Wenn alles in Scherben fällt. Wolfgang Kirchner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wenn alles in Scherben fällt - Wolfgang Kirchner страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Wenn alles in Scherben fällt - Wolfgang Kirchner

Скачать книгу

der Wiese haben die Russen ein Lagerfeuer gemacht. Am Spieß über dem Feuer braten Hühner. Die Russen, die um das Feuer herumsitzen, springen auf, als ein Panjewagen, der Kisten, Säcke und Fässer geladen hat, in den Garten fährt. Jeder bringt einen Eimer, eine Schüssel herbei – einer hält den riesigen Meißener Teller hoch, auf dem Klara immer das Obst servierte.

      „Sie haben unsere Küche geplündert!“ schimpft Diti.

      Der Soldat auf dem Panjewagen verteilt Mehl, Butter und Eier. Eine gewaltige Bratpfanne wird herbeigebracht.

      „Die machen Pfannkuchen!“ sagt Diti. „Das muss ich sehen!“

      „Ob die uns was abgeben?“ frage ich. Doch bis die Pfannkuchen gebacken sind, kann Diti nicht warten. Auf dem Johannisberg fahren Panzer vorbei. Die will er von nahem sehen. Aber auch die Panzer interessieren Diti nicht mehr, als ein kleiner Trupp russischer Soldaten mit einer Kuh aus dem Jäschkentaler Wald kommt. Mitten auf der Straße, gegenüber unserem Haus, erschießt ein Soldat die Kuh mit seiner Pistole. Ein anderer sticht mit einem langen Messer in ihren Hals und fängt das Blut in einem Eimer auf. Im Nu ist die Kuh abgehäutet. Einer der Russen hat einen großen Kugelkessel aus blankem Kupfer herbeigeschafft. Den stellt er auf einen Dreifuß und macht Feuer darunter. Jemand bringt einen Eimer Wasser und schüttet es in den Kessel. Kaum ist die Kuh ausgenommen, säbelt einer der Russen große Stücke herunter und wirft das Fleisch ins Wasser, das schon zu dampfen beginnt. Er gibt uns zu verstehen, wir sollen hierbleiben, gleich würden wir eine Kostprobe kriegen. Als er sich eine Zigarette dreht, will Diti es ihm nachmachen. Beim ersten Mal klappt es nicht, und der Russe lacht. Er dreht Diti eine Zigarette und flucht, als Diti den Tabak, der aus Krümeln und Stängeln besteht, zur Hälfte verschüttet. Wir hocken uns am Feuer nieder; der Duft, der aus dem Kupferkessel steigt, macht uns hungrig.

      Dorothee, meine neunjährige Schwester, kommt aus dem Haus und zieht Diti aufgeregt am Arm. „Du musst schnell kommen!“ sagt sie ängstlich.

      Wir laufen zurück ins Haus und schauen uns in den Zimmern um. Die Jalousien, die durch den Luftdruck einer Bombe aus ihrer Verankerung gerissen wurden, hängen schief vor den Fenstern. Daher ist es in den Räumen ziemlich dunkel. Russen stapfen über Berge von Büchern, über zerbrochenes Geschirr, Scherben von Kristallgläsern, über Gemälde, die von der Wand gerissen sind, über Tischdecken, Bettzeug, Fotoalben, Matratzen und Teppiche und stochern in alldem mit ihren Gewehren herum. Ein Soldat reißt Hemden, Pullover, Strümpfe und Hosen aus einem Wäscheschrank, auf der Suche nach verborgenen Schätzen. Um im halbdunklen Zimmer besser sehen zu können, zündet er ein Streichholz an und hält es so lange, bis er sich die Finger verbrennt, dann lässt er es fallen. Sofort entsteht am Boden ein kleines Feuer. Diti tritt es aus. Der Russe geht nach nebenan und durchwühlt einen anderen Schrank, in dem vor ihm viele herumgestöbert haben.

      „Geht hinter ihm her!“ sagt er zu Dorothee und mir, und als wir zögern, weil wir Angst vor den Russen haben, schreit er uns an: „Schnell! Ihr seht doch, gleich brennen sie uns das Haus ab! Tretet die Streichhölzer aus!“

      Also trampeln wir hinter dem Russen her und treten auf brennenden Papieren und Stoffen herum. Immer neue Russen kommen herein. Unser Haus lockt ganze Kompanien an, sie scheinen bei uns sagenhafte Reichtümer zu vermuten.

      „Barbaren“, nennt Diti die Russen, „kulturloses Pack!“, weil sie Bücher aus den Regalen reißen und zu Boden werfen, weil sie auf Ölgemälden herumtrampeln. Aber wenn einer sich an Mamas Flügel setzt und eine Etüde von Chopin spielt, dass es durchs ganze Haus schallt, staunt Diti. Er lacht mit den Rotarmisten, wenn sie ihm Zigaretten drehen und der Machorka seine Kehle so reizt, dass er mit Husten nicht aufhören kann. Wenn er ihren Ruf hört: „Komm, Frau!“, wird Diti wütend und nennt sie Schweine. Mir geht es wie ihm – mal fürchte ich mich vor ihnen, mal lache ich über sie.

