Der Brief der Königin. Manfred Rehor

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Der Brief der Königin - Manfred Rehor

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du alles genau so gemacht, wie ich es gesagt habe?“, fragte Rosalinde.

      „Ja“, sagte er. Dann sprudelte es aus ihm heraus: „Heute Nacht werde ich ihm das Schlafmittel geben. Dann haue ich ab.“

      „Gut. Was tust du, wenn du deinen Vater gefunden hast?“

      „Ich glaube, ich suche ihn gar nicht, sondern gehe gleich nach Afrika. Wenn meine Mutter dort herstammt, ist das ja mein Zuhause.“

      „Du willst in die Kolonien? Da ergeht es dir schlimmer als hier.“

      „Nein! Es gibt nicht nur die Kolonien. Das meiste Land dort ist noch gar nicht erforscht.“ Benjamin war nicht bereit, sich von Rosalinde seine Vorstellung von Afrika schlechtreden zu lassen. Für ihn war es das Paradies auf Erden: ein riesiges Land, in dem sich niemand um seine Hautfarbe kümmerte. Und natürlich voller Löwen, Zebras, Abenteuer und Geheimnisse.

      Rosalinde fuhr ihn an: „Nichts da! Du suchst deinen Vater! Wenn du erwachsen bist, kannst du immer noch nach Afrika gehen.“

      „Schon gut. Aber was ist, wenn mein Vater mich nicht bei sich haben will? Vielleicht jagt er mich fort.“

      „Kann sein. Reiche Leute haben manchmal seltsame Anwandlungen.“

      „Wie kommst du darauf, dass er reich ist?“

      „Weil er viele Jahre lang Geld an Grabow gezahlt hat, damit der dich groß zieht. Wäre er nicht reich, hätte er dich einfach ausgesetzt oder in ein Findelheim gegeben. So etwas passiert ja alle Tage.“

      Sein Vater ein reicher Mann! Auf die Idee war Benjamin noch nie gekommen. Er stellte sich seinen Vater immer als jemanden vom Rummel vor. Aber richtig reich war auf dem Rummel niemand – nicht einmal Breitmann, wenn man ihn mit den wohlhabenden Bürgern einer Stadt verglich. „Glaubst du, er war so richtig reich, mit eigenem Haus und Kutsche und allem?“, fragte er, fuhr aber ohne Rosalindes Antwort abzuwarten fort: „Das kann nicht sein. So jemand hat keinen Mischlingssohn. Der würde mich nicht einmal als Diener nehmen.“

      Rosalinde stopfte Kuchen in sich hinein, deshalb verstand er ihre Antwort zunächst nicht. Es ging ihr besser an diesem Abend, das konnte Benjamin an ihrem zufriedenen Gesichtsausdruck erkennen. Außerdem war süßer Tee mit Kuchen ihr Lieblingsessen.

      „Unsinn, er muss dich gern haben“, wiederholte sie deutlicher. „Auch das lässt sich daraus schließen, dass er für dich bezahlt. Zumindest hat er ein schlechtes Gewissen.“

      „Du hast ziemlich viel Verstand für ein Mädchen“, lobte Benjamin.

      „Und ziemlich viel Gewicht, das gleicht sich wieder aus. Denkst du an mich, wenn du bei deinem Vater bist?“

      „Wenn er wirklich reich ist ...“ Benjamin stockte bei dem Gedanken an all das, was möglich wäre mit viel Geld. Es dauerte eine Weile, bis ihm auffiel, dass Rosalinde ihn wartend ansah. „Dann werde ich ihn bitten, dich in eine Klinik zu schicken, wo du ohne Nachteile abnehmen kannst“, versprach er. Er umarmte Rosalinde, so gut es ging, wischte ihr mit seinem Taschentuch eine Träne von den dicken Backen und verließ sie.

      In der Abendvorstellung war Benjamin so geistesabwesend, dass es nicht nur Grabow, sondern auch dem Publikum auffiel. Die Leute murrten, als er lustlos herumtanzte. Eine Ohrfeige von Grabow nach der Vorstellung brachte Benjamin von seinem Gedanken an Reichtum und Afrika zurück in die Wirklichkeit. Trotzdem kam es in der Spätvorstellung zu vereinzelten Pfiffen, aber das war öfter so. Die Spätvorstellung fand nur in größeren Städten statt. Wie Benjamin nur zu gut wusste, erhofften sich die Zuschauer nachts eine obszöne Vorführung mit knapp bekleideten schwarzen Frauen. Grabow stand vor dem Zelt und lockte Besucher an, indem er Andeutungen in diese Richtung machte. Die meisten Zuschauer verließen das Zelt bald wieder, weil ein tanzender Negerjunge sie langweilte.

