Die Banalen und die Bösen. Jannis Oberdieck

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Die Banalen und die Bösen - Jannis Oberdieck

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versprechen wohltuend gekühlten Innenraum, im Vorbeigehen verdunkelt sich jedoch eine dieser Scheiben noch weitergehend: Schemenhaft winkt jemand mir zu. Ehe Roman, vom Kofferraum zurück, mir den Wagenschlag öffnet, prüfe ich daher eiligst den Sitz meiner Krawatte.

      Natürlich habe ich mich für dieses Wochenende herausgeputzt: bester dunkelblauer Anzug (nur in direktem Sonnenlicht von Schwarz unterscheidbar), Hose mit perfekter Bügelfalte dank neuem Bügeleisen mit Wasserdampf, glänzend schwarze Schuhe. Um die etwas unscharfe Grenze zwischen seriös und düster nicht zu überschreiten, dazu als kleiner Kontrapunkt eine schräggestreifte Krawatte in Gold-Weiß-Rot, kleiner Ausdruck leicht patriotischer Lebensfreude sozusagen. Entsprechend verstimmt bin ich, dass unser zweiter Fahrgast exakt dasselbe Outfit trägt.

      Dieser, einen kurzen Moment lang ebenfalls irritiert, winkt mich heran: »Kommen Sie, kommen Sie, die Bordbar ist hervorragend.« Das im ersten Schreckmoment bitter kalte Innere übertrifft kühnste Ausstattungsträume schwülstiger Science-Fiction-Filmer bei weitem: spacige Fantasia aus blau-lila beschienenem Schwarz-Weiß in Leder und Plastik, durchgängig weich-gequollene Schlangenlinien statt harter Kanten. Rechts in ganzer Länge ein Ledersofa, auf dem notfalls bis zu fünf Personen bequem nächtigen könnten, links das geschwungene Buffet aus glitzernden Kristallgläsern, Flaschenhälse ragen aus eingelassenen und noch immer randvoll mit Eis bestückten Kübeln, auf oberer Anrichte drängen sich einem Entchenschwarm gleich absurd viele Schalen mit kunstvoll gefalteten Servietten, deren Zweck mir unerfindlich ist. Orange-gelb spielen warme Lichter entlang des geriffelten Wagendachs, der Boden hingegen entschwindet in nachtblauem Samt, Sonnenuntergang verewigt quasi. Aus allgegenwärtigen Lautsprechern dringt dezent klassischer Walzer, Strauss vielleicht, und Monitore zeigen einen strahlend-klaren Himmel über uns, der während der Fahrt wohl, ja was? an uns vorbeiziehen wird? Berückendes Eingeständnis, dass links und rechts optisch die Umgebung nicht viel bietet, Mannheimer Spezialität vielleicht.

      Durch diese epiphanische Entrückung in echtes AMBIENTE schon leicht desorientiert, gibt mir die Sitzanordnung zusätzliche Rätsel auf: keinerlei gegenüberliegende Plätze? Lungert man hier zu mehreren ganz zwanglos auf der Couch herum, ohne sich mit mehr als direkten Nachbarn unterhalten zu können? Wie zuverlässig des Menschen Geist auch fremdeste Welten in stets dieselbe Hölle zu verwandeln weiß! Entscheide mich schließlich für eine seitliche Position, rechtes Bein angewinkelt auf dem Sofa gen Gesprächspartner, auch wenn dies einem mahnenden Abstandhalter gleicht. Sobald ich sitze, startet Roman den vorne leis und wunderbar rund laufenden Motor, über Kamera also offenbar auf dem Laufenden, sanft vibrierend schwenkt unsere Landschaft insgesamt gemächlich aus nach links.

      Mein Mitentrückter hingegen hat sich für die klassische Schulsitzposition entschieden, aufrecht-frontal gen Monitor, Knie aneinandergelegt und ohne Kontakt zur Sofalehne, was seinen beneidenswert geraden Rücken gut zur Geltung bringt. Findet offenbar hinreichend Halt an sich selbst, kann jedoch dadurch positionsbedingt den Kopf nur halb bis zu mir wenden. Ich schätze ihn auf Anfang 60, straff und durchtrainiert: kurze weiße Haare in hübschem Kontrast zur Sonnenbräune, randlose Brille, teure Uhr und funkelnde Goldzähne verkünden gehobenen Wohlstand. Hält ein Glas mit goldenem Whisky auf dem rechten Oberschenkel in Balance, darunter sorgsam eine drapierte Serviette für etwaige Straßenunebenheiten – offenbar sind diese Dinger also dazu da. Souverän bis entspannt, mit deutlich eleganter geschnittenem Anzug, wie ich widerwillig anerkennen muss.

