Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945. Winfried Wolf

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945 - Winfried Wolf страница 11

Автор:
Серия:
Издательство:
Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945 - Winfried Wolf

Скачать книгу

Schutz geben, mehr als in der direkten Begegnung mit dem Therapeuten ist ihm hier ein Rückzug möglich, allerdings auch die Gefahr, dass man seinem Problem letzten Endes durch Nicht-Identifikation wieder ausweicht.

      Problemdruck und allgemeine Akzeptanz von Beratung alle können aber noch nicht das Annehmen und Nutzen des Beratungsangebots erklären; hinzukommen muss beim Ratsuchenden die Überzeugung, dass er hierdurch seine persönliche Lage verbessern kann und dass der Berater für qualifiziert genug gehalten wird, ihn in seiner individuell besonderen und einmaligen Situation verstehen und damit helfen zu können.

      Ob jemand um Rat nachsucht, wird natürlich auch davon abhängen, inwieweit man Kenntnis von der Möglichkeit einer persönlichen Beratung hat, was man beim Leser einer Zeitschrift mit Beratungsangebot allerdings voraussetzen kann. Ein Faktor übrigens, der in einer zunehmend „therapeutisierten“ Gesellschaft wohl an Bedeutung auch in den sog. unteren Bevölkerungsschichten verloren hat.

      Viele werden jedoch trotz Problemdruck und der Überzeugung, dass ihnen geholfen werden könnte, nicht um Rat nachfragen, weil ihnen die form der Beratung nicht zusagt: Sich schriftlich oder mündlich, in Briefform oder im persönlichen Gegenüber zu äußern, und damit gegebenenfalls vor ein größeres Publikum zu treten, ist schließlich nicht jedermanns Sache. Wir dürfen daher annehmen, dass auch die Ratsuchenden in den Zeitschriften eine besondere Auswahl der Gesamtleserschaft ausmachen. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, wie eine solche Auswahl die Beratung in Form und Inhalt selbst wiederum beeinflusst.

      Und letztlich mag es auch von der Attraktivität des Beratungsangebots und des Beraters abhängen, ob jemand den Mut findet, sich auf eine Beratung in einer Illustrierten einzulassen. Eine Vertrauen schaffende Maßnahme ist hier schon die Fotografie des Erziehungsberaters im Kreise seiner eigenen Familie, wie sie etwas im „Ratgeber“ zu finden ist oder auch die Vorstellung des Ratgebers anhand einer Kurzbiografie, die sowohl auf die berufliche Qualifikation Bezug nimmt als auch die Kompetenz qua Lebenserfahrung berücksichtigt (vgl. 9/69/1158). Der Ratgeber ist also dem Ratsuchenden in d. R. kein Unbekannter. Der Frager wendet sich vielmehr an „eine Autorität, die ihm aus veröffentlichten Antworten schon bekannt ist“54.

      Was kann der Ratsuchende erwarten?

      Wir können wohl annehmen, dass die Bereitschaft Rat anzunehmen beim Ratsuchenden schwindet, wenn er das Gefühl haben muss, dass er vom Berater weder mit seinen Problemen angenommen noch verstanden wird. Aus der Kritik an sog. „Kommunikationssperren“ hat man etwa für die partnerzentrierte Beratung folgende Verhaltenseigenschaften vom Berater gefordert (die ihn damit für den Ratsuchenden attraktiv machen):

      emotionale Wärme, Akzeptieren und Achten des Klienten (Akzeptanz);

      einfühlendes Verstehen (Empathie); und

      Echtheit im Verhalten (Kongruenz).

      Das Akzeptieren und Achten des Ratsuchenden erfordert vom Berater, dass er die Aussagen des Ratsuchenden nicht sofort negativ bewertet. Empathie heißt, dass der Berater sich in die Gefühlslage des Ratsuchenden einfühlen soll. Die emotionale Wärme des Beraters will besagen, dass dieser sich „echt“ verhält; seine Gefühle also, mit aller gebotenen Vorsicht natürlich, klar zum Ausdruck bringt55.

      Hier wird nun deutlich, dass in der schriftlichen Kommunikation zwischen Berater und Ratsuchendem in der Zeitschriftenberatung diese drei Grundhaltungen des Beraters zwar auch durchgehalten werden56, aber doch nicht so zum Ausdruck kommen können, wie in der ‚face to face’ – Situation des verbal und nonverbal geführten Beratungsgesprächs. So sind gerade hier Gesprächsmethoden wie die Techniken des Paraphrasierens und des Verbalisierens emotionaler Erlebnisse, die zur Verbesserung der Beratung führen sollen, nicht oder doch nur sehr eingeschränkt möglich.

