Der Brief der Königin. Manfred Rehor

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Der Brief der Königin - Manfred Rehor

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bin. Warten Sie! Ich bin in einer Minute wieder hier.“

      Benjamin wusste, wohin Grabow jetzt ging: zu Breitmann, dem Inhaber der Wurfbude, der zu horrenden Zinsen Geld verlieh.

      „Ist es richtig, was wir tun, Georg?“, fragte die Frau, als Grabow weg war.

      „Es ist unsere einzige Chance, Liebes. Ihre Hoheit hat eine solche Abneigung gegen dich gefasst, dass deines Verbleibens nicht länger gewesen wäre. Wir wären getrennt worden, Melanie, für immer.“

      „Ja, Georg.“

      „Dieser Mann will uns betrügen. Aber das ist egal. Er muss uns für den Schmuck genug Geld für zwei Fahrkarten nach Berlin zahlen. Meine Verwandten werden uns helfen, mit neuen Papieren nach Bayern zu gelangen. Dort übernehmen wir die Gaststätte, die du geerbt hast, und gründen eine Familie, wie andere Leute auch.“

      „Ja, Georg.“

      „Aber den Brief behalten wir. Den soll dieser Grobian nicht bekommen. Wir wollen der Prinzessin nicht mehr schaden, als unbedingt nötig ist. Wir sind ehrliche Menschen, auch wenn wir nun zum Äußersten gezwungen werden.“

      „Ja, Georg.“

      Benjamin fand den Schlitz im Zelt wieder, durch den er gestern gespäht hatte. Er beobachtete das Paar. Georg sah zum Eingang und wischte sich alle paar Sekunden den Schweiß von der Stirn. Melanie tippelte von einem Fuß auf den anderen.

      Grabow kam zurück und schwenkte ein paar Geldscheine in der Hand. „Mehr gibt‘s nicht. Gilt das Geschäft?“

      Benjamin sah die schnelle Bewegung, mit der sein Ziehvater beim Hereinkommen weitere Geldscheine in der Hosentasche verschwinden ließ. Als gewiefter Feilscher hatte er sich bei Breitmann eine größere Summe geben lassen, bot dem Dienerpaar aber zunächst nur einen Teil davon an. Sein Trick funktionierte:

      Georg atmete tief durch und richtete sich noch gerader auf, als er sowieso schon dastand. Er hielt auf der offenen Handfläche Grabow in paar Schmuckstücke entgegen, die der sich mit einer schnellen Bewegung schnappte.

      Benjamin kannte sich nicht aus mit solchen Sachen, aber bestimmt war diese Diebesbeute auf dem Schwarzmarkt ein Vielfaches der gezahlten Summe wert.

      Georg zählte die Geldscheine durch: „Moment, das ist weit weniger ...“

      „Das oder nichts!”, bellte Grabow.

      „Wir brauchen das Geld”, sagte Melanie unter Tränen.

      Georg verstand aber besser als sie, wie Grabow dachte. „Wir können unser Angebot in anderer Richtung erweitern“, sagte er. Er zog ein paar gefaltete Schriftstücke aus der Tasche, sah sie durch und überreichte Grabow mit einer eleganten Bewegung ein Blatt Papier.

      „Was soll dieses unleserliche Geschmier darstellen?“, blaffte Grabow.

      „Dies ist ein Brief ihrer Majestät, der Königin Viktoria von England. Von eigener Hand geschrieben auf Schloss Windsor, wie Sie am Wappen sehen können. Er ist an eine Verwandte ihrer Majestät hier in Hannover gerichtet. Für seine Echtheit kann ich bürgen. Ich war zufällig dabei, als er von der Empfängerin geöffnet wurde. Dieser Brief ist vorgestern aus London eingetroffen.“

      „Na, und?“

      „Stellen Sie sich das doch einmal vor: Noch vor drei, vier Tagen hielt die Königin in eigener Person dieses Blatt in Händen!“

      Nun verstand Grabow. Mit spitzen Fingern nahm er das Papier und hielt es mit ausgestrecktem Arm vor sich. „Ich kann das nicht entziffern!“

      „Die Königin hat eine großzügige Handschrift. Selbstverständlich ist der Brief auf Englisch abgefasst“, erklärte Georg. „So weit ich es beurteilen kann, ist der Inhalt rein familiärer Natur. Aber ich betone noch einmal: Eigenhändig geschrieben! Dieser Brief ist noch einmal so viel wert, wie Sie uns für den Schmuck geben haben.“

      Grabow verzog das Gesicht und tat, als wolle er den Brief fallenlassen. „Ach, was!“

      Melanie schrie vor Schreck auf.

      „Für Sammler ein unbezahlbarer Schatz!”, beeilte sich Georg noch einmal zu versichern.

      Grabow zögerte. Er konnte sich von dem Brief nicht trennen. „Ich gebe zu, ich habe noch nie etwas besessen, das von einer echten Königin stammt. Gut, einverstanden.“

      Georg steckte das zusätzliche Geld ein, nahm Melanie bei der Hand und verließ mit ihr eilig das Zelt.

      Als Grabow auf den Hinterausgang zuging, den Brief wie eine Ehrenurkunde vor sich haltend, rannte Benjamin zurück zum Wohnwagen und gab sich den Anschein, eine Ecke auszukehren.

      Polternd kam Grabow herein und zog sich die Kette mit dem Schlüssel über den Kopf. „Verschwinde“, herrschte er Benjamin an. „Bring das Zelt in Ordnung!“

      Als Benjamin nicht schnell genug reagierte, schlug Grabow beiläufig nach ihm und traf ihn mit der Hand auf der frischen Wunde am Rücken.

      Aufschreiend vor Schmerz flüchtete Benjamin nach draußen. Rosalinde hatte Recht: Es musste ein besseres Leben geben als dieses, ob nun bei einem echten Vater oder irgendwo sonst. Es war Zeit, zu gehen.

      Benjamin haut ab

      Am frühen Abend kam eine Polizeistreife auf den Rummel und befragte Besucher und Schausteller. „Hör zu, was die wollen und was die Kollegen reden“, befahl Grabow. „Aber lass dich nicht dabei erwischen.“

      Benjamin lungerte also in der Nähe der Polizisten herum und belauschte die Befragungen.

      „Wurden von Ihnen verdächtige Personen am heutigen Morgen hier auf dem Gelände beobachtet?“, fragte ein Polizist den Herkules, der sein Kostüm aus Fellen trug und lässig eine Keule schwenkte.

      „Ich weiß von keinem Gelände und Personen“, behauptete Herkules. „Und beobachten tu ich schon gar nicht.“ Er hob seine Keule und der Polizist machte, dass er weiter kam.

      Alle Befragten würden leugnen, das Dienerpaar gesehen zu haben, daran zweifelte Benjamin nicht. Auch diejenigen, die wussten, dass die beiden Gesuchten zu Grabows Zelt gegangen waren. Die Schausteller hielten zusammen, solange es gegen Staat und Ordnungsmacht ging.

      Benjamin ärgerte sich nicht über die abschätzigen Blicke, mit denen die Polizisten ihn bedachten. Es war zu seinem Vorteil, wenn sie ihn wegen seiner Hautfarbe für zu dumm hielten, Fragen zu beantworten. Solange er sich den Beamten nicht in den Weg stellte, würde er unbehelligt bleiben.

      Später war er dabei, als Grabow vernommen wurde, und für einen Moment sah er ihn so, wie ihn die Polizisten sahen: als bulligen Kerl mit Schnapsfahne, dessen glasige Augen verständnislos aus dem geröteten Gesicht starrten.

      „Heute Morgen?“, grunzte Grabow auf ihre Frage. „War ich noch gar nicht wach.“

      „Also haben Sie niemanden gesehen?“

      „Sag ich doch!“

      Das genügte den Beamten, sie gingen weiter. Benjamin blieb in ihrer Nähe, bis sie das Gelände verließen. Anschließend nahm er seinen Mut zusammen

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