Die Banalen und die Bösen. Jannis Oberdieck

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Die Banalen und die Bösen - Jannis Oberdieck

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und Atemwegserkrankungen, in Tierversuchen eindeutig auf bestimmte Kombinationen neuer Gene rückführbar. Die Grenzen zwischen gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln und biologischen Kriegswaffen seien somit durchlässig geworden, wie Stritter sich zusammenfassend ausdrückt.

      Jetzt schenke ich mir doch nach. Mein Mitreisender ist klug und engagiert, da lässt sich nichts sagen, offenbar lediglich ein wenig verspielt, etwa wie Katzen mit ihren Mäusen. Außerdem sind wir gerade schon an Sinsheim vorbei, durch die getönte Scheibe erhasche ich noch einen Blick auf das Automuseum: 50.000 m², 365 Tage im Jahr geöffnet, mit Spielplatz zur Entsorgung von gelangweiltem Nachwuchs, während die Ehefrau dankbar in der Kinderwagen-Ausstellung verschwindet. Nun aber ist es allmählich an der Zeit für Stritter, Karten auf den Tisch zu legen: »Herr Stritter, ich verstehe langsam immer weniger, warum ausgerechnet Sie sich von der PrimAct einladen lassen.«

      Das Mitglied des Bundestags und des evangelischen Laienkirchenrats lächelt versonnen. »Haben Sie denn nie Sunzi gelesen? Kenne deinen Feind. Sechstes Jahrhundert vor Christus.« Und mit diesem unchristlichen Zitat prostet er mir zu. In mir hingegen gärt es. Ist das wirklich... doch, im Grunde ist es Stritter zuzutrauen, dass er aus reiner Streitlust nach Heilbronn reist. Ein bisschen Krawall stiften. Für mich wäre es dann vermutlich besser, am Ziel Distanz zu halten. Aber mit etwas Glück bricht dieser Rechtsanwalt dabei auch die ein oder andere interessante Diskussion vom Zaun.

      Allmählich harre ich der kommenden Dinge in Spannung.

      6 - Visionen blühender Landschaften

      Bereits zwanzig Kilometer vor Heilbronn biegt unser Wagen ab, rechts Industriepark, links Felder. Durch blöd-getönte Scheiben sieht es aus wie Sommerweizen, mit Mohn dazwischen bestimmt wunderschön. Dunklere Felder wahrscheinlich von der immer allgegenwärtiger werdenden Futterpflanze Mais erobert, muss man nicht sehen. Immer mehr ragt an nutzenmaximierter Agrarlandschaft zu beiden Seiten auf, eine weitgehend unbewegliche Masse steht lauernd Spalier, während wir über stetig kleiner werdende einspurige Straßen tiefer in das Herz dieses Futterlands brettern. Der letzte Feldweg schließlich biegt unvermittelt ab zu einer vier Meter hohen Ziegelmauer mit NATO-Draht: Roman hält vor schmiedeeisernem Tor und zieht seine Karte durch ein Lesegerät, schwer gleiten beide Flügel auseinander.

      Nun zeigt unser Monitor nicht mehr makelloses Azur, fahrerseits umgeschaltet auf Frontkamera. Blass-gelbe Klinkersteine winden sich dort einen gepflegten Park hinauf mit deutlich überzogenem Gestaltungswillen: Miniaturhecken fassen rahmenartig Grasquadrate ein, in deren Mitte rund geschnittene Heckenpflanzen wie grün überwachsene Findlinge thronen, Omphaliten in Serie. Eindeutig das Boskett eines Neobarockgartens, dessen Parterre ansteigend schon vor uns protzt: ornamentale Rasenflächen in trendigem Mandalamuster, einfarbig schreiende Broderie-Blumenrabatten dazwischen versetzt, vorwiegend in Klatschrot. Bunter Kies ahmt Stickmuster nach, fürs Vertikale ragen in Formschnitt gebrachte Buchsbäume als figurine Türmchen oder Stapelware empor. Nur für Wasserspiele hat´s wohl nicht gelangt: Ludwig XIV. wäre bestimmt nicht amüsiert. Wurde Mannheim selbst, olle Quadratstadt, nicht ursprünglich als äußerster Ausläufer eines solchen Parks konzipiert?

      Natürlich läuft diese gesamte Park- und Prahlanlage zu auf unser alles überragende Ziel, follow the yellow brick road, bestehend aus zweistöckig kubistisch-wertvollem Haupthaus voller Giebel, dreieckiger Dächer und Balkone nebst zweier einstöckiger Flügel im stumpfen Winkel als Knie. Wände in blassem Rosa, Dachziegel in verspieltem Blau: entfesselt dräuende Architektur als Spinne in ihrem Netz angeberischer Verschwendung. Während noch der Wagen zunehmend steilere letzte Dekameter erklimmt, können wir bereits ein Eingangsportal erkennen, das in die keck und unkonventionell mittig vorragende Ecke des Haupthauses eingelassen wurde, hinter drei runden Säulen als Kontrapunkten. Hier hat sich, scheint´s, ein Baumeister verewigt, indem er die Ketten lebenslanger Sachzwänge sprengte.

      Sobald Roman den Schlag öffnet, versetzt mich sanftes Zwitschern von Singvögeln aus dem den Garten umfassenden Baumbestand in unerwartete Seelenruhe: Im Hintergrund natürlich das tiefere Tschilpen einiger Amseln, von links punktiert durch Trommelwirbel eines Buntspechts, vereinzelt ebenso klarer harter Finkenschlag, Feldsperlinge vielleicht oder Gartenrotschwänze (da bin ich immer unsicher), darüber variationsreiche Triller einer Blaumeise und natürlich kaskadierend ein Zaunkönig obendrauf. Die Sonne jedoch knallt gleich beim ersten Schritt nach draußen dermaßen auf den Schädel, dass jeglicher Gedanke an Anspruch und Arbeit spornstreichs gebrutzelt wird. Unbedingte Ferienstimmung liegt in dieser mediterran wabernden Luft, der Kopf schon angenehm dumpf und leer. Im Grunde insgesamt durchaus ein wunderschöner Tag für derlei Wochenend im Grünen: Sauge tief belebend-würzige Düfte ein (Blüten, frisch geschnittenes Gras und Sonne pur), während ich träge im hier in grüner Lunge wohltuenden Schein eines Spätnachmittags blinzle. Stritter neben mir streckt und dehnt sich, offenbar in strammer Sitzhaltung ein wenig erstarrt.

      Dann, das Reisegepäck neben uns auf den Stufen abstellend und bereits reichlich verschwitzt, erklärt Roman, uns Sontag 14.30 wieder abzuholen, flieht nachmalig zurück in seine heilsam klimatisierte Fahrer- und wohl auch Komfortzone. Abschließend beweist er großes Geschick, indem er seine überlange Limousine auf kreisrundem Vorplatz wendet, ohne angrenzende Rosen-Königinnen dabei zu begraben. Indessen hat Stritter sich bereits würdebewusst in den Schatten des Giebelportals begeben und beginnt soeben, die schneeweiß-dreiteilige Eingangstür ein wenig ratlos anzustarren, als diese auch schon einladend nach innen schwingt. »Herr Müller! Herr Doktor Stritter! Schön, dass Sie kommen konnten. Ich bin Ingo Halberstedt, Ihr Gastgeber für dieses Wochenende. Aber sagen Sie ruhig Ingo zu mir.«

      Ingo ist erst Ende 30, blond mit halblang-wildem Haar, Seitenscheitel und kolossalem Schnurrbart, der irgendwie seit den 80ern überlebt hat. Vielleicht ein Erbstück. Kenne ihn bereits von diversen Konferenzen und einigen Kommissiönchen her, in der letzten Amtsperiode war er nämlich für die Umweltpartei in den Bundestag gezogen und vorerst durch die Geschwindigkeit aufgefallen, mit der er sich Standpunkte „der Wirtschaft“ zu eigen machte. Dann durch brachialen Umgang mit kritischen Journalisten - einer von denen halt, die König Midas noch für einen Helden halten. Wohl im Gedenken an frühere Parteizugehörigkeit trägt er auch heute noch grünes Sakko zu Blue Jeans und bemüht sich insgesamt, Locker- und Ungezwungenheit auszustrahlen. Grün und blonde Mähne lassen sogar ihn ein wenig wie Robin Hood aussehen, der Pornobalken hingegen erinnert eher an Zuhälter. Wenig überraschend, dass Ingo wegen seiner hervorragenden Kontakte in die Politik inzwischen von professionellen Lobbyisten eingekauft wurde. Offenbar nunmehr die zeitgenössische Version eines buckligen, klumpfüßigen Knechts namens Igor, der früher Vampirschlösser öffnete, diese Türangeln jedoch sind gut geschmiert.

      Statt unserem Gastgeber ebenfalls den Vornamen anzubieten, schreitet Stritter schnurstracks auf ihn zu, schüttelt die Hand und ich kann sehen, dass es diesmal weh tut: »Sehr erfreut, Ingo. Aber lassen Sie doch den Doktor weg. Schon die Bibel sagt: Lasst ihr euch nicht Rabbi nennen. Denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder. Matthäus 23, 8. Und hier sind wir doch wohl erst recht... (er zwinkert Ingo zu) im engsten Familienkreis?« - Endlich lässt er die arg gerötete Hand los und Ingo stammelt wohlmeinende Zustimmung, während er sie mit der linken reibt. Gebe ihm meine Hand nur widerwillig, vielleicht aus Vorsicht ist Ingos Händedruck nun kraftlos, verschwitzt und irgendwie fischig. »...Na, dann... zeige ich Ihnen wohl erst einmal Ihre Zimmer, nicht wahr?« Unser aufstrebender Junglobbyist spricht sich offenbar selbst Mut zu und findet dadurch letztlich sogar erfolgreich zu ostentativem Frohsinn zurück.

      Damit als Leuchtfeuer führt er uns in einen halbschattigen Eingangsbereich aus geflecktem Marmor in Beige. Alles Licht fällt hier durch die gegenüberliegende Stirnwand: Hinter schaufenstergroßem Glas mit Tür erstreckt sich ein großer Wohnbereich samt Wintergarten. Über dieser Glaswand sitzen vier kleinere Scheiben, von der Form her Kirchenfenster in ebenfalls Beige und Hellblau, die die Farben des Bodens durch ihr Licht hervorragend

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