      Der Verzicht auf eine persönliche Begegnung zwischen Ratsuchendem und Ratgeber ist jedoch auch und gerade unter therapeutischen Gesichtspunkten nicht ausschließlich negativ zu werten. Im Gegenteil: „Durch das Alleinsein beim Schreiben (eines Briefes, d. V.) ist man wie beim Tagebuch nicht gehemmt durch die unmittelbare Gegenwart eines Partners, wie dies beim Gespräch mehr oder weniger stark der Fall ist“57.

      Was unterscheidet die Zeitschriftenberatung von anderen Beratungssituationen?

      In der Zeitschriftenberatung erfährt der Berater und noch mehr das Publikum in d. R. wenig über die Normen und Wertvorstellungen, die sozialen, wirtschaftlichen, räumlichen und zeitlichen Abhängigkeiten, in denen der Ratsuchende steht und die sein Handeln, Denken und Fühlen beeinflussen58. Und das ist das Besondere dieser Art von Beratung: sie richtet sich eben nicht nur an den Ratsuchenden selbst, sondern auch an ein Publikum. So kann ein Fall schon im Interesse der noch anderen interessierenden Fälle nicht „ewig“ behandelt und ausgebreitet werden. Beschränkt sich der Kontakt zwischen Ratsuchendem und Ratgeber nicht auf ein einmaliges, druckwürdiges Ereignis, so bleibt dies doch dem Publikum in der Regel verborgen. Eine Kontrolle im Sinne katamnetischer Erhebungen ist hier jedenfalls noch weniger denkbar als im Rahmen einer Erziehungsberatungsstelle59. Vom therapeutischen Standpunkt aus mag der Wert einer solchen Kurzbehandlung angezweifelt werden. Und ist die Illustriertenberatung auch nicht selten nichts weiter als ein Frage- und Antwortspiel (mit Unterhaltungswert freilich) zweier mehr oder weniger anonymer Gesprächspartner, die, so zumindest der Berater, mit Blick auf das große Publikum agieren60, so lassen sich aber doch auch hier trotz unterschiedlicher Bedingungen im Vergleich zur „normalen gesprächsorientierten Beratung partnerzentrierte Grundhaltungen durchhalten. Das geht auch aus einer Befragung von Zeitschriftenberatern durch den Verfasser deutlich hervor: Danach gehört es zu den „guten Eigenschaften“ eines (Zeitschriften)Beraters „zwischen den Zeilen das eigentliche Anliegen zu finden“, „Einfühlungsvermögen“ zu zeigen, d. h. „beim oder im Ratsuchenden“ zu sein61.

      Wir wollen uns jedoch nicht über therapeutischen Wert oder Unwert der Zeitschriftenberatung weiter auslassen, unser Interesse geht in eine andere Richtung62. Was den stark reduzierten Beratungsprozess der Zeitschriften-Beratung angeht, das individuelle und zeitlich prinzipiell unbeschränkte Eingehen auf die jeweilige Problemlage, ist für unsere Zwecke nun doch von Vorteil.

      Verallgemeinerbare Normen und Werthaltungen spiegeln sich hier, wo sowohl einem einzelnen als auch einer breiten Leserschaft Rat, und zwar praktischer Rat, gegeben wird, deutlicher wieder als wir dies vom einmaligen Protokoll einer gesprächstherapeutischen Sitzung erwarten können. Die Zeitschriftenberatung, die ja keine persönliche Begegnung zulässt, muss „zwangsläufig pauschaler“ sein und „aus der Ferne allgemeine Ratschläge“ erteilen63.

      Die Zeitschriften machen Beratungsangebote für aktuelle Lebensfragen, d. h., dass einzelne, vom Ratgeber der Leserschaft präsentierte Fallbeispiele, wiewohl sie immer auch den Einzelfall behandeln, doch repräsentativen Charakter für die Problemlage vieler haben64. Der Leser möchte und soll sich im vorgestellten Fall wiedererkennen und Nutzen aus der angebotenen Beratung ziehen65. So sieht denn auch der §Ratgeber“ seine Funktion schon im Titel der Zeitschrift eindeutig deklariert. „Den Lesern wird eine Vielzahl an Themen geboten in Form von praktischer Beratung und Anleitung, praxisnahen Tipps und Hinweisen sowie aktuellen Informationen.“66

      Er kommt damit der Lesererwartung nach praktischer und realitätsgerechter Beratung und Information nach. Dass die Zeitung dieser Erwartung auch gerecht wird, zeigt sich in der hohen Übereinstimmung zwischen „genereller Themenerwartung und speziellen Themenangeboten.“67

      So sieht sich denn auch der Ratgeber in Erziehungsfragen den Erwartungen einer Leserschaft ausgesetzt, die er nicht ignorieren kann. Es wäre wohl auch eine Überschätzung der Rolle der „Ratgeberonkel und –tanten“, wenn man annähme, sie hätten ihre „Pädagogik“ gegen die Zeit und nur aus ihrem Kopf

Скачать книгу