Erinnerungen. Sarah Preisler
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Ich nehme an, jeder von Ihnen weiß, dass es genau solche Menschen gibt. Menschen, die so hoffnungslos, traurig und leer sind, dass alles schlecht und negativ ist.
Ich werde hier ein wenig von diesen Menschen schreiben, denn ich möchte, dass jemand versucht, diese Menschen zu verstehen. Menschen, die den Glanz der Welt nicht sehen können oder wollen.
Ich widme dieses Buch einer ganz bestimmten und für mich sehr wichtigen Person, die mir in einer Zeit zugehört hat, in der ich dachte, alle wären taub.
Man sollte jedes Wort eines anderen mit Gefühl behandeln. Nur so kann man erfahren, wer diese Person eigentlich ist.
Prolog
Wer bist du?
Die Gedanken der hübschen Frau rasten, als sie aus dem Fenster in die Dunkelheit starrte.
Hätte sie nicht gewusst, dass da draußen jemand war, sie sogar beobachtete, dann hätte sie jetzt keine Angst.
Aber die Frau hatte Angst. Wer hätte die nicht, wenn man verfolgt wird?, dachte sie sarkastisch und hätte sie ihre Gedanken ausgesprochen, dann wäre man vor ihrer Hysterie zurückgeschreckt.
Als sie wieder konzentriert nach draußen in den Schatten des Waldes starrte, fing ihr Herz an noch mehr zu rasen.
Draußen vor ihrem Fenster stand eine Person, versteckt hinter den Bäumen, die im Schatten der Nacht wie bedrohliche Dämonen wirkten. Wenn sie die Augen verengte, konnte sie die Hand der Person sehen, die die scheinbar störenden Äste zur Seite drückte, um klare Sicht auf das Wohnzimmer der Frau zu garantieren.
Die Frau schluckte, als sie zum vierten Mal ihre Augen schloss und wieder öffnete. Es war keine Einbildung. Da stand jemand und dieser Jemand wusste, dass sie ihn sah.
Okay, gut. Alles gut. Beruhige dich, Merlia!, versuchte sie ihren Puls wieder auf Normalpegel zu bringen. Doch, wie sollte sie die Ruhe auch schon bewahren? Es war kurz nach Mitternacht und sie hatte sich nichts dabei gedacht an ihr Fenster zu treten, mit dem Ziel die Vorhänge zuzuziehen und dann nach einem anstrengenden Tag in ihr Bett zu schlüpfen. Wer würde damit rechnen eine Person zu entdecken, die sich keinen Hehl daraus machte gesehen zu werden und wahrscheinlich mit einem dreckigen Grinsen hinter dem nächsten Baum hockte und einen beobachtete, wie man in Panik ausbrach? Moment, ich breche nicht in Panik aus, stellte Merlia klar und straffte die Schultern.
Sie starrte der Silhouette in die für sie mordlustig aussehenden Augen, sammelte ihren ganzen Mut zusammen und reckte ihren Mittelfinger in die Höhe.
Danach zog sie die Vorhänge zusammen, wirbelte auf ihren hohen Schuhen herum und setzte sich auf die schicke, weiße Ledercouch, die sie sich nach monatelangem Sparen gekauft hatte.
Kopfschüttelnd seufzte sie und sah auf die halbleere Flasche Rotwein, die im Schein der Kerzen auf dem Tisch fast schwarz schimmerte.
„Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ich habe Halluzinationen, was bedeutet, dass ich meinen Alkoholkonsum unbedingt nach unten schrauben muss, oder da steht wirklich jemand. Jugendstreich halt.“, versuchte sie sich selbst zu erklären, was da draußen geschehen war und tat das Thema mit einem wiederholten Kopfschütteln ab.
Merlia ließ ihren Kopf kreisen, lief zu ihrer Haustür und starrte durch den Spion nach draußen. Nichts. Sie atmete erleichtert aus und bemerkte erst jetzt, dass sie vor Anspannung die Luft angehalten hatte. Vielleicht war sie ja doch noch nicht ganz fertig mit den jüngsten Ereignissen.
Die Frau legte sich beruhigt in ihr Bett und schloss die Augen.
Hätte sie sich zur Seite gedreht, dann hätte sie bemerkt, dass sie ganz und gar nicht hätte beruhigt sein dürfen. Denn neben ihr stand die Person, die vorher noch vom Fenster aus zu sehen gewesen war.
Hätte sie noch einmal nach ihrem Hund im Garten gesehen, dann wäre ihr vor Entsetzen die Kinnlade nach unten gefallen. Shelton lag vor seiner Hundehütte. Gehäutet, bei lebendigem Leibe.
Doch all das wusste sie nicht.
Kapitel 1
Die Straßen waren wie jeden Tag komplett überfüllt, als sich Chris durch die Menschenmassen quetschte.
Sein schwarzer Anzug raubte ihm den Atem und ein Blick auf die Uhr ließ diesen für einen Moment ganz aussetzen. Schon zehn Minuten zu spät und das auch noch heute!
Noch drängelnder schob er sich durch die Menschen, überquerte die Straßen mit hastigen Blicken zur Seite und scheuchte die Bettler, die heute nur so um ihn herum wuselten, mit unbarmherzigen Worten aus seinem Weg. Verwirrt ließen diese ihre Becher sinken und starrten ihm ratlos hinterher.
Chris schluckte, peinlich berührt über sein Auftreten. Er war ein Mensch voll Güte, eigentlich. Doch heute hatte er keine Zeit Touristen den Weg zu erklären, etwas Geld zu spenden oder Kleinkindern ein Vorbild zu sein und erst bei Grün über die Straße zu gehen.
Der Mann tastete suchend in seinen Hosentaschen nach dem Zettel, der gestern Morgen in seinem Briefkasten gelegen hatte.
Er überflog die Zeilen, prägte sich die geschwungene, enge Handschrift genau ein, versuchte sich an den Besitzer zu erinnern, doch vergebens. Er wusste nicht, wer ihm diesen Zettel geschrieben hatte.
Doch das schien nicht wichtig zu sein. Es war der Inhalt, der Fragen aufkommen ließ:
Lieber Christian,
ich habe eine kleine Bitte an dich. Wenn du morgen ins Rathaus gehst, wird etwas auf dich warten. Nimm es mit, ohne es zu öffnen. Nimm es, ohne dein Gesicht zu verziehen. Egal was passiert, niemand darf es wissen.
Egal was passiert, niemand darf es sehen.
Egal was passiert, niemand ist dein Freund.
Wenn die Zeit gekommen ist, dann werden wir uns sehen. Scout.
Auch dieses mal konnte er sich keinen Reim daraus machen und stopfte den Zettel zurück in seine Tasche.
Als er vollkommen abgehetzt vor dem Rathaus stand, sank seine Hoffnung. Die Lichter waren gelöscht, die Türen verschlossen.
„Warum haben die sonntags auch nur bis 10:00 Uhr auf?“, fluchte er und hämmerte gegen die massiven Türen. Irgendjemand muss doch da sein! Doch niemand öffnete. „Scheiße!“, zischte er wütend. Der Ärger über sich selbst pochte in seinen Adern. Warum hatte er sich auch nicht mehr beeilt? Jetzt würde er nie erfahren, was es mit diesem verdammten Zettel auf sich hatte!
Enttäuscht fuhr er sich durch die braunen Haare und spuckte auf den Boden.
„Nun Scout, deine Bitte war wohl umsonst.“, meinte Chris mit bebender Stimme, so sehr ärgerte ihn sein Versagen.
Doch die Türen schwangen auf und ein alter, gebrechlich wirkender Mann trat aus den Schatten. Die eine Hand hatte einen Gehstock fest umklammert, die andere trug ein Päckchen