Laila - Die Farben der Klänge & Verfluchte Liebe. Maxi Hill
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»Komm, ich zeig dir was«, sagte sie. Ihrer Stimme war eine gewisse Beklemmung anzumerken, jene Art Atemnot, wenn man erregt ist. Das Gesicht aber blieb ausdruckslos. Nichts ließ vermuten, welch heimlicher Bann uns verwoben hatte.
Während der ganzen Zeit hatte ich mir gewünscht, dieses Mädchen zu besitzen, das etwas in mir geweckt hatte, was ich in meiner ganzen Verkommenheit lange verleugnet hatte. Ich wusste nicht worauf ich mich einließ und ob Laila überhaupt für die Liebe geschaffen war, pardon, für das, was ich unter Liebe verstand. Immer wieder sagte ich jenen dämlichen Satz vor mir auf, der einen ganz anderen Ursprung hatte: Bezeichne Laila nicht als verrückt, aber vergiss nie, dass sie es ist.
Sie zog mich zu der hellen Couch, doch meine Erwartung traf nicht ein. Von der unteren Ablage des kleinen Tisches angelte sie einen Block hervor. Ihre gespannten Blicke huschten zwischen mir und den Seiten hin und her, die sie umblätterte. Eine glich der anderen. Ich sah Mäuse, nichts als Mäuse. Zwar betrachtete ich die Vollkommenheit der Skizzen, kam aber nicht hinter den Grund der Übung. Es waren süße Mäuse – immer waren es drei. Drei Mäuse auf einer Bank, die zu überschwemmen drohte.
»Wir Mäuse müssen zur Bank, dort sind wir sicher.« Drei andere Mäuse knabberten auf einer Bank am Käse.
»Auf dieser Bank liegen die Zinsen.«
Und noch andere lustige Motive. Staunend lobte ich ihre Zeichenkünste, verstand aber noch immer nichts.
»Wo hast du das her?«, fragte ich, ohne genau zu wissen, ob ich begeistert, verwundert oder misstrauisch sein sollte. Laila tippte an ihren Kopf und zuckte mit den Schultern.
»Ich hab es in derselben Nacht noch gemacht, damals … es tat mir so leid Matthi΄s. Entschuldige bitte.«
Wir schauten uns wortlos an und langsam füllten sich Lailas Augen mit funkelndem Glanz. Mir war, als würden sich Horizont und Erde begegnen und sich für immer vereinen. Nichts ist zufällig, dachte ich, nahm ihren Kopf in meine Hände und näherte mich gefährlich ihrem Mund. Sie wandte sich nicht ab. Ihre Lippen lösten sich unmerklich voneinander, es schien, als staune sie. Meine Küsse ließ sie geschehen, einmal, zweimal, bis sich ihre Lippen entspannten und ihr Mund sich begehrlich öffnete. Frei von allen ekstatischen Gebärden, hingerissen von der Poesie eines Augenblickes, erwiderte sie meinen Kuss. Ich indes wünschte, dieser Augenblick möge sich wiederholen. Heute. Morgen. Nächste Woche. Ihr Staunen blieb erstaunt, ihre Schönheit blieb schön. In diesem Moment verstand ich ihr Bild da draußen im Flur, doch von dieser Minute an war ich auch ein anderer Mensch. Laila El … sowieso … (ich wusste noch immer nicht, wie sie hieß) hatte Matti Braun, den gnadenlosen Lüstling, für eine unbestimmte Zeit besiegt. In ihrer Nähe existierte nur noch Matthi΄s der Ehrenhafte. Dieses Bild war der Maßstab all meiner Darstellungskünste – zumindest wenn ich in ihrer Nähe war.
»Du bist doch nicht auch aus der Werbung …?« traute ich mich nach den schüchternsten Küssen zu fragen, die ich je bekommen hatte.
»Nein«, schmunzelte sie. »Ich leite das Stadtkino.«
Also doch. Jetzt muss sie mir nur noch verraten, was das Kino mit drei Mäusen und mit einer Bank zu tun hat. Hat sie es für mich gemacht? Als Entschädigung? Als Wiedergutmachung? Sie war an jenem Abend so unausgeglichen, beinahe bösartig. War sie verzweifelt? Fühlte sie sich wie die kleinen Mäuse und hat sich davon inspirieren lassen?
»Ich arbeite allein. Ich muss alles selbst machen, auch die Werbung«, flüsterte sie. »Aber die Mäuse haben damit nichts zu tun. Die sind für dich. «
Ich brachte kein »Danke« über die Lippen, es war ja nicht ungewöhnlich, dass eine Frau sich in Sehnsucht nach mir verlor und komische Anwandlungen bekam. Eigentlich wollte ich nur mehr über sie erfahren.
