Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring
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Читать онлайн книгу Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring страница 12
Die Rückfahrt kommt Jendrik kürzer vor, und ehe sie sich versehen, stehen sie vor der hingeduckten, schiefen Hütte.
Die alte Szannowska steht mit fragenden Augen neben der Kutsche. „Pan ...“ flüstert sie. „Pan, mein Mann ...“
„Dein Mann kommt. Er kümmert sich mit den anderen um den Bären. Du kannst wieder ruhig schlafen. Wir haben ihn erledigt. Von dem habt ihr nichts mehr zu befürchten.“
Die Alte bekreuzigt sich erlöst und ihr zahnloser Mund öffnet sich weit zu einem befreienden Lachen, ja, ihre Augen werden feucht vor Erleichterung, so dass sie sie mit dem Ärmel ihrer Jacke wischen muss. Mit großer Geste und viel weiter als nötig reißt sie die Tür auf und lässt die beiden Herren eintreten.
Später kommt auch der Wagen mit den anderen Männern. Sie sind ernst und wortkarg. Zwischen ihnen liegen der tote Marek und der Bär, und um die Hunde friedlich zu halten, hat man sie hinter dem Wagen herlaufen lassen.
Die alte Szannowska spendiert eine Decke, in die sie den toten Marek wickeln. Sie erzählt den Männern, wie froh sie ist, dass es nicht ihren Alten erwischt hat. In der Stube ist sie die einzige, die immer etwas zu reden und zu lachen hat.
„Wer sagt seiner Familie, was passiert ist?“ fragt Jendrik.
„Der Marek hat keine Familie“, antwortet Stanislaus. „Der lebt allein.“
Nachdem der alte Szannowski die Männer mit seiner Schnapsflasche aufgewärmt hat, fangen sie wieder zu reden an. Sie erzählen seiner Frau, wie sie den Bären gefunden haben und wie er sofort auf sie losgegangen ist.
„Auf die Hunde!“ verbessert einer. „Die haben den doch mit ihrem Gekeife richtig verrückt gemacht. Man hätte sie nicht ableinen dürfen, vielleicht hätten sie das Ungeheuer dem Herrn Grafen direkt vor die Flinte scheuchen können.“
„Ja, er ist ja auch in die Richtung getrabt, wenn der Marek, dieser Dämlack, ihm nicht den Weg versperrt hätte. Wollte den Helden spielen ... Wollte ihn mit bloßen Händen aufhalten oder in die richtige Richtung zwingen!“
„Ist das wahr?“ fragt Stanislaus.
Die Männer nicken. Er sieht zu seinem Bruder hinüber: „Siehst du, Jendrik, so war es also. Reine Unvorsichtigkeit. Eigene Schuld ... Siehst du.“ Zu den Männern sagt er: „Zieht das Vieh sauber ab. Den Pelz bekomme ich. Das Fleisch, das könnt ihr haben oder den Hunden geben.“
„Pfui Deibel!“ ruft einer über den Tisch, dabei spuckt er etwas von seinem Essen aus, und sofort beugt er sich wie ein geohrfeigtes Kind über seinen Teller. „Bärenfleisch! Wer wird denn so etwas essen!“
„Blödmann!“ ruft einer. „Weißt du, wie das schmeckt? Du würdest nicht nur den Teller, du würdest auch noch deine Pfoten ablecken!“
Es ist dunkel geworden, als sie aufbrechen. Über dem Wald steht der Vollmond und beleuchtet das weiße Land, so dass sie die Laternen nicht anzuzünden brauchen.
„Der ist ja ganz steif, der Marek“, stellt einer der Männer fest.
„Klar, bei der Kälte!“
Die Wagen holpern und schaukeln, und das Knirschen der Räder klingt viel lauter als am Tage.
Sie sind schon ein gutes Stück gefahren, als Stanislaus sich plötzlich seinen Pelz etwas zurück schlägt und horchend an die Wagentür rückt.
„Was ist los?“ fragt Jendrik.
