Die Banalen und die Bösen. Jannis Oberdieck
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Читать онлайн книгу Die Banalen und die Bösen - Jannis Oberdieck страница 17
Nun erbarmt sich jedoch auch die Metzger: »Auf jeden Fall brauchen wir für diese Expedition eine feste Frauenquote. Das Kommando sollte unbedingt ebenfalls eine Frau haben. Wenn das dann in Fernsehen und Zeitungen zu sehen ist, werden die jungen Mädchen verstehen, dass das Erforschen von Unbekanntem absolut auch Frauensache sein kann. Gut wäre jemand, die energisch und weiblich zugleich ist.« - Einen Moment lang herrscht verblüfftes Schweigen. Dieser zeitgemäß vielleicht wichtigste Punkt musste also wieder einmal eigens von einer Frau angesprochen werden, Männer sind ja so wenig lernfähig. Nur Krampfhorst hat derweil begonnen, den Kronkorken seiner Bierflasche in Richtung eines kleinen Tors aus Salz- und Pfefferstreuer zu schnippen. Doktor Musmann putzt energisch seine randlos-dezente Brille zur Vorbereitung verschärfter Konzentration und murmelt leicht schuldbewusst etwas, das nach »gewiss, gewiss« klingt. Stritter bleibt noch immer auffällig still, vermutlich hat die Bibel zum Thema „Reisen“ wenig zu sagen und Stellen zur Rolle der Frau könnten derzeit ungeeignet sein. Als man in meine Richtung blickt, fokussiere ich schnell auf einen Dunklen Zierbock, der mutig die Balustrade erklimmt, um dort unaufdringlich gemusterte Flügeldecken zu putzen: Bist du nicht ein bisschen spät dran dies Jahr, mein Kleiner?
»Das ist es!«, bringt uns die Wilks vehement begeistert zurück zum Thema: »Wir brauchen so etwas wie dieses Raupenfahrzeug bei der Marslandung! Ingo, wie hoch ist unser Budget?« Unser Gastgeber hat sich inzwischen eine Grillschürze umgebunden, Kiss the cook, vor ihm färben sich erste glühende Kohlen bereits vor Zusatzhitze weiß. Lächelnd breitet er auf diesen Zuruf hin seine Arme aus wie ein Varietékünstler: »The sky is the limit.« Und genau das ist wohl das Zauberwort. Sogar Krampfhorst beteiligt sich nun enthusiastisch, man kann über so viel Planungswillen nur staunen. Noch als Ingo erste Grillware zu Tische trägt, holt die Wilks Schreibzeug aus ihrer fast koffergroßen Handtasche und Doktor Musmann beginnt, Skizzen zu entwerfen. Man einigt sich nach und nach auf einen Treck von drei bewaffneten Raupenfahrzeugen, einige Erkundungsdrohnen dazu, welche aus den Fahrzeugen heraus steuerbar sein sollen. Die marinierten Filetspieße mit Paprika hingegen sind wunderbar rauchig vom Rost gekommen, Frau Metzger bleibt jedoch bei blassem Huhn. Stritter weiß mittlerweile Grillsaucen zu empfehlen, lediglich Schuester hält sich beobachtend zurück. Kaum drei Sätze bislang, durchaus auffallend.
»Gut, damit kommen wir bis in die Stadt«, fasst Doktor Musmann letztlich zusammen und tunkt sein Würstchen mutig in eine Sauce namens Malaysia. »Dort lassen wir die Drohnen ausschwärmen. Wonach aber suchen wir?« Wieder blickt er fragend in die Runde, während seine Zähne das Fleisch zerkauen.
Die Metzger: »Also, ich würde wissen wollen, warum diese Zivilisation offenbar fast restlos untergegangen ist. Ich meine, vielleicht gibt es immer noch irgendeine Gefahr, von der wir so schnell wie möglich wissen sollten? - Oder war das vielleicht eine Ökokatastrophe?«, schiebt sie parteibewusst rasch hinterher. Für einen kurzen Moment blitzt jedoch auf, dass sie privat vielleicht durchaus bewandert ist im Bereich von Science Fiction/Fantasy, dunkle Geheimnisse und dergleichen. Krampfhorst stimmt zu, Ingo hat seine Kronkorken inzwischen eingesammelt: »Wir müssten so etwas wie ein Archiv oder eine Bibliothek suchen.« Das frische Bier in seiner Hand schwitzt vor Temperaturunterschied, doch noch mehr Entspannung kann ich wirklich nicht gebrauchen. Allmählich wäre es vielmehr an der Zeit, mich wieder einzuklinken, man gerät so schnell in Vergessenheit. Doch Doktor Musmann hat den Faden bereits aufgenommen: »Es müsste auf jeden Fall ein digitales Archiv sein, falls es so etwas hier gibt. Wir kennen die Sprache schließlich nicht und haben außerhalb unserer Fahrzeuge nur 40 Minuten. Die sinnvollste Ausbeute unserer Expedition wäre also, wenn wir so etwas wie... Speichermedien mitnehmen könnten, die sich hinterher in Ruhe auswerten lassen.«
»Auf keinen Fall«, meine Chance ist gekommen: »Wir dürfen nichts von da mit herüberbringen. Schließlich haben wir überhaupt keine Ahnung, was für Mikroorganismen es dort gibt. Und welche Auswirkungen sie hier hätten.« Doktor Musmanns Miene gefriert in Irritation, bei solcher Aufgeschlossenheit für Neue Medien noch auf Widerspruch zu stoßen. Die Metzger winkt ab. »Aber Herr Müller, dafür gibt es doch Desinfektionsmittel und... Elektronenmikroskope?« Offenbar hat sie keinerlei Vorstellung von den praktischen Schwierigkeiten einer Mikroskopie.
