Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring

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Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring

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Familie kennt.

      Aufgebracht ermahnte der alte Graf seinen Sohn: „Patrioten, mein Sohn, das sind wir alle! Auch deine Mutter, die sich nicht zu den politischen Dingen äußert. Du weißt doch: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Was ist das schon, was ihr vollbracht habt? Mit Alexander II. habt ihr den falschen in die Luft gejagt! Die Ochrana und die ganze Polizeimacht wird nicht eher Ruhe geben, bis sie euch aufgespürt und gehängt hat. Mein Sohn, du bringst nicht nur Sorge, Unruhe und Enttäuschung über deine alten Eltern, sondern Angst! Angst um dich, um deine Schwester – auch Angst um uns selbst. Das wir so etwas noch erleben müssen!“

      Krystian hatte dazu geschwiegen. Und als der Vater nichts mehr zu sagen hatte, stand er auf, hatte wortlos die Mutter geküsst und war gegangen. Seither hat es kein Lebenszeichen mehr von ihm gegeben.

      An manchen Tagen äußerte die alte Gräfin: „Mir sagt eine innere Stimme, dass der Krystian tot ist. Es ist so, als flüstere jemand mir das ins Ohr. Immer wieder, immer wieder ...“

      Sie bekam dann rote Augen, verließ die anderen und zog sich für längere Zeit in ihr Boudoir zurück und wollte ungestört bleiben.

      So ist denn die Leitung der Tuchweberei in Stanislaus’ Hände gekommen.

      Die Fabrik liegt jenseits der Straße, weiter zur Stadt, hinter einer Reihe von kleinen schäbigen Arbeiterhäusern. Diese Häuser, erklärt Stanislaus seinem Bruder, werde er in ein paar Jahren für seine Leute kaufen und sie verbessern lassen. „Bezahle deine Leute gut und schaffe ihnen eine ordentliche Unterkunft, so hältst du sie bei der Stange.“ Er lacht laut. „Wenn du erfolgreich ausbauen und erweitern willst, Bruder, dann musst du auch auf solchen Feldern ackern!“

      Überall wo Stanislaus sich mit seinem Bruder sehen lässt, da taucht auch bald ein Schwarm dienstbeflissener Leute auf. Jendrik ist die Unterwürfigkeit der Männer zuwider. Mit krummem Rücken, die Mütze in der Hand, erwarten sie Befehle.

      ‚Die russischen Herren haben viel verbogen, sogar den Charakter der Polen, denkt er. Mein Bruder scheint es zu genießen, dass sie um ihn scharwenzeln und ihm liebedienern‘, denkt er, denn Stanislaus steht sehr achtunggebietend vor ihnen und schaut mit abwesendem Blick über die gesenkten Köpfe hinweg, als gäbe es die gar nicht.

      „Wie kannst du das ertragen?“ fragte Jendrik, als sie wieder allein sind. „Diese Demut, diese Kriecherei ...“

      „Ich kann es nicht ändern! Glaube mir nicht, dass ich das mag! Was sollen sie sonst vor dem Herrn tun? Über viele Jahre wurde ihnen das mit der Knute eingebläut. Wie sollen sie sich da nicht bücken vor einem, den sie für mächtig halten? Schließlich haben sie doch nur überlebt, weil sie den Rücken krumm gemacht haben und auf dem Bauch gekrochen sind!“ Er bleibt stehen und hält den jüngeren Bruder am Arm fest. „Wenn du nicht auf dem Acker unserer Väter säßest – Bruder, hier würdest auch du dich krumm machen! Aber so, wie du lebst, lebst du wie ein freier Mann und Herr!“

      Der Acker der Väter – ja, darum geht es ihm! Vielleicht hat der Bruder das mit Absicht gesagt. Um über das väterliche Land zu sprechen, dafür ist er nach Lodz gekommen. Bis jetzt hat keiner daran gerührt. Das Land zu teilen bedeutet, in ein bedeutungsloses Kätnerdasein zu fallen und, was beinahe noch ärger wäre, Häme und Spott der Nachbarn hinzunehmen.

      Stanislaus lässt den Bruder stehen und wendet sich einer adretten Frau zu, die in gehöriger Entfernung auf ihn wartet. Jetzt, da er auf sie zukommt, streckt sie ihm eine Mappe entgegen. Der Bruder blättert darin und erklärt etwas, und die Frau nickt mit gesenktem Kopf. Plötzlich aber reckt sie sich und sieht ihm keck ins Gesicht, wobei sie sich herausfordernd nach hinten biegt.

