Die Banalen und die Bösen. Jannis Oberdieck

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Die Banalen und die Bösen - Jannis Oberdieck

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Ewigkeit ein offener Wandschrank als Garderobe, derzeit ungenutzt. Zu beiden Seiten führen schneeweiße Türen weiter hinauf in die Flügel des Hauses.

      »Hier gegenüber geht es in den Salon, in dem wir uns treffen, sobald Sie ausgepackt haben. Beeilen Sie sich besser ein wenig, sonst sind die Leckereien schon alle weg, nicht wahr?«, lacht Ingo vertraulich, während er Richtung Glaswand fuchtelt. Das nützt ihm wenig: »Ich sehe, Sie halten es eng mit der Bibel«, erwidert Stritter gut gelaunt. »Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Johannes 6, 35.« Allmählich zeigen sich erste Anzeichen ernster Besorgnis auf Ingos Antlitz.

      Dennoch geleitet er uns tapfer rechter Hand eine elegant geschwungene Treppe in Weiß und Gold empor in einen Flur, der ein einzig Traum unschuld´gen Weißes ist: Wände, Decke, Boden (Marmor), Fuß- und Zierleisten wie reinster Schnee. Zwischen den ebenfalls intensiv kreidebleichen Türen zu beiden Seiten in regelmäßigen Abständen schlank glasierte Keramikvasen, die mir bis zum Kinn reichen. Farblich fügen sie sich derart ideal in ihre Umgebung, dass das Dunkelgrün ihrer Bepflanzung (Zantedeschien und Orchideen in Weiß) sofort mein Auge fängt. Auch hier kommt wieder alles Licht aus einer großzügig verglasten Stirnwand, die auf einen Südbalkon führt. Im Gegenlicht verstärkt sich der Eindruck blendenden Weißes sogar: So mag es aussehen vielleicht, wenn man am Ende seines Lebens aufbricht ins Licht. Erlebnisarchitektur, auf die jeder Sektenführer stolz wär.

      Dieses leichte Versprechen eines nachfolgenden Paradieses wird vom Zimmer, das man mir zuweist, durchaus solide gehalten. Der Raum läuft aus in einen fünfeckigen Fenstererker vom Boden bis zur Decke in der Größe eines kleinen Wintergartens, davor als Blickfang eine Sitzecke mit gemütlichem Vintage-Sofa in bunten Längsstreifen nebst Zimmerpflanze und goldenem Kerzenleuchter. Fernerhin gibt es einen Bücherschrank (Bestseller, Ayn Rand in der Werkausgabe, wirtschaftliche Fachbücher und Managementratgeber) sowie ein freistehendes Himmelbett in Weiß und Gold, werde also schlafen wie eine Märchenprinzessin. Und selbstverständlich hat auch mein Zimmer angrenzend einen eigenen Traum von Weiß in Gestalt eines Badezimmers mit geschwungenen Wänden und großzügig platzierten Zierpflanzen. Weniger ein schlichtes Bad als vielmehr ein Tempel der Körperpflege mit Fußbodenheizung und dem leicht schweren Duft von Kiefernadeln.

      Beim Auspacken stelle ich fest, dass im begehbaren Wandschrank bereits flauschige Bademäntel in unterschiedlichsten Größen hängen, zudem Badeanzüge und Tenniskleidung. Sobald alles verstaut ist, trete ich in den Ausblickserker und stelle dabei irritiert fest, dass ich mich wesentlich aufrechter halte als gewohnt, ein wenig gewachsen vielleicht sogar. Kein Wunder, alles hier schreit ja förmlich: Dein Körper muss atmen, du sollst dich nicht ducken, wertvoll bist auch du. Wie es wohl wär, wenn man auf Dauer in solch Räumlichkeiten lebte? Was für eine neue Art von Mensch daraus entstände? Schade, dass derartige Anwesen oft im Besitz eben jener Leute mit dem geringsten Besserungspotenzial sind.

      Durch fünf Fenster gewinne ich einen guten Überblick über das Gelände hinter dem Haus, die Arena meiner vielleicht bevorstehenden Schlachten. Auf einer hochherrschaftlichen Terrasse mit Sonnendach kämpft Ingo soeben mit dem Aufbau eines Kugelgrills, Anleitung vermutlich wieder nur in Form von Piktogrammen, Hieroglyphik nichts dagegen. Links hinten auf dem Tennisplatz toben sich der Hitze zum Trotz unerschütterlich und unverstehbar zwei Gestalten in Weiß aus, rechts glitzert und gleißt hingegen gänzlich unberührt ein Swimmingpool in allmählich tiefer wandernder Sonne. Kieswege führen auch hier durch ein weitläufiges Parkgelände blühender Landschaften, diesmal sogar mit zum Lustwandeln ladenden Springbrunnen und Bänken. Auch ein Minigolfgelände kann ich erkennen und irgendwo dahinter das Funkeln glänzenden NATO-Drahts, welches die Außenmauer markiert. Hatte die Backhus nicht von echtem Golf gesprochen? Alte Aufschneiderin, aber wirklich.

      Dann straffe ich mich: Zeit, hinunterzugehen und Dingen ins Gesicht zu sehen, trotz wohltuender Kühle hier drinnen und faulmachender Hitze draußen. Auch wenn alles hier so schön scheint, dass ich das deutliche Gefühl bekomme, nicht hierhinzugehören. Um mich zu kräftigen, fällt mir dennoch ein aufbauender Gedanke ein: Früher waren es Adel und Kirche, in denen sich Korruption sammelte, bis sie zu Gebilden anschwollen, die die Länder stetig stärker auspressten und, schnöden eigenen Vorteils wegen, in sinnlose Kriege trieben. Heute scheinen immer mehr, leider, unsere demokratischen Parteien deren Nachfolge angetreten zu haben. Dafür haben sie länger gebraucht als der durchschnittliche Adel und kürzer als die durchschnittliche Kirche, somit stehen wir insgesamt gesehen letztlich gar nicht schlecht da. Mal sehen, wie ich als Einzelner mich schlagen werde mit innerem Bekenntnis zu eben demokratischen Prinzipien als Wappen.

      7 - Pläne für eine neue Welt

      Die Terrasse der Villa liegt ein wenig erhöht, wie ein Balkon von schneeweißer Balustrade in geschwungenem Stein gerahmt. Über ihr durchsetzt sich der Geruch frischgemähten Grases bereits mit erstem Grillrauch unter orange-gelbem Sonnendach, beiderseits nur noch grenzenloser Himmel darüber, angenehm-provisorisches Zeltlager-Ambiente darunter, leider schweißtreibend heiß trotz Ventilator. Daher haben alle bereits ihre Jacketts ausgezogen und Ärmel hochgekrempelt, als stände die große Verbrüderung bevor.

      Auf der anderen Seite unseres hitzegeplagten Tisches unterhält sich Stritter gerade angeregt mit einem Herrn Anfang 50, der sich mir als Dr. Günther Musmann, binnenmarktpolitischer Sprecher des EU-Parlaments, vorgestellt hat. Ebenfalls Christliche Partei. Er macht einen freundlich-zurückhaltenden, fast schon etwas sanften Eindruck. Halbglatze und Vollbart unterstreichen die grundsätzliche Eierform seines Schädels, Augenbrauen permanent betroffen hochgezogen kräuseln seine Stirn in fast klingonischen Falten - bis hin zu jener polierten Stelle jedenfalls, an der sich die Sonne noch schweißbeperlt spiegelt. Gemeinsam untersuchen sie einen Halter für Grillsaucen und versuchen, aus exotischen Namen Rückschlüsse über ungefähre Geschmacksrichtungen abzuleiten.

      Daneben sitzt ein äußerst seriös wirkender Herr, der sich mit Ingo über Sport austauscht und zu kurzen, explosiven Zurschaustellungen von wechselweise Empörung und Häme neigt: Heinrich Krampfhorst, MdB für die Frühere Arbeiterpartei, die Liste der Sozialdesolaten, aus dem Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Hager und drahtig, kurz-graues Haar, schmales Gesicht mit hörnerner Brille: Irgendwie wirkt er ausgezehrt und steht offenbar stark unter Strom. Musmann und Krampfhorst tragen jeweils die Reste grauer Anzüge mit unterschiedlichen Modeverbrechen als Krawatten.

      Ein wenig abgeschlagen im Einzelsessel macht sich Amalia Metzger, MdB für die Umweltpartei aus dem Ausschuss für Werbung, Verkehr und digitale Infrastruktur (mit Anfang 40 die jüngste außer Ingo) energisch über eine Zusammenstellung unterschiedlichster Salate her. Sie trägt eine knallrote Bluse über weißem Hemd, am Hals baumelt stilisiert ein Bronzedelphin, Gesichtszüge weitgehend in pampig-herabgezogenen Mundwinkeln erstarrt. Keinerlei Makeup, der Topfschnitt ihrer blonden Haare lässt auf eine eindeutige Präferenz für innere Werte schließen. Momentan schwitzt sie lieber still vor sich hin.

      Meine Wenigkeit gibt sich derweil damit beschäftigt, überbackenen Schafskäse auf Baguette zu streichen und mit gut eingedrückten Oliven zu garnieren. Dabei lausche ich dem Summen der Bienen und vor allem erneut dem Lied der Vögel, sogar eine Gartengrasmücke schon entdeckt. Ein bisschen mache ich mir zwar Sorgen, dass die anderen mich für arg beschränkt befinden, weil ich so lange autistisch mit diesem Baguette herumfuhrwerke, doch erstmal halte ich den Kopf noch lieber eingezogen. Sobald ich aufsehe, wird mich zumindest die Metzger in ein Gespräch verwickeln, diesen Trick kenne ich bereits.

      Vom Tennisplatz kommen nun die beiden letzten Mitglieder unserer Gruppe geschlendert, ein äußerst ungleiches Paar. Er Ende 40, sportlich, sonnengebräunt, idealer Schwiegersohn. Noch nicht einmal ihr Match hat seine perfekt sitzenden Haare in Unordnung bringen können. Die Frau daneben ist mindestens zehn Jahre jünger und so füllig, dass sie wohl ihre eigenen Tennissachen mitbringen musste. Sie lacht schallend und stößt ihrem Partner den Ellbogen in die Rippen, dass dieser einen Meter zur Seite

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