Die Banalen und die Bösen. Jannis Oberdieck

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Die Banalen und die Bösen - Jannis Oberdieck

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schon. Bin jetzt dem für Ernährung und Landwirtschaft beigetreten, nächste Woche tagen wir zum ersten Mal. Was ist mit Ihnen, was führt Sie hierher?«

      Verstört bemerke ich ein riesengroßes Loch in meinen Vorbereitungen. Was soll ich darauf antworten? Dass ich die PrimAct AG verdächtige, einen Anschlag auf meine Chefin unternommen und in Morsleben heimlich Genexperimente in freier Natur getätigt zu haben? Dass ich jetzt nach Beweisen suche, um diesem Unternehmen ans Bein zu pinkeln? Sollte doch eigentlich klar sein, dass man an solch einem Wochenende nur teilnimmt, um Karriere oder zumindest laufendes Einkommen voranzubringen, Frage deshalb äußerst ungehörig. Mit Stritter aber habe ich im Zweifelsfall tatsächlich einen vernünftigen Menschen vor mir.

      Rasch wähle ich deshalb einen Schnellschuss: »Frau Backhus musste ihre Amtsführung aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend niederlegen. Ich bin ihr Stellvertreter. Und da dachte ich mir... das könnte ich doch ruhig mal mitnehmen... für Entspannung und Erholung... und Spaß und so...« Selbst in meinen Ohren klingt es nach einer äußerst schwachen Ausrede, vielleicht also genau das Richtige.

      Auch Stritter bleibt reglos wie eine Sphinx. Ist das gar Verachtung in seinen Augen? Schnell greife ich erneut nach dem Whisky, immerhin sind wir jetzt schon auf der A6 Richtung Heilbronn.

      Langsam und bedächtig beginnt Stritter schließlich wieder zu sprechen. »Macht meines Vaters Haus nicht zum Kaufhaus.«

      Fassungslos starre ich ihn an: Bitte?

      »Johannes 2, 16, die Tempelreinigung. Jesus wirft die Händler, Geldwechsler und Kredithaie aus dem Tempel. Manche übersetzen: Markthalle, aber schon Luther modernisierte das zum Kaufhaus. Haben Sie die Bibel gelesen, Herr Müller?«

      Kalkuliere kurz und komme zu dem erschreckenden Ergebnis, dass uns vermutlich noch anderthalb Stunden gemeinsame Fahrt bevorstehen. »In Auszügen, Herr Stritter, leider nur in Auszügen.« Immerhin hält sich unser Wagen ganz links und fährt vielleicht souveräne 240, eventuell also doch nur eine Stunde. »Die Letzten werden die Ersten sein und so weiter, nicht wahr?«

      Stritter verschluckt sich fast an seinem Whisky. Dann mustert er mich seltsam abschätzend, ehe er zu intonieren beginnt: »Matthäus 19, 30. Ausführlicher noch Lukas 6, 20-26: Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert; denn ihr sollt satt werden. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint; denn ihr werdet lachen. Aber dagegen: Weh euch Reichen! Denn ihr habt euren Trost schon gehabt. Weh euch, die ihr jetzt satt seid! Denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht! Denn ihr werdet weinen und klagen. –Stellt überaus anschaulich klar, dass unsere Parteien sich sehr um das jenseitige Seelenheil ihrer Wähler verdient machen, finden Sie nicht?«

      In der unangenehmen Stille, die folgt, schnurrt nur der Motor dezent vorn beim Fahrer. Noch immer starrt Stritter mich unverwandt an, selbst bin ich verstrickt im Bemühen, unter zustimmendem Nicken beiläufig aus verschiedenen Fenstern zu schauen. Schließlich durchbricht der Rechtsanwalt selbst seine kunstvoll aufgebaute Wolke aus Missbilligung: »Wissen Sie, Herr Müller, ich gehöre zu jener Fraktion der Christlichen Partei, die die momentane Annäherung unserer Politik an die Räuberhöhle der Wirtschaft mit großer Sorge sieht. Unser Erlöser hat schließlich unmissverständlich gesagt: Hütet euch vor jeglicher Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch ein großes Vermögen anhäuft und dann im Überfluss lebt, Lukas 12, 13.«

      Momentane Annäherung? Hätte mich fast verschluckt. Was hat dieser Mensch als Rechtsanwalt getan? Nur Hartz-IV-Empfänger verteidigt? Unser Robin Hood im Anzug aber fährt fort und in mir keimt der Verdacht, einer wohleinstudierten Predigt zu lauschen, die das MdB zu lange nicht mehr halten konnte: »Jene Ordnung mitzugestalten, die unser aller Zusammenleben regelt, sollte Privileg und Lohn genug sein. Stattdessen müssen wir jedoch mit wachsender Besorgnis feststellen, dass die Gebote christlicher Nächstenliebe von unseren gewählten Repräsentanten zunehmend mit Füßen getreten werden. Und dabei wird der Menschensohn doch dereinst beim Weltgericht sprechen: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Matthäus 25, 45.«

      Daraufhin nickt Stritter noch eindringlich, während er den eigenen Worten nachlauscht, blickt mich wieder auffordernd an. Diese Limousine gleicht immer mehr einem Druckkochtopf in der Hölle: Was genau will er bloß von mir? Dann beugt sich der Rechtsanwalt unerwartet vertraulich zu mir und verstärkt damit seine ohnehin nicht zu unterschätzende Präsenz: »Was aber vielleicht mehr in Ihrem Ressort liegt, Herr Müller (blickt mich jetzt an, als wäre er der Engel mit Flammenschwert): Siehe die Felder, wie sie wachsen und fruchtbar sind, und die fruchttragenden Bäume und die Kräuter! Was willst du noch mehr als das, was dir die ehrliche Arbeit deiner Hände gibt? Wehe den Starken, die ihre Stärke missbrauchen! Wehe dem Schlauen, der die Geschöpfe Gottes verwundet! - Wir aber begreifen die uns zu Schutz und Wacht anvertraute Schöpfung Gottes nur noch als „Kapital“, dass man an den Meistbietenden verhökert! Wahrlich: Das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig, Lukas 12, 10.«

      Da ist schon mal die Abfahrt Hockenheim. »Sehr schön, Herr Stritter, und auch sehr treffend, ja. Mir war gar nicht bekannt, dass die Bibel sich explizit zum Naturschutz geäußert hat. Ich kannte nur dieses Gehet-hin-und-macht-euch-die-Erde-untertan?« Registriere verärgert, dass ich den Kopf unwillkürlich eingezogen und insgesamt mich ein wenig weggeduckt habe. Erfolgreich macht sich jetzt jedoch bei Stritter Verblüffung breit. Fällt ihm wieder ein, dass man nicht den ersten Stein und so weiter? Findet langsam, scheint´s, wieder zurück zu seiner menschlichen Hülle und ein Mundwinkel verzieht sich sogar zu halbem Lächeln, während er, brav wieder auf seinen Platz beschränkt, Whisky nachschenkt. »Ist aus dem Evangelium Jesu, leider apokryph. Auch noch einen Schluck?«

      Waffenstillstand offenbar, halte jedoch schnell die Hand über mein Glas. In Heilbronn werde ich einen klaren Kopf brauchen.

      Über die Trümmer dieser rauchenden Apokalypse hinweg ergreife ich behutsam das Wort: »Ich weiß genau, wovon Sie sprechen, Herr Stritter, glauben Sie mir. Im Verlauf meiner Dienstjahre habe ich genug Dinge erlebt, die man wohl zu Recht als... äußerst unchristlich bezeichnen könnte. Deshalb verstehe ich auch nicht, weshalb Sie an dieser Veranstaltung teilnehmen. Ihnen müsste doch klar sein, dass Sie sich damit direkt in die... Räuberhöhle? begeben. Sozusagen zum Pakt mit dem Antichristen?« Vielleicht nicht die geschickteste Wortwahl, aber dies ist auch eindeutig nicht mein Terrain. Stritter immerhin sieht versöhnter aus. Kurz blickt das MdB hinaus in die davonrollende Landschaft, dann seufzt es schwer: »Wissen Sie, Herr Müller, letztlich geht es darum, dass die EU sich mit TTIP III verpflichten wird, alle gentechnisch manipulierten Pflanzen aus den USA automatisch ebenfalls zuzulassen. Unser Ausschuss soll dazu Stellung nehmen. Als Angehöriger des Umweltministeriums kennen Sie vermutlich die Problematik?«

      Angesichts dieser plötzlich sehr verständlichen Rede und des leichten Lächelns, das immer noch in Stritters Mundwinkel hängt, beschleicht mich ein leiser Verdacht. Hat dieser Rechtsanwalt auf Abwegen mir absichtlich in einer Lage ohne Fluchtmöglichkeit Bibelzitate an den Kopf gedonnert? Ist das seine Art, sich langweilige Fahrtzeit zu vertreiben? Offenbar kann Stritter es gut genießen, wenn sein Gegenüber in eigenen Säften kocht. Na, herzlichen Dank!

      Auf jeden Fall weiß ich, dass das synthetische Gen der Maissorte 1507, die bereits zugelassen ist, sich innerhalb von nur drei Jahren durch Einkreuzung mittels Bienen und anderer Fremdbestäuber in 46% der heimischen Nutzpflanzen ausgebreitet hat. Zu den Folgen gibt es zahlreiche Studien, die sowohl das eine als auch das Gegenteil belegen. »Sie meinen, abgesehen davon, dass der Mensch damit in Gottes Schöpfung eingreift?«, frage ich vorsichtshalber. Diesmal lacht Stritter herzhaft: »Ja, abgesehen davon.« Habe also richtig gelegen mit meinem Verdacht, Christ mit Humor.

      Dann setzt der Rechtsanwalt mir äußerst sachlich auseinander, dass das Hauptproblem in der Wechselwirkung mehrerer sich unkontrolliert ausbreitender Gene bestehe: Mutationsmöglichkeiten unüberschaubar groß, erste Langzeitstudien

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