      Stanislaus ist verärgert und weiß nicht, wie er sich vor dem Bruder verhalten soll. Er herrscht die Frau an und sie flüchtet mit rotem Kopf in die Halle zurück.

      „Manchmal schlägt das kleine Luder übers Ziel“, meint er verlegen zu Jendrik und wiegt seinen Kopf: ja, da kann man nichts machen.

      „Ja, vielleicht ist es so, dass du sie an einer langen Leine laufen lässt, Bruder“, antwortet Jendrik.

      Das väterliche Erbe – vor allem Jendrik spukt der Gedanke an eine Aussprache durch den Kopf und bedrückt ihn. Wenn sie allein sind, dann liegt das bleischwer zwischen ihnen, findet er. Was wird der Bruder vorschlagen und unternehmen, der sich in der Rechtswissenschaft gut auskennt und dem in einer Stadt wie Lodz alle Möglichkeiten offen stehen, um an das zu gelangen, worauf er ein Anrecht hat. Hätte nur der Vater diese Sache noch geregelt! Das wäre nicht anzufechten, das hätte Gültigkeit für alle Zeit. Haben die Alten es nicht über Generationen so gemacht? Wie wird diese Sache ausgehen? Wortlos sitzen sie in der Kutsche einander gegenüber. Jendrik scheut sich, den Bruder anzusehen, als könnte der in seinem Gesicht die Gedanken lesen. Sein ganzes Interesse scheint dem zu gelten, was er draußen sieht: die hetzenden Menschen, die endlosen Häuserzeilen, an denen sie vorbeifahren. Das alles fesselt ihn so, als sähe er es zum ersten Male. Er hört den Bruder sagen: „Mit Vaters Erbe gibt es nichts zu regeln, Jendrik. Es ist geregelt, wie es schon vor seinem Tod geregelt war. Und so soll es bleiben.“

      „Ich verstehe dich nicht ... Nichts zu regeln?“, stottert er verwirrt. „Deine Frau sagte doch ...“

      „Ach was! – Es bleibt alles, wie es ist. Bruder, ich habe mehr, als ich brauche. Die Tage, die du bei mir bist, habe ich mir die Sache wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen. Nein, eigentlich nicht – im Grunde, Jendrik, stand mein Entschluss schon bei Vaters Beerdigung fest. Ich habe mit Antonya gesprochen, die hält es auch für richtig, dass alles so bleibt, wie es ist, und dass das Land nicht in billige, nutzlose Flicken zerrissen wird.“

      „Heißt das, dass du verzichtest? Vaters Land, das Haus – nicht teilen? Meinst du das?“

      „Ja. Wir dürfen nicht teilen. Denn jeder Erdmann vor uns hat versucht, den Besitz zu vermehren.“

      „Ja, das ist wahr.“

      „Und du, Bruder, sollst es wie unsere Väter machen! Was ich hier in Lodz besitze, das siehst du ja. Und dann sind da noch die Güter meines Schwiegervaters. Meine Kinder sind versorgt, alle vier. Was mit dem Krystian ist, das steht in den Sternen. Der wird sein Erbe, wenn sich die politische Lage nicht ändert, niemals antreten können. Ja, wenn der überhaupt noch lebt! Solange die Russen einen Fuß in Polen haben, wird der das Leben einer Ratte führen müssen: immer im Untergrund, immer im Verborgenen ... So ist das doch.“

      „Ihr wisst nichts von ihm?“

      „Gar nichts. Also, noch einmal: mit Vaters Land und Haus bleibt es, wie es ist!“

      Vor der Villa toben die Kinder im Schnee. Als sie die Kutsche entdecken, rennen sie schreiend nebenher. Der Kutscher Frantizek ist abgesprungen, um einen Unfall zu verhüten. Er hält die kleine Horde behutsam von den Rädern fern. „Was gibt’s denn?“ fragt Stanislaus durch den Fensterspalt. „Warum schreit ihr wie die Pferdeknechte?“

      „Wir dürfen Silvester Schlittschuh laufen, Vater! Alle! Bis in die Nacht! Ach – bis ins neue Jahr hinein!“

      „So?“

      „Es soll ein richtiges Fest werden! Weil wir Besuch haben!“

      „Wer sagt das?“

      „Mutter!“

      „Ja, dann wird das wohl so sein.“

      Antonya steht mitten im Zimmer. Sie kehrt ihrem Mann den Rücken zu als

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