Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring

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Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring

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      Zudem sei alles in den Kirchenbüchern nachzulesen. Man brauche nur den Pfarrer zu bitten, der werde jeden, der der Sache auf den Grund gehen möchte, aufklären können.

      Im Jahr nach dem Tod von Siegismund Erdmann dachte Jendrik daran, die Geschichte seiner Familie zu ergründen, um die Wahrheit seinen Kindern einmal erzählen zu können. Vielleicht wird sogar eins von ihnen sie aufschreiben! Wer kann das sagen?

      Davon könnte, wenn es interessiert, später erzählt werden.

      Es ging auf Weihnachten zu. Bei den Leuten, die Vieh im Stall stehen haben, wurde geschlachtet. An den Hauswänden lehnten die Leitern mit den kopfüber hängenden, aufgeschlitzten Schweinen, die von Kindern während des Auskühlens bewacht wurden. Blutleer und weiß wie ein Bettlaken hingen sie, und mancher Nachbar, der sie hängen sah, beschloss bei sich, diesem Haus gegen Abend einen Besuch abzustatten.

      Auch Jendrik hat den Schlächter kommen lassen. Er wollte es nicht so machen wie die Nachbarn, die mit einem Beil auf das Schwein losgingen und dessen durch Mark und Bein dringendes Quieken oft lange und meilenweit zu hören war. Bei ihm ging die Tötung leise und rasch vonstatten. Und dass die Kinder dabei zusahen, das duldeten er und sein Frau nicht. „Bei so etwas gehören Kinder ins Haus“, hat Amalie gesagt. „Besser noch, sie gehen weg!“ Und darin gab er ihr Recht.

      „Wenn die blutige Arbeit getan ist, wenn das Fleisch nicht mehr als Schwein zu erkennen ist, ja, dann mögen sie kommen und helfen“, sagte sie. „Ich leide es auch nicht, wenn sie das aufgeschlagene Schwein bewachen.“

      Beim Wursten, beim Zerlegen und Einpökeln haben sie zusehen und auch helfen dürfen, wenn sie helfen konnten.

      Oder sie haben das Feuer gehütet und Wasser gekocht und in den riesigen Töpfen gerührt. Den leergedrückten Darm ließ Amalie sie reinigen, auch beim Abbinden der Würste durften sie helfen.

      Am Abend wurde jedes mit einer kleinen Wurst belohnt, die es ohne Brot essen durfte. Wie freuten sie sich erst auf Weihnachten! Denn dann kamen alle diese Herrlichkeiten auf den Tisch.

      „Solange müsst ihr warten“, sagte die Mutter. „Vorher gibt’s nichts!“

      Die Wolken hängen den ganzen Tag über tief und voller Schnee; in der zurückliegenden Woche mussten sie jeden Morgen Tür und Fenster freischaufeln und in die Kamine sehen, weil es vorgekommen war, dass sie vollgestopft waren und nicht zogen.

      Amalie Erdmann erneuert die Tannenzweige in den Stuben, sie liebt es, auch zwischen den Doppelfenstern Tannengrün zu haben. Die größeren Kinder helfen ihr, und die kleinen stehen da und staunen und quälen sie mit ihren unzähligen Fragen.

      „Nein“, sagt sie schon müde geworden. „Den Baum holt der Vater aus dem Wald. Aber die Äpfel und silbernen Nüsse, die hängt das Christkind daran. Aber nur, wenn ihr bis dahin brav seid und eure Mutter nicht immerzu mit tausend Fragen drangsaliert!“

      Jendrik Erdmann kommt in die Stube. Er geht auf Strümpfen, seine Stiefel hat er vor der Haustür ausgezogen; schweigend wärmt er seine Hände an der Ofenwand. Schließlich sagt er, und es klingt, als spräche er mit sich selbst: „Ich sollte in Vaters Stube noch drei Webstühle stellen. Wenn ich die Ostwand zum Stall hin abbreche und sie um ein paar Fuß versetze ...“

      Die Frau sieht auf. „Vaters Stube?“ Sie erhebt sich schwerfällig und stöhnt leise, und als sie vor ihm steht, stemmte sie beide Arme in ihren Rücken; der Mann beachtet das nicht; ihm war es nie aufgefallen, wenn diese Art von Schwerfälligkeit ihr zu schaffen machte.