      Allem Anschein nach ist mein Gegenüber zum selben Schluss gekommen und lächelt mir nun aufbauend zu, vielleicht hat sein Whisky ebenfalls Anteil daran. »Darf ich Ihnen einen ganz exquisiten Tropfen empfehlen nach der langen Fahrt?«, beginnt er die Konversation in geübt-wohltuender Manierlichkeit. Er hat eine schöne Hand, ebenfalls gut gebräunt, von der sich weiße Behaarung flaumig abhebt, streckt sie bereits in Richtung eines Flaschenhalses, der deutlich eher in seine Reichweite ragt denn in meine. »Sie mögen es doch torfig?«

      Ich nicke unwissend und schiele aufs Etikett: Lagavulin Distillers Edition, ist das Single Malt oder Blend? Schön bernsteinfarben im Glas, Geruch nach ostfriesischem Tiefland im Regen. Beim ersten Schluck glaube ich jedoch, versehentlich in einen Torfkanal gebissen zu haben. Dann kommt langsam und weich die alkoholische Schärfe durch, exquisit! Getönte Scheiben lassen derweil die wirklich trostlose Betonfläche des Europaplatzes Mannheim draußen, sinnbildhaft bis ins Extrem, lediglich in gnädiger Erahnbarkeit vorbeiziehen. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Wolfgang Stritter, Rechtsanwalt, Mitglied des evangelischen Laienkirchenrats und seit neuestem MdB für die Christliche Partei.« Trotz sanfter, wohlüberlegter Stimme streckt er mir äußerst zupackend die Hand kräftig entgegen, ich ergreife sie schlaff mit der eigenen. Das Schütteln besorgt Herr Stritter und ich stelle erleichtert fest, dass nichts weh tut.

      »Müller, Martin Müller. Staatssekretär im Umweltministerium, sehr angenehm...« Es ist mir immer peinlich zu erzählen, womit ich mein Geld verdiene, normaler Weise kennt sich aber kaum jemand gut genug aus. »Staatssekretär? Mit welcher Parteizugehörigkeit?« In Stritters Frage liegt auf einmal Taxierendes. Eine Augenbraue ist im Alleingang hochziehbar wie bei Mr. Spock.

      »Ganz ohne. Ich wurde vor fünfzwanzig Jahren direkt von einer NGO angeworben«, und versuche, es möglichst beiläufig klingen zu lassen. Tatsächlich entspricht es nämlich nicht so ganz der Wahrheit: Damals war ich noch überaus aktiv in meiner Partei, verfasste sogar den Umweltteil ihres Wahlprogramms, Landtagswahl immerhin. Aber meine Chefin kam, sah und strich alles restlos aus zugunsten irgendeines Themas, das gerade frisch en vogue zu werden begann, Babywale vielleicht, letztlich war´s ein Rohrkrepierer. Eine Woche später dann regte sie sich bei mir auf, da die Parteiführung unser Wahlprogramm lieber doch einer Werbeagentur anzuvertrauen beschlossen hatte. Das war für mich der Punkt, an dem mein Vertrauen ins politische System endgültig seinen Geist aufgab. Seither werde ich mit etablierten Parteien nur ungern noch in Verbindung gebracht.

      Stritter immerhin zieht anerkennend wieder diese Braue hoch: »Vor fünfzwanzig Jahren? Dann sind Sie ja Vollprofi. Immer aufregend, jemanden zu treffen, der so viel Einblick hat.«

      Aufregend? Wie unbeleckt kann man sein? Sonst ja eher der Kampfschrei parlamentarisierter Lämmer. Sortiere daher rasch: Seit kurzem Mitglied des Bundestags für die Christliche Partei, muss heißen: seit fünf Wochen, seit unser Bundestag fast so groß geworden ist wie das Parlament der EU. Merke: Je größer ein Parlament, desto weniger kann es eine Regierung effektiv kontrollieren. Zudem sehr aktiv in der Kirche, also als Kandidat für den Teil der Partei aufgestellt, dem radikaler Ausverkauf an „die Wirtschaft“ missfällt. Ein Mann mit Wert­überzeugungen demnach, was fürs Herz. Außerdem fällt er als praktizierender Rechtsanwalt schon mal aus unserem Parlamentsdurchschnitt von unter einem Jahr Berufserfahrung außerhalb der Politik heraus. Wahrscheinlich ist er den üblichen Weg aller Unbequemen gegangen, weggelobt nach Berlin: Versprechen von politischer Mitgestaltung auf höchster Ebene, idealistische Zielvorstellungen als Bereicherung für den Hauptstadtbetrieb, dafür Entwurzelung vom sozialen Umfeld akzeptiert. Muss wohl erst noch erfahren, dass Fraktionszwang dort gilt und man sich ansonsten schnell auf der EdeKa-Liste (Ende der Karriere) wiederfindet. Wirkt jedoch bislang erstaunlich angstfrei, offenbar also noch nicht durchs Gehorsamkeitsprinzip auf Spur gebracht, Altersvorsorge zugleich gesichert. Was macht eine potentielle Tretmine wie er hier?

      Also sondiere ich bedächtig, um ihn zum Sprechen zu kriegen, im Zweifelsfall lieber Informationen einholen als geben: »Ich glaube, ich habe Ihren Namen schon einmal irgendwo gehört... liegt mir auf der Zunge. Sind Sie nicht in einem Ausschuss tätig?« - Das ist schließlich früher oder später jedes neue MdB: immer in der Hoffnung, zumindest durch Ausschussarbeit mitgestalten zu können, Grundlagenexpertisen für Fraktionszwang schaffen usw. Bis letztlich die nüchterne Erkenntnis einsetzt, dass diese verordneten Abstimmungen zumeist bloß einer Willkür von Fraktionsführungen oder laienhaften Festlegungen im Koalitionsvertrag entspringen und man Jahr für Jahr noch nicht einmal Rederecht im Bundestag zuerteilt bekommt, um gelegentlich abfallende Ergebnisse vorzustellen. Bis man merkt, letztlich auch hier nur Stimmvieh zu sein, Parteisoldat vielleicht. Aber Appelle an Ego und Verantwortungsbewusstsein entzünden

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