Also versuche ich es mit Grundlagenwissen: »Sehen Sie, Frau Metzger, in den letzten Jahren hat man auf Bundesebene sehr viel Geld dafür ausgegeben, Gefahren durch Bioterrorismus einzuschätzen und wirksame Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Eine fremde Atmosphäre müssen sie sich sicherheitshalber wie ein ganzes Arsenal von solchen Biowaffen vorstellen: Alles Mögliche an Bakterien, Viren, Pilzen oder Toxinen kann es dort geben. Unsere Standarddekontaminationsmittel wie zum Beispiel Peressigsäure können zwar ein breites Spektrum davon unschädlich machen, aber bei weitem nicht alles. Für den Rest braucht es spezifische Dekontaminationen, wofür allerdings zuallererst klar sein muss, womit genau wir zu rechnen haben. Das stellt sich leider häufig erst zu spät heraus. Denken Sie nur etwa an Milzbranderreger, die sich in Sporenform jahrzehntelang halten, um sich bei Kontakt mit Wirtskörpern zu vermehren! In dieser fremden Welt könnte es Dutzende von Erregern geben, die nach genau demselben Schema funktionieren. Am besten halten wir uns daher an den Befund des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, dass eine hundertprozentig vorbeugende Dekontamination nicht möglich ist«, stoße ich hervor, während aller Blicke durchaus schwer auf mir lasten. Uff, das war wohl wieder viel zu viel an Inhalt.
Rundum kaut man noch an diesen klumpig-geballten Informationen. Die Metzger gleicht stirnrunzelnd offenbar innerlich mit den von ihr gesehenen Katastrophenfilmen ab, in denen Einsatzkräfte mit Schutzanzügen einfach in einem Plastikzelt abgeduscht werden: So schwer sieht das nicht aus. Stritter beobachtet Schuester, der Doktor Musmann beobachtet. Die Wilks grinst wegen irgendetwas rätselhaft, vielleicht dem Ouzo geschuldet. Krampfhorst rückt seine Hornbrille auf der schmalen Nase zurecht und schaut mich über die Ränder hinweg bedauernd an: »Das mag ja gut und richtig sein, Herr Müller. Aber ich fürchte, es entspricht nicht den Realitäten. Wenn wir so ein... Portal in eine andere Welt öffnen konnten, werden es die Chinesen in ein paar Jahren auch schaffen. Und die werden sich solche Gedanken nicht machen.« Ganz klar: ein Philantrop, gefangen im Körper eines Politikers. »Genau«, fällt Doktor Musmann bei, »wir müssen unseren technologischen Vorsprung sichern«, offenbar eine Reflexhandlung.
Nun schaltet sich auch Schuester zu. Alle Augenpaare wandern überrascht hinüber: »Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu, Herr Müller. Was immer wir von dort hierherBRingen (das BR spricht er stets als Großbuchstaben), muss so penibel wie nur möglich untersucht werden. Auch wenn es Jahre dauert. Aber auf der anderen Seite gibt es gewisse Zwänge („Swenge“, sagt er). Wenn ich mir anschaue, was Sie alle bis jetzt an Ausrüstung beantragt haben, schätze ich die Kosten vorsichtig gesagt auf 200 Millionen („sweihunnert“, sagt er). Dieses Geld muss irgendwie wieder hereinkommen („h´rrain“, sagt er). Letztlich sind Sie also darauf angewiesen, von dort etwas mitzuBRingen, was sich baldmöglichst marktfähig verwerten lässt.«
»Ja, aber die enormen Risiken...« setze ich kurz an, breche jedoch vernünftiger Weise ab, will ja nicht freveln wider Gott und Wirtschaft. Natürlich geben wir einerseits Millionen zur Bekämpfung von Bioterrorismus aus, verzichten andererseits aber auf basalste Sicherheitsmaßnahmen, sobald es um Gelder privater Unternehmen geht. Was natürlich daran liegen mag, dass derartige Bekämpfung mittlerweile fest in den Händen eben derselben Unternehmen ist. Schärfe mir noch einmal siedendheiß ein: Vergiss nicht, dass du hier bei XSolutions bist, Martin. Die sind nachvollziehbarer Weise nicht sonderlich erbaut, wenn