      „Er liegt noch nicht lange unter der Erde, und da willst du aus seiner Stube so etwas machen? Sie mit Webstühlen vollstellen?“

      Er lacht sie listig an: „Mein Bruder vergrößert, hast du es nicht gehört? Und wir, Malchen, vergrößern auch! Natürlich in einem anderen Maßstab und in einer anderen Weise als er es macht.“

      „Wo willst du das Geld für die Webstühle hernehmen?“

      Er gibt ihr keine Antwort darauf. In Gedanken ist er weiter, und er sagt zu ihr: „Dann nehme ich noch zwei oder drei Leute in den Dienst.“

      „Auch das noch! Weißt du, was das kostet?“ Was soll sie weiter dazu sagen? Ja, das kennt sie. Was Jendrik sich einmal in den Kopf gesetzt hat, das führt er auch aus. Anfangs hat sie ihm widersprochen, wenn sie nicht überzeugt war, hat sich gegen solche Pläne gewehrt. Nach ihrem Dafürhalten war manches zum Scheitern verurteilt. Und doch gelang ihm, was er plante.

      Weil er am Ende recht behielt, darum schweigt sie jetzt und wendet sich wieder ihrer Arbeit und den Kindern zu.

      Abwartend steht der Mann eine Weile in der Tür, dann geht er nach draußen an seine Arbeit.

      Alle Unebenheiten und Vertiefungen im Feld hat der Wind mit Schnee zugeblasen. Es ist bitterkalt geworden, und die Fensterscheiben bleiben auch am Tage zugefroren. Obwohl die Pumpen und Brunnen rechtzeitig mit Stroh und Säcken umwickelt und abgedeckt wurden, geben sie kein Wasser mehr; vor einem solchen Frost sind sie nicht zu schützen. Die Menschen gehen so dick eingepackt, dass sie sich auf der Straße kaum erkennen. In entlegenen Dörfern, so erzählte man sich, seien Wölfe gesehen worden, und es habe schon die ersten Erfrierungstoten gegeben, alte Menschen vor allem, die sich beim Holzsammeln einen Moment ausruhen mussten und die auf ihrem Platz eingeschlafen und erfroren seien.

      Der Himmel ist hoch und unnatürlich blau. Nur an wenigen Stellen zeigen sich ein paar hingewehte Wolken, die wie gefegter Schnee auf einer Eisfläche aussehen. Die Sonne steht kalt und bedrohlich hinter dem Wald, der jetzt schon lange Schatten über die verschneiten Felder wirft.

      Heute geht Jendrik Erdmann seinen Weihnachtsbaum schlagen, und der dreizehnjährige Berthold, die ein Jahre jüngere Adelheid und der zehnjährige Edmund dürfen den Vater begleiten. Die Kinder schweigen, weil der Vater sie geheißen hat, still zu sein. Der scharfe Frost, hat er gedroht, schneide ihnen weit hinten im Hals die Adern durch, so dass Blut aus Mund und Nase fließt. Und außerdem würde der Luchs sie hören, und der Luchs, so ist dieses Tier, springt von seinem Baum herunter und wird versuchen, sie wegzuschleppen. Das wirkt. Wenn sie nicht schon so weit im Feld wären, dann würden die Kinder sofort kehrtmachen. Jetzt müssen sie weitergehen, und darum halten sie sich so dicht hinter dem Vater, dass sie ihm hin und wieder in die Hacken treten. Manchmal bleibt der Vater stehen, um ihnen Spuren im Schnee zu zeigen, Spuren von Kaninchen, von Fasanen und einmal sogar eine vom Fuchs und von einer Wildkatze. Zielstrebig drängt sich der Vater in eine Schonung zu seinem Baum, wie er sagt. Es ist ein Baum, der merkwürdigerweise keinen Schnee mehr trägt und der wie ein Fremdling, dunkel und auffällig, unter den anderen steht. Auf den hat es der Vater abgesehen, den schlägt er.

      Als sie später den Ort erreichen, ist die Sonne schon lange untergegangen und der Abendstern steht einsam an seinem Platz.

      Am Heiligabend schneit es ohne Ende.

      Vom frühen Morgen an ist Amalie Erdmann damit beschäftigt, das Haus zu putzen und alle die Dinge vorzubereiten, die zum Weihnachtsfest gehören und die getan werden müssen. Und diesmal fällt es ihr besonders schwer; in ihrem Leib ist seit langem ein kleiner Schmerz, ein völlig unbedeutender Schmerz zuerst, der aber von Woche zu Woche gewachsen ist und der sich nach und nach bis in die äußersten Glieder ausgebreitet hat.

      Die kleinen Kinder sind ihr lästig heute, und gegen ihren Willen herrscht sie sie an und scheucht sie von einem Winkel in den anderen; heute wird sie sie zeitig ins Bett schicken. Das Gequengel ist ihr unerträglich,

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