Der Brief der Königin. Manfred Rehor

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Der Brief der Königin - Manfred Rehor

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und genauer in Augenschein genommen. Aber auch sonst wurde jeder befragt, der irgendwie auffiel. Sogar Benjamin.

      „Wohin?“, wurde er von einem Polizisten angeschnauzt.

      Benjamin hoffte, dass das Interesse an ihm nur auf seinem Aussehen beruhte und er nicht bereits gesucht wurde. „Hamburg“, log er, weil er eben gehört hatte, dass der Zug dorthin abfahrbereit war.

      „Hast du einen älteren Mann in Begleitung einer jungen Frau gesehen?“

      „Kann sein. Es sind viele Leute hier“, redete sich Benjamin heraus.

      „Noch eine vorlaute Antwort und ich nehme dich mit, verstanden? Verschwinde!“

      Benjamin dienerte unterwürfig, um seine Erleichterung nicht zu zeigen. Schnell ging er weiter und stellte sich am Schalter an. Obwohl das Geld aus Grabows Kassette für die erste Klasse gereicht hätte, kaufte er eine Fahrkarte für die dritte nach Berlin. Man soll sich nicht über seine Klasse erheben, lautete ein Spruch, den Mamschka öfter von sich gab und den Rosalinde gerne wiederholte. Das mit der Klasse war da wohl anders gemeint, mehr politisch, aber Benjamin hielt sich trotzdem daran.

      Der Waggon dritter Klasse war fast voll. Benjamin drängte sich durch, bis er einen freien Sitzplatz auf einer Holzbank fand. Seine Mitreisenden waren einfache Leute. Er hörte ihren Gesprächen zu, um sich abzulenken. Eine vielköpfige Familie hatte die Großeltern in Hannover besucht und fuhr nun nach Berlin zurück. Ein altes Ehepaar wollte den in Berlin studierenden Sohn mit seinem Besuch überraschen. Und zwei geschniegelte junge Männer in fadenscheinigen Anzügen unterhielten sich über die Möglichkeiten, in der Hauptstadt schnell zu Geld zu kommen.

      Als der Schaffner die Türen schloss, beugte sich Benjamin vor und sah hinaus auf den Bahnsteig. Aber gleich zog er den Kopf wieder zurück. Dort draußen war der Türke! Seine Kleidung sah jetzt unordentlich aus und er hinkte.

      Noch einmal riskierte Benjamin einen Blick. War das Zufall? Nein. Der Türke ging an den Wagen entlang und spähte durch die Fenster. Er suchte jemanden.

      Ein langer Pfiff, der Zug fuhr an. Im Schritttempo rollte er aus der Bahnhofshalle heraus. Benjamin musste wissen, ob der Türke im Zug war. Er stand auf und starrte hinaus. Am Ende des Bahnsteigs stand der Mann – und sah Benjamin direkt ins Gesicht. Seine Miene war alles andere als freundlich. Benjamin verlor ihn aus den Augen, der Zug rollte ins Freie.

      Muck

      Friedrich Grabow kam zu sich. Er litt unter hämmernden Kopfschmerzen und konnte die Lider kaum öffnen. Langsam hob er die Hand, um sich über die Augen zu fahren, und ein weiterer Schmerz durchzuckte ihn. War sein Arm gebrochen? Er versuchte, sich aufzurichten.

      Eine Stimme herrschte ihn an: „Liegenbleiben! Wie soll ich dich verbinden, wenn du herumzappelst wie ein Kind?“

      Grabow ließ sich zurücksinken. Allmählich klärte sich sein Blick. Breitmanns Gesicht erschien. Grabow konnte den Wurfbudenbesitzer nicht ausstehen, aber Breitmann hatte ihn schon oft verarztet. Das ging in Ordnung, das konnte er.

      „Was ist passiert?“, fragte Grabow.

      „Keine Ahnung. Wir haben heute Nacht Lärm und Schreie gehört. Es gab Ärger bei Herkules, ein Einbrecher war so dumm, es bei ihm zu versuchen. Herkules hätte ihn beinahe umgebracht, wir konnten ihn gerade noch davon abhalten. Wir wollten dich zu Hilfe holen und haben dich hier in einer Blutlache liegend gefunden. Dann haben wir dich in meinen Wagen gebracht, weil ich dich hier besser behandeln kann.“

      Herkules interessierte Grabow nicht. Die Erinnerung an die Ereignisse der Nacht kam langsam wieder: „Benjamin. Ich hatte Streit mit diesem verdammten schwarzen Affen.“ Grabow quälte sich durch Übelkeit und Erinnerungsschatten. „Es ging um Schnaps.“