»Du managst doch nicht das ganze Kino allein?«
»Managen ja, durchführen nicht. Ich habe zwei Vorführer. Und dann gibt es noch drei Pauschalkräfte, die sich mit der Kassierung abwechseln. Mehr sind nicht nötig.«
»Und das funktioniert?«
»Nicht schlechter, als alles in unseren Köpfen … Man braucht nur die nötige Ordnung. «
Zu Hause in meiner Bude irrten noch immer Lailas Worte durch meine Gehirnwindungen. Ausgerechnet Laila sprach von der nötigen Ordnung im Kopf. Ich ärgerte mich, ungerecht gewesen zu sein. Ein stiller Mensch arbeitet in der Tiefe seines Ichs, auch das hatte sie gesagt. Laila war still und sanft, empfindsam und selbstlos. Solch ein Mensch war mir seit langem nicht mehr begegnet und ausgerechnet über sie hatte ich den Stab zu brechen versucht. Sigmund Waas hatte Recht. Sie ist nicht blöd. Sie ist zu sanft für diese Welt, man muss sie vor Bösem beschützen. Vor Lizzy, die sie sicher ausnutzte. Vor dem dicken Kneiper. Vor … ja, vor wem noch … wen kennt sie denn noch? Wo ist ihre Familie?
Ich wusste nichts über Laila – aber sie wusste ja auch nichts von mir, von meinen Eskapaden und von meiner Schlampenwirtschaft. Jeder Mensch hat seine Geheimnisse und soll sie für sich bewahren. Sie ihre und ich meine, solange es geht. Ich wusste bis dahin selbst nicht, dass mit meinem Sexleben etwas nicht in Ordnung war, mit meinem Leben überhaupt. Laila kannte mich - mit einer unbedeutenden Ausnahme – nur gepflegt und anständig, glatt rasiert und akkurat gekleidet. Ich musste ihr also gefallen – schließlich war ich auch ohne diese spießigen Normen bei Frauen immer erfolgreich.
In meiner stolzen Selbstbetrachtung erinnerte ich mich an ein Gespräch, das ich unlängst belauscht hatte – unfreiwillig. Es war ein Gespräch zwischen Conny und einer Kundin, die offenbar scharf auf mich war.
»Ihr Kollege … ich meine … wie ist er denn so? «
»In letzter Zeit hat er tolle Ideen. «
»Ich meinte, als Mann. Ist er nett, ordentlich, fleißig? Oder eher so etwas wie …«
»Eher so etwas wie«, beeilte sich Conny in voller Überzeugung.
Selbst wenn sie sich für einen minimalen Zeitraum noch auf der Seite des Rechts befand, so etwas sagt man nicht zu einem Kunden. Jedenfalls nicht ungestraft. Ich wollte mich bei Gelegenheit an ihr rächen, aber dafür war Conny momentan zu innig mit Tarrach liiert.
Nach dieser stillen Rückschau holte mich die kümmerliche Wahrscheinlichkeit aus meiner Ordnungsabstinenz, Laila könnte eines Tages vor meiner Tür stehen. Es fiel mir wahrlich schwer, denn jeder Mensch hat ein Recht auf Faulheit – das hat schon Paul Lafargue festgestellt, und das war kein Geringerer als der Schwiegersohn von Karl Marx. Seine Streitschrift sei neben dem «Kommunistischen Manifest» das wahrscheinlich populärste Buch der linken Bewegung, hatte Galle gesagt. Eigentlich müsste diese Weisheit an Galles Spiegel geschrieben werden: Arbeit sollte auf das nötigste Maß beschränkt werden. Muße ist dem Menschen viel angemessener. Arbeit ist Zwangsentfremdung von allem Schönen. Ich stöhnte, denn ich wusste, in welche Zeit ich hineingeboren war und stellte mich dem Seltenheitswert einer freiwilligen, wenn auch provokanten Mutation zum habitus correctus oder wie immer ein korrekter Mensch in gehobener Sprache heißen möge.
Struppiges Haar, unrasiertes Kinn und brüchige Fingernägel, zerknittertes Sakko und ausgebeulte Hosen hatten, jedenfalls im Rausche meines momentanen Übermutes, der Vergangenheit anzugehören. Mama wäre überglücklich.
Schwungvoll und mit größter Selbstüberschätzung häufte ich nach dem Musterbeispiel,