich ihr Haar aus dem Gesicht, da überkam es ihn. Das Rauschen von Macht. Ihm wurde heiß und kalt und er wusste, er hatte einen Schatz gefunden. Nur hatte er nicht gewusst, dass man solch einen Schatz behalten und beschützen musste und ihn nicht einfach in fremde Hände gab.
Mit einer Routine, die er nicht empfand, machte er die Papiere für die Ausreise fertig. Gewaschen und richtig eingekleidet nahm er sie mit nach Deutschland. Er meldete sie an, übergab sie und erhielt seinen Lohn. Wie immer. Doch es war nicht wie immer. Er konnte sie nicht vergessen. Ihr Lachen und Strahlen verfolgte ihn, das Gefühl ihrer kleinen, warmen Hand in seiner.
Heinrich konnte sie nicht vergessen und es war ihm zum ersten Mal nicht egal, was mit ihr passierte. Er versuchte es, zu verdrängen und ihre Augen mit Alkohol aus seinem Herzen zu spülen. Doch es wurde immer schlimmer, bis er es nicht mehr aushielt.
…
Deutschland, Walldürn, Herbst 1985
Heinrich wusste jetzt, wo sie die Kinder hinbrachten. Eine geheime Einrichtung in der Nähe von Walldürn im Odenwald. Es war eine kleine Anlage, nicht weit von der dort stationierten Kaserne. Die Verpflegung des Personals ging über die Kaserne. 80 Prozent der Angestellten dort, Offiziere und Ausbilder, waren Brüder vom Orden. Es wurde auch als einer der vielversprechendsten Rekrutierungsquelle des Ordens gehandelt. Junge Männer im Geiste noch nicht gefestigt und auf der Suche nach Abenteuer, Ruhm, Ehre und offen für die Mystik des Ordens.
Einige der Ordensbrüder arbeiteten in beiden Einrichtungen. Wenige waren nur im Geheimlabor tätig. Heinrich hatte die Anlage erst nach tagelanger Beobachtung ausfindig machen können. Brüder fuhren in Zivil zu der Einrichtung. Einige joggten hin, verschwanden tief im Waldickicht. Der Eingang war ein unscheinbares Loch, als Abwasserkanal getarnt. Heinrich hatte gewartet, bis die Ablösung hineinging und der Abgelöste herauskam. Dann hatte er sich durch den betonierten Kanal geschlichen. So leise er auch ging, hallten seine Schritte doch durch den Hohlraum. Nervös blickte er sich um. Das bisschen Tageslicht, das noch geblieben war, reichte nicht weit hinein und Heinrich war gezwungen seine Taschenlampe auszupacken. Der kleine Leuchtkegel führte ihn zu einer uralten Holztür, die so schief hing, dass sie niemanden aufhalten konnte.
Nach weitern 500 Metern, wurden der Zement von Eisengerüsten abgelöst und ein Stahltor versperrte Heinrich den Weg. Ein Kartenleser war links an der Wand angebracht. Er löschte das Licht seiner Taschenlampe, kauerte sich in die Ecke und wartete. Stunden vergingen, bis sich die schwere Tür quietschend öffnete. Ein Mann trat heraus, ging ein paar Meter, dann erhellte ein Feuerzeug kurz sein von Narben zerfurchtes Gesicht.
Der Geruch von Zigarettenrauch erfüllte den engen Gang und das Licht des Glimmstängels beleuchtete einsam das müde und zerfurchte Gesicht des Mannes. Die Tür stand noch einen Spalt offen und Heinrich konnte erkennen, dass eine Karte an dem Gürtel des Wachpostens baumelte. Geräuschlos schlich er sich an, schnitt das Plastikband mit einem Messer durch und wurde wieder eines mit der Dunkelheit.
Der Wachposten rauchte in aller Ruhe seine Zigarette fertig, ließ sie, immer noch glimmend, achtlos fallen, trat auf sie drauf und kreiste mehrere Male kräftig mit dem Fuß, als würde es sich um ein ekeliges Insekt handeln, bevor er tief seufzte und zurück zu seiner Arbeit ging. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Das Personal wechselte alle sechs Stunden. Heinrich wartete seine Zeit ab. Dann, eine halbe Stunde bevor die Ablösung kam, zog er die Karte durch den Scanner. Ein grünes Licht erschien, ein leises Summen folgte.
Heinrich zog an der Tür und sie öffnete sich gehorsam. Das Licht war schlecht und er versteckte sein Gesicht im Schatten seiner Kappe.
„Wird auch Zeit, dass du kommst! Ich stehe mit hier die Füße in den Bauch und ein leckeres Abendessen wartete auf mich“, sagte der Mann mit einer tiefen, ungesunden Raucherstimme. Ohne auch nur einen wirklichen Blick auf Heinrich zu werfen, ging er durch die Tür und ließ sie ins Schloss fallen. Heinrich sah sich im Raum um. Alles war steril, die Wände abgedichtet mit Stahlplatten. Der Raum war keine 20 Quadratmeter groß. Es gab nur einen Tisch und einen Stuhl. Zwei Türen. Die, durch die er gekommen war, und parallel auf der anderen Seite eine weitere.
Die Tür war schwer und es war ebenfalls einen