„Hörst du’s nicht? Die singen.“
„Wer singt?“
„Die Männer beim Marek im Wagen.“
Sie müssen sich anstrengen, um das Lied erkennen zu können. Die Männer, die um den toten Marek hocken, singen ’Alle Menschen müssen sterben, alles Fleisch vergeht wie Heu‘.
„Sie singen für ihn“, sagt Jendrik.
„Ja, ja, für ihn.“
Mit einem Male frieren die Brüder noch mehr. Sie wickeln sich fester in die Pelze ein und ziehen die Decken bis ans Kinn und wünschen, dass die Fahrt bald zu Ende sei.
Sorgfältig notiert die stupsnasige Halina, was Antonya anordnet. Sie steht über den Küchentisch gebeugt und lässt die Zunge spielen, während sie schreibt. Das Häubchen hängt keck auf der Seite, als wäre es allzu hastig auf den Kopf gedrückt worden.
Ihr Busen scheint heute üppiger zu sein als sonst. Liegt es vielleicht daran, dass sie ihr Kleid nicht ganz zugeknöpft hat? Antonya runzelt die Stirn. Seitdem ihr Mann den ganzen Tag im Haus ist, kommt ihr diese Halina noch aufreizender und aufsässiger vor. Ihr Blick, ihre Gesten und ihr Gang wirken herausfordernd. Wenn sie die Gräfin anschaut, verrät ihr Blick Geringschätzung für die etwas ältere Frau. Sogar etwas Triumphierendes meint Antonya erkennen zu können; sie kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass diese Person etwas im Schilde führt.
Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, fragt die Halina: „Die Soße zum Karpfen – wie wünschen Sie die?“
„Haben wir jemals eine andere gemacht?“ Antonya lässt sich gegen ihren Willen reizen. In ihren Ton ist etwas von Kampf gekommen.
Das kleine Luder soll auf der Hut sein, die wird mich noch kennenlernen, denkt sie. Bedrohlich leise, die Augen zusammengekniffen, fragt Antonya: „Wie kommt es, dass sie nach der Karpfensoße fragen? Wie lange, Halina, sind Sie in diesem Hause?“
Aus Halinas nicht ganz geschlossenem Kleid steigt Röte in den Hals. „Die Mädchen in der Küche sind unsicher und lassen fragen“, rechtfertigt sie sich.
„Wie? Ihr wisst nicht mehr, wie die Karpfensoße in diesem Haus zubereitet wird?“ Sie blickt die Mädchen der Reihe nach an, die plötzlich alle viel zu tun haben. „Ja, dann werde ich auch hier öfter einmal nach dem Rechten sehen müssen!“ „Nein, bitte, das ist nicht nötig. Es wird alles gemacht, wie es sein soll!“ Die Halina ist erschreckt. Sie rafft allen Mut zusammen und meint ein wenig verlegen: „Nicht jeder in diesem Haus, Gräfin, mag Ihre ... mag die Soße.“
„Nicht jeder?“ Antonya ist erstaunt, sie ist so dicht an das Mädchen herangetreten, dass sie deren Körperwärme spürt. Sie riecht, dass Halina ein Duftwasser benutzt hat.
„Wer ist: ’nicht jeder‘, Halina?“
Das Mädchen antwortet nicht, es sieht zu Boden. Die anderen kichern heimlich.
„Noch einmal: Wer ist – ’nicht jeder‘? Antworte!“
Antonya packt sie beim Arm. Und wie sie Halinas Wärme und deren Widerstand spürt, steigt kalte Wut in ihr auf. Sie möchte ihr in das freche Gesicht schlagen. Antonya stößt sie von sich. „Geh und tu, was ich dir sage. Ihr alle! Tut, was ihr zu tun habt! Halina, Ich werde herausfinden, wen du mit ’nicht jeder‘ meinst“, zischt Antonya. „Geh an deine Arbeit. Geh!“
Vorsichtig und lautlos, aber sichtbar erleichtert, verschