Erinnerungen. Sarah Preisler
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Erinnerungen - Sarah Preisler страница 5
„Hallo?“, Ellas Stimme klang zitternd und schwach und für einen Moment schämte sie sich dafür. Doch als ein ebenso zittriges „Hallo.“ zurückgerufen wurde, wurde ihr wieder warm. Es war die Stimme einer Frau. „Ich... Ich komme jetzt rauf!“, rief Ella unsicher nach oben.
Sie fragte sich, ob ihr Gefahr drohte und sie fragte sich, wo sie überhaupt war und warum sie gerade mit einer Strickleiter gerettet wurde, die unbenutzt und sauber aussah. So, wie als hätte jemand extra diesen Gegenstand gekauft, um sie zu retten.
Doch all das war im Moment nicht wichtig. Ella wollte in die Freiheit, wollte ihrer Retterin danken und danach so schnell wie möglich verschwinden und ihre Großeltern anrufen. Wollte ein entspannendes Bad nehmen und ihrem Nachbar endlich mal die Meinung sagen. Ihm sagen, dass er seine blöden Partys auch vier Stunden eher, zu menschlichen Zeiten veranstalten konnte und sie so nicht von ihrem Schlaf fernhielt. Ihm sagen, dass seine bescheuerte Katze ständig von seinem auf ihren Balkon sprang und sie schon einige Male überlegt hatte, sie einfach nach vorne in den Garten zu werfen und vorzugeben, sie nicht gesehen zu haben. Doch vor allem wollte sie ihm sagen, dass sie sich in ihn verliebt und sich immer eine gemeinsame Zukunft mit ihm vorgestellt hatte, trotz Katzenhaarallergie.
„Ja, ja. Komm, aber langsam!“, meinte die Frau von oben. Ella blieb erst zögernd stehen, doch sie hatte keine Wahl. Also stieg sie die Sprossen empor, immer höher, bis sich ihre Angst wieder einstellte und ihr die ersten Tränen über die Wangen liefen. Immer wieder vernahm sie die Stimme der Person und mit jedem Mal wurde sie lauter und bedrohlicher. So laut, dass Ellas Ohren zu fiepen begannen und sie panisch rief:„Du bist nicht echt! Geh, geh weg! Lass mich in Ruhe!“
Und tatsächlich wurde es leiser in ihrem Inneren und sie sank bebend in sich zusammen, während sie sich krampfhaft an der Strickleiter festkrallte.
„Was ist passiert? Alles gut?“, kam es zögerlich von etwas höher. Ella nahm an, dass die Frau über ihr geweint hatte. Sie hörte es an ihrer Stimme. Augenblickliche Reue breitete sich in Ella aus und sie flüsterte:„Ja, es tut mir leid, hörst du?“
Ein langes Schweigen trat ein und Ella dachte schon, die Frau hätte es nicht gehört, ehe sie dann doch antwortete:„Komm!“
Die braunhaarige Frau kletterte nun schwerfällig nach oben und als sie die Frau sah, weiteten sich ihre Augen und sie stieß einen Schrei aus. Offene Wunden klafften an ihrem Körper, der von dem ganzen Blut nur noch rot schimmerte. Sie sah, dass die Frau wirklich geweint hatte, immer noch weinte und näher an Ella heran trat. Ella hatte schon die Hand hilfesuchend nach oben gestreckt, als ihr Gegenüber plötzlich eine ruckartige Bewegung machte, die Hände hinter dem Rücken hervorholte und ein Messer durch Ellas Kehle gleiten ließ. Diese gab ein gurgelndes Geräusch von sich, erstickte am eigenen Blut und schaffte es nicht mehr sich festzuhalten. Und ihre Angst wurde wahr und sie stürzte in die Tiefe.
Sie verstand nichts von dem Geschehenen, ihr Gehirn war lahm und schwer in ihrem Kopf. Doch Worte begleiteten sie, als sie die Augen benebelt schloss:„Nein, mir tut es leid. Vergib mir, ich habe keine Wahl!“ Und die Stimme der Frau verebbte in einem tosenden Strudel und Ella versank endgültig in der Schwerelosigkeit.
Kapitel 4
Chris lag in einer ziemlich komisch aussehenden Position in seiner Badewanne, das Tagebuch von Merlia Jäger auf dem Bauch und dachte über sein nächstes Vorgehen nach. Er wusste nicht, ob es richtig war, so etwas derart Privates zu lesen, einfach so.
Doch die Besitzerin war verschwunden, wahrscheinlich sogar schon längst tot. War das ein Argument?
Der junge Mann setzte sich auf. „Ich will es noch nicht lesen.“, murmelte er und beantwortete sich damit selbst die Frage, über die er schon ewig nachgedacht hatte. Seine Angst war verebbt. Die Angst, von einer Leiche heimgesucht zu werden, schien ihm letztendlich doch als nicht normal und so hatte er sich davon überzeugt, dass das alles eine ganz logische Erklärung haben musste.
Chris stieg nun komplett aus der ungefüllten Wanne, öffnete die Badezimmertür, die er noch vor gar nicht allzu langer Zeit sorgfältig verriegelt hatte und trat in sein Wohnzimmer. Er schnappte sich den zerknitterten Zettel und legte ihn auf das Tagebuch. Beides verstaute er in seinem Tresor und eilte dann weiter, um die Überreste des Päckchens zu beseitigen. Er hob die dreckigen Zeitungsartikel auf und warf sie in seinen Papierkorb. Als er sich wieder umdrehte, war sie wieder da.
Eine hübsche, braune Border Collie Hündin sprang vor seinen Füßen auf und ab, ihre eisblauen Augen waren auf die seinen gerichtet und sein Herz schwoll an vor Liebe und Zuneigung. „Wird wohl Zeit für meine Tabletten, was?“, fragte er ruhig und fuhr der Hündin zärtlich über den Kopf. Diese gab nur ein klares Bellen von sich und lief wieder in sein Badezimmer. Chris folgte ihr, nahm die Dose mit dem Neuroleptikum und warf sich zwei Tabletten in den Mund.
„Weißt du, Sam, wenn du mich nicht daran erinnern würdest“, er sah nach unten, doch die hübsche Hündin war verschwunden, „dann würde ich noch vollkommen durchdrehen.“
Schmunzelnd stopfte er die Dose wieder zurück in eines der Regale und warf einen Blick auf die Uhr. Schon fast Mitternacht! Er rieb sich müde über die Augen und schmiss sich mit letzter Kraft auf sein weiches, einladendes Bett.
Schon als kleines Kind hatte er diese Medikamente nehmen müssen. Denn damals hatte er immer boshafte, dunkle Wesen gesehen, die an ihm zerrten und ihn kratzen, bis sein Blut auf den Boden tropfte. Als ihm dann der Kinderarzt gesagt hatte, dass er zum Psychologen müsse und dieser meinte, dass das Halluzinationen seien und das das nicht wirklich passieren würde, hatte Chris ihn so laut angeschrien, dass er dem Arzt dabei unaufhörlich ins Gesicht gespuckt hatte. Damals hatte er nicht verstehen können, warum der Arzt ihm nicht glaubte. Immerhin hatte er doch Wunden!
Doch als ihm sein Vater eine Videoaufnahme gezeigt hatte, in der Chris sich mit seinen eigenen Händen die Haut aufriss, da hatte er es verstanden. Da hatte er verstanden, dass nicht alles so ist, wie es zu sein scheint.
Daraufhin hatten sie ihm eine Hündin gekauft, die ihn immer an die Einnahme der Medikamente erinnerte und als sie an Altersschwäche starb, konnte Chris sie trotzdem immer noch sehen.
Und er wusste, wenn das passierte, dann war das ein Zeichen dafür, dass er kurz vor einem Schub stand, vor einer Psychose.
Aber es war schön für ihn, die alte Sam ab und zu mal wieder zu sehen. Wissen tat das natürlich niemand.
Doch Chris musste sich gestehen, dass er seine Krankheit oft herausforderte. Er wollte wissen, was er sehen konnte. Er wollte wissen, was hinter dieser Welt war, die jeder sah. Vielleicht konnte er jetzt, als erwachsener Mann, seine liebe Mutter sehen? Vielleicht war er jetzt auch stark genug, um es mit den dunklen Wesen aufzunehmen, ihnen zu zeigen, dass sie nichts waren, im Vergleich zu den guten Dingen im Leben.
Der junge Mann drehte sich grübelnd auf die Seite.
Ein ungeheures Verlangen war in ihm ausgebrochen.
Er wusste, dass es nicht richtig war. Er durfte nicht aufhören das Neuroleptikum zu nehmen. Wenn es nur um ihn gegangen wäre, dann wäre ihm das gehörig egal gewesen. Doch es ging eben nicht nur um ihn. Er brachte damit andere Menschen in Gefahr. Denn er konnte nicht wissen, was echt war und was nicht.
Und so könnte er im Glauben sein einer alten Dame über die Straße zu helfen, während er eigentlich einen Diebstahl