      „Fängt der Junge auch schon damit an?“

      „Unsinn. Er hat Gift in eine Schnapsflasche getan. Wollte mich beseitigen, das Aas. Er hat mich hinterrücks angegriffen.“

      „Passiert selten, dass du nach einer Schlägerei als Opfer zurückbleibst“, sagte Breitmann. „Halt still, ich mache dir einen Kopfverband. Da ist eine Schnittwunde, vermutlich von Glassplittern. So, wie du stinkst, hat er dir mit einer Schnapsflasche den Scheitel frisch gezogen. Was bei einem Kerl mit Glatze natürlich nicht geht. Immerhin erspart es mir, dir die Haare abzuschneiden. Alles hat seine Vorteile.“

      Grabow hörte gar nicht zu. „Wenn ich den erwische, bringe ich ihn um!“, knurrte er. „Wo ist er?“

      „Ich habe ihn noch nicht gesehen.“

      „Also abgehauen! Na, der wird seine Tracht Prügel erhalten, sobald er wiederkommt. Die letzte seines Lebens, das darfst du mir glauben.“ Grabow richtete sich stöhnend auf, nachdem Breitmann fertig war.

      „Ich bringe dich hinüber in deinen Wagen. Du hast eine Gehirnerschütterung, also leg dich ins Bett. Ich werde ab und zu nach dir sehen. Du stehst erst wieder auf, wenn ich es dir sage, verstanden?“

      Grabow war schwindelig, deshalb widersprach er nicht. Er ließ sich zu seinem Wohnwagen führen und dort von Breitmann ins Bett helfen.

      Doch anstatt zu schlafen, blieb er mit offenen Augen liegen. Was war in diesen schwarzen Faulenzer gefahren? Wollte Benjamin ihn wirklich umbringen oder gab es einen anderen Grund für diesen heimtückischen Anschlag? Der Schmuck! Grabow tastet nach dem Schlüssel. Die Kette hing noch um seinen Hals. Stöhnend rollte er sich vom Bett und ließ sich auf den Boden fallen. Der Schmerz, der ihn durchzuckte, brachte ihn zum Brüllen. Trotzdem richtete er sich langsam auf. Die Kassette unter dem Tisch war verschlossen und unversehrt. Auf den Knien rutschte er zu ihr und öffnete sie.

      Der Schmuck war noch da. Aber es fehlten Papiere und Bargeld. Auch der Brief der Königin war weg. „Dieb!“, brüllte Grabow. Die Wut ließ ihn seinen Zustand vergessen. Er sprang auf – jedenfalls wollte er es. Ohnmächtig brach er zusammen.

      Der Zug aus Hannover erreichte pünktlich den Lehrter Bahnhof in Berlin. Benjamin stieg aus und sah sich um. Die Bahnhofshalle wölbte sich wie ein schwarzer Himmel über ihm. Tauben flatterten verschreckt durch den Qualm, der zwischen den Eisenträgern nach oben zog. Die Lokomotive mit den Wagen wirkte in dieser riesigen Konstruktion wie ein Spielzeug.

      Unzählige Menschen schoben sich durch den Bahnhof hinaus auf den Vorplatz. Benjamin ließ sich mit der Menge treiben und gelangte auf die gegenüberliegende Straßenseite. Er war schon in Berlin gewesen, kannte aber nur einige Rummelplätze in der Stadt. Deshalb blieb er stehen und sah sich um. Zwar war die Fassade des Bahnhofsgebäudes nicht ganz so beeindruckend wie die in Hannover, aber dafür zeigte ihm die Umgebung, dass er sich in einer Großstadt befand. Droschken warteten in einer langen Reihe auf Fahrgäste. Unten im Kanal neben der Straße lagen Lastkähne am Ufer vertäut. Ihre Ladung wurde auf Pferdefuhrwerke verteilt, die dann langsam den Uferweg hinauf rollten.

      Benjamin folgte der Straße Richtung Innenstadt. Wo der Kanal in die Spree mündete, überquerte er auf einer imposanten Brücke den Fluss. Neben ihm fuhren Pferdestraßenbahnen und Kutschen jeder Größe. Er sah ihnen zu, bis ein blau uniformierter Wachtmeister mit Pickelhaube auf ihn aufmerksam wurde.

      Schnell sprang Benjamin auf die nächste Straßenbahn und entrichtete beim Schaffner die paar Pfennige, die eine Fahrt kostete. Trotz des Nieselregens blieb er auf der hinteren Plattform stehen und bestaunte die Umgebung.

      In der breiten Prachtstraße „Unter den Linden“ sprang er von

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