Der Brief der Königin. Manfred Rehor

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Der Brief der Königin - Manfred Rehor

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um welche Summen es geht. Bestimmt gibt es Schecks oder Quittungen.“

      „Dann sind sie in Grabows Eisenkassette. Den Schlüssel trägt er Tag und Nacht an einer Kette um den Hals. Als Kind habe ich mal versucht, die Kassette zu öffnen. Er hat mich erwischt und verprügelt.“

      „Jetzt bist du kein Kind mehr.“ Rosalinde griff nach einem Fächer und wedelte sich Luft zu. „Du musst deinen Vater suchen und ihm sagen, was Grabow getan hat.“

      Benjamin mochte diese Idee nicht. Wenn sein Vater wirklich noch lebte, hatte er Benjamin verstoßen – wegen der Hautfarbe, warum auch sonst? Benjamin war sich nicht sicher, ob es richtig war, zu so einem Mann zu gehen. Er sah in Rosalindes Gesicht. Waren es Schweißtropfen oder Tränen, die über ihre Wangen liefen? „Vielleicht tue ich es“, sagte er.

      „Schau zumindest nach, was in der Kassette ist. Versprichst du mir das?“

      „Klar. Wenn sich die Gelegenheit ergibt.“

      „Dafür musst du sorgen! Nicht immer warten, Benjamin“, tadelte ihn Rosalinde. Sie wäre gerne Lehrerin geworden, das merkte man manchmal. Auch wenn sie selbst nur ein paar Monate in ihrem Leben eine Schule besucht hatte, den strengen, fordernden Ton hatte sie sich gemerkt.

      „Also gut: versprochen!“

      „Dann sage ich dir jetzt, wie du an den Schlüssel für die Kassette herankommen kannst. Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht. Dort neben dem Spiegel liegt ein Papiertütchen mit Pulver.“

      Benjamin stand auf und holte es. Das Tütchen war eines von der Sorte, in der Apotheker Medikamente in einzelnen Portionen verkauften.

      Rosalinde bestätigte seine Vermutung: „Das ist ein starkes Schlafmittel, das Mamschka manchmal nimmt. Ich habe es ihr stibitzt. Jetzt brauchst du nur noch eine Flasche Schnaps. Errätst du meine Idee?“

      Benjamin lachte, auch wenn ihm nicht wohl war bei dem Plan, den Rosalinde ausgeheckt hatte. „Ich verstehe“, versicherte er. Sein Herz schlug noch schneller als vorhin bei der Flucht aus dem Zelt. Hier eröffnete sich ihm ein Weg in die Freiheit. Eine Freiheit, die nicht ungefährlich war für einen wie ihn. Wie schlecht Grabow ihn auch behandelte, Benjamin war auf dem Rummel sicher vor Nachstellungen wegen seiner dunklen Hautfarbe. Wäre es nicht fahrlässig, diese Sicherheit aufzugeben?

      „Ich werde es tun“, beteuerte er noch einmal. Er war selbst überrascht über die Festigkeit in seiner Stimme.

      Zufrieden ließ sich Rosalinde zurücksinken. „Dann mach dich jetzt sofort daran!“, befahl sie.

      Trotz seiner Angst vor Grabow schlich sich Benjamin zurück zum Zelt. Die Petroleumlampen brannten noch. Zwischen den umgestürzten und zerschlagenen Stühlen lagen zwei Schnapsflaschen. Eine davon war nicht ausgelaufen, die nahm er mit. Schmeckte der billige Schnaps anders, wenn das Schlafpulver darin aufgelöst war? Benjamin öffnete das Papiertütchen und probierte eine winzige Menge des Pulvers. Es war sehr bitter. Blieb also nur die Möglichkeit, Grabow weiszumachen, dass der Schnaps bitter schmecken musste, weil er etwas Besonderes war.

      Im Mondlicht ging Benjamin über den dunklen Rummelplatz. Hier kannte er sich aus. Als Kind war er oft nachts aus dem Wohnwagen geschlichen, um sich draußen umzusehen. Es war dann so still und friedlich, ganz anders als tagsüber und abends, wenn Besucher über den Platz strömten. Nur die Gerüche hingen noch immer in der Luft: gebratene Wurst, Hustenbonbons, Pferdeäpfel. Er wüsste sogar mit geschlossenen Augen, wo er sich gerade befand.

      In einem Abfallkorb entdeckte er eine bauchige Flasche mit ausländischem Etikett. Vielleicht französisch, was bei Alkohol ja immer gut war. Er füllte den Schnaps in die bauchige Flasche um, ließ das Pulver aus dem Tütchen hinein rieseln und verkorkte die Flasche sorgfältig. Dann kehrte er ins Zelt zurück und versteckte sie.

      Die restliche Nacht verbrachte er unter Grabows Wohnwagen. Das tat er immer, wenn er sich dessen Zorn zugezogen hatte. Aus dem Stall, in dem die Zugpferde standen, holte er Stroh und breitete es unter dem Wagen aus. Er legte sich mit dem Bauch darauf, weil er es auf dem Rücken nicht aushielt, und hörte über sich Grabow randalieren. Als Grabow zu Schnarchen anfing, fand auch Benjamin ein wenig Schlaf.

      Am frühen Morgen, als es empfindlich kalt wurde, kletterte Benjamin in den Wohnwagen. Es sah wüst aus, wie gewöhnlich nach Grabows Wutanfällen. Grabow schnarchte fürchterlich laut. Der Schlüssel, den er an einer Kette um den Hals trug, hing seitlich aus dem Hemdkragen. Er war wie ein Kreuz geformt. Das verlieh Grabow das Ansehen eines frommen Mannes – zumindest bei Menschen, die nicht wussten, was dieses Kreuz in Wirklichkeit war.

      Benjamin wagte es nicht, dem Schlafenden die Kette mit dem Schlüssel über den Kopf zu ziehen. Grabow war unberechenbar und konnte von einem Moment zum nächsten hellwach sein.

      Leise legte Benjamin sich in sein Bett und schlief noch ein paar Stunden, bis Grabow gegen Mittag stöhnend erwachte und krächzend nach etwas zu Trinken rief.

      Benjamin brachte ihm einen Krug mit Wasser und ein Glas Kräuterlikör. Es gehörte zu seinen Aufgaben, dafür zu sorgen, dass immer ein Vorrat dieses leuchtend grünen, zuckersüßen Getränks vorhanden war. Der Likör war das Einzige, was Grabow über den morgendlichen Kater hinweg half.

      Als Grabow sich schließlich nach einem zweiten Glas aus seinem Bett hochwuchtete, hatte er die Ereignisse des Vorabends vergessen. Auch das war nicht ungewöhnlich. „Räum auf!“, knurrte er Benjamin an, dann verließ er schwankend den Wagen, um sich bei einem der Nachbarn ein Frühstück zu schnorren.

      Benjamin machte sich ans Säubern des Wagens, wobei er auch die Eisenkassette unter dem Schreibtisch abwischte. Sie war etwas größer als ein Schuhkarton und aus dickem Blech gefertigt. Das Schloss war eine Schweizer Spezialanfertigung, das behauptete Grabow jedenfalls.

      Mit einem kräftigen Ruck hob Benjamin die Kassette einen Fingerbreit hoch. Mehr ließ die Eisenkette nicht zu, die als Schutz vor Dieben an beiden Seiten angeschweißt war. Diese Kette führte durch ein Loch im Boden nach unten und kam zwei Schritte weiter wieder hoch. Sie bildete also eine Schleife unter dem Wagenboden. Ein Dieb musste entweder die stabile Kette durchtrennen oder den Boden des Wagens mit einer Axt zerschlagen, wenn er die Kassette stehlen wollte. Grabow war selbst ein Gauner, deshalb wusste er, wie man sein Eigentum wirkungsvoll schützt.

      Nur wenige Male hatte Grabow die Kassette in Benjamins Gegenwart geöffnet. Sie enthielt Papiere und ein paar Gegenstände aus Grabows Vergangenheit. Manchmal legte Grabow auch wertvolle Hehlerware hinein, bis er einen Abnehmer dafür fand.

      Nachdem der Wohnwagen wieder bewohnbar war, ging Benjamin hinüber zum Zelt. Dort musste alles für die erste Vorstellung hergerichtet werden. Als er das Zelt durch den Hintereingang betreten wollte, hörte er Grabows Stimme. Benjamin duckte sich, um von niemandem beim Lauschen gesehen zu werden, und hörte zu.

      „Ich bin im Moment nicht flüssig“, sagte Grabow gerade. „Einen Teil des Schmucks kann ich nur in Kommission nehmen.“

      „Darauf können wir uns nicht einlassen“, antwortete eine Männerstimme. Es war der Diener vom Vortag, der gestohlene Ware loswerden wollte. „Auf Wiedersehen.“

      „Nicht so hastig! Wir können uns vielleicht einigen.“ Grabow wusste, wie man einen Fisch an der Angel zappeln ließ.

      Eine Frauenstimme sagte: „Georg, wir brauchen das Geld sofort. Wir müssen Hannover heute noch verlassen. Die Prinzessin ...“

      „Still, mein Herz. Wir werden jemand Anderen finden,

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