      Grabow ging nach der Vorstellung weg, um sich irgendwo zu betrinken. Benjamin holte die bauchige Flasche mit dem ausländischen Etikett aus dem Versteck und ging zum Wohnwagen. Er fing an, sein Bündel zu packen, ohne zunächst selbst so recht zu wissen, was er tat.

      Es gab nicht viel, was ihm gehörte. Er nahm diese Dinge nacheinander in die Hand: ein paar Kleidungsstücke, Holzspielzeug aus seiner Kindheit und die zerlesenen Reste seines einzigen Schulbuches. Das geschnitzte Schaukelpferd, das auf die Fläche einer Hand passte und viele Schrammen aufwies, war Benjamin besonders lieb. Manchmal hatte er genug von seinem Dasein als Jahrmarktsattraktion. Dann lag er stundenlang auf dem Boden, ließ dieses Pferdchen Hin und Her wippen und träumte, er sei ein tapferer Kürassier, der auf seinem stolzen Ross Heldentaten vollbringt.

      Nachdem das Bündel gepackt war, sah sich Benjamin um, ob er etwas vergessen hatte. Vielleicht kam er nie wieder zurück in diesen Wohnwagen! Das war ein aufregender Gedanke und traurig zugleich. Benjamin öffnete sein Bündel noch einmal und nahm das Holzpferdchen heraus. Er stellte es zurück aufs Regal. Hier würde es bleiben, als Erinnerung an all die Jahre, die er hier verbracht hatte. Wenn er in der Fremde war, konnte er sich vorstellen, wie es hier stand und auf Grabow herunter sah oder auf die Geräusche vom Rummel lauschte.

      Grabow kam erst nach Mitternacht zurück.

      „Weder den Schmuck noch den verdammten Brief will jemand haben. Obwohl, da haben schon einige die Ohren gespitzt, als ich gesagt habe, er ist von einer Königin. Aber Geld will keiner dafür geben. Verdammte Bande!“ Schwankend beugte er sich über die Stahlkassette, schloss sie auf und warf die Schmuckstücke und den Brief hinein.

      Benjamin beobachtete ihn unauffällig. Grabow war wütend und betrunken. Das war gut, denn so war er leichter zu übertölpeln. Als Grabow die Kassette abschloss und sich umdrehte, tat Benjamin, als versuche er, eine Flasche vor ihm zu verstecken.

      „Was hast du da?“, fuhr Grabow ihn an.

      Scheinbar zögernd zeigte Benjamin die bauchige Flasche vor. „Die hat ein Besucher nach der letzten Vorstellung unter seinem Stuhl stehenlassen“, behauptete er.

      Grabow riss sie ihm aus der Hand. „Das ist nichts für dich. So weit kommt es noch, dass du anfängst, zu saufen.“

      Er nahm einen ordentlichen Schluck, hustete und schüttelte sich. „Donnerwetter, der hat es in sich. Da kannst du mal sehen, das muss französischer Cognac sein. Der hat so einen Nachgeschmack. Ganz edel.“

      Benjamin wartete mit angehaltenem Atem, ob die Mischung eine Wirkung zeigte.

      „Was glotzt du so?“ Grabow setzte die Flasche noch einmal an, prustete dann aber die Flüssigkeit aus dem Mund heraus gegen die Holzwand des Wohnwagens. „Pfui, Teufel! Da ist etwas drin. Ein Pulver. Bitter.“

      Er hielt die Flasche gegen das Licht der Petroleumlampe. „Ein Bodensatz. Wenn es alter Wein wäre ...“ Er unterbrach sich und starrte Benjamin an. „Moment mal. Du hast doch nicht vor, mich zu vergiften, oder? Antworte, verdammter Affe!“

      Benjamin stand das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben, er fühlte es. Er druckste herum: „Der Schnaps ist nicht vergiftet. Vielleicht ist im Zelt ein wenig Sand hineingeraten.“

      „Wo ist meine Peitsche? Sag, was du da hineingemischt hast. Sonst werde ich die Antwort aus dir heraus prügeln. Halt!“ Grabow hielt inne und fing an zu grinsen. Er streckte Benjamin die Flasche entgegen. „Warum trinkst du diese Plörre nicht selbst aus? Dann werden wir ja sehen, ob es nur Sand ist. Los, trink!“

      Benjamin nahm die Flasche. Trinken kam nicht in Frage.

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