      Von einem der Russen wird Diti gepackt. „Uri!“ Diti trägt keine Armbanduhr; rechtzeitig hat er sie versteckt. Er zeigt dem Russen die nackten Handgelenke. Der Russe besteht auf einer Uhr. Da sagt Diti: „Komm mit, Russki!“ Und führt ihn in Papas Arbeitszimmer. Auf einem der Bücherschränke steht eine schwere alte Messinguhr mit breit ausladendem, unförmigem Zierrat. Die Regalböden als Leiter nutzend, klettert Diti hinauf, packt die Uhr und reicht sie dem Russen herunter. Der hält das für einen schlechten Scherz. Was soll er mit dem schweren Ding anfangen? Er wirft die Uhr wütend zu Boden. Und weil er denkt, Diti habe ihn zum Narren gehalten, tritt er mit dem Fuß nach ihm und flucht drohend hinter uns her, als wir uns vor ihm in Sicherheit bringen.

      Mit Diti fliehe ich die Treppe hinunter in den Keller. Auch hier überall Russen. Einer wühlt im Dunkeln zwischen den Kostbarkeiten, die Klara für Zeiten der Not gehortet hat: Gläser mit Obst aus unserem Garten, Kompott in zellophan-bespannten Töpfen, Fleisch, ganze Hühner in Weckgläsern, sorgfältig beschriftet. Mit Eingemachtem können die Russen wenig anfangen. Krachend fallen die Gläser zu Boden. Unsere Fleischvorräte sagen ihnen mehr zu. Sie schneiden die Würste mit dem Seitengewehr vom Haken und gehen zufrieden hinaus.

      Bald ist im Keller kein Durchkommen mehr. Was in Kisten und Koffern sorgfältig verpackt war, liegt verstreut am Boden, vermischt mit dem Inhalt und den Scherben der Weckgläser. Papas Weinvorräte sind längst verschwunden. Nur die Kommissbrote werden nicht mitgenommen. Brot haben sie selber. Schnaps suchen sie. Es heißt, sie trinken alles, was Alkohol enthält, sogar Haarwasser und Parfüm…

      Einen Russen hören wir auf Klara einreden: „Komm, Frau!“ Klara schreit um Hilfe. Aber der Russe will etwas anderes, als Klara befürchtet. „Schlüssel!“ sagt er immer wieder und zeigt nach oben. Klara soll ihm folgen, soll oben einen Schrank aufschließen, in dem er ein Schnapslager vermutet.

      Im Esszimmer steht Mamas kostbares Büfett aus Birkenholz, daran rüttelt der Russe, es klirrt und klingelt darin, als sei der Schrank voller Flaschen. Klara ist so durcheinander, dass sie den passenden Schlüssel nicht gleich findet. Der Russe kann nicht warten. Er steckt sein Bajonett aufs Gewehr und sticht mit dem langen Messer ins Schloss. Splitternd öffnen sich die Türen: Nichts als Kristallgläser und leere Karaffen. Enttäuscht schlägt der Russe mit der Faust zwischen all das leere Glas, in hohem Bogen fliegt kostbares Kristall durchs Zimmer. Zum Glück lenkt ihn der Zipfel eines Teppichs, der unter dem Unrat am Boden hervorragt, von uns ab, er zerrt den Teppich ans Tageslicht, findet Gefallen an ihm, rollt ihn zusammen, wirft ihn sich über die Schulter und geht aus dem Haus.

      4.

      Nachts sind alle Russen betrunken. Sie kommen zu uns in den Keller und wollen die Frauen herausholen. Wir schreien uns die Kehlen heiser nach unserem Kommandanten, doch der lässt sich nicht sehen. Mit einem der Russen kämpft Papa um Klara. Fast hat der Russe sie schon am Arm aus dem Luftschutzkeller gezerrt. Papa bittet und fleht und hält die gellend schreiende Klara am anderen Arm fest, wird dabei immer weiter in den Kellerflur gezogen, weg von uns Kindern, die den Erwachsenen mit dem Hilfeschrei „Kommandant, Kommandant!“ Schutz zu geben versuchen.

      „Diti!“ ruft Papa in den Luftschutzkeller, „Diti!“ Der hat sich hinter einem Pfeiler verkrochen und ist in tiefen Schlaf gefallen, als einziger von uns. „Diti, du musst sofort aufstehen, du musst jetzt helfen!“

      Taumelnd kommt mein Bruder hinter dem Pfeiler hervor.

      „Hilf uns“, sagt Papa, „hol den Kommandanten!“

      Diti rennt los – und ich hinterher, an dem Soldaten vorbei, gegen den Klara sich immer noch wehrt. Wir jagen die Treppe hinauf, stolpern oben im Dunkeln über schlafende Russen. Im Wohnzimmer schläft der Offizier, der uns Schutz zugesagt hatte, auf dem Sofa. Wir erkennen ihn an den breiten, mit allerlei Zeichen geschmückten Achselklappen, an den vielen Orden auf der Brust.

      Diti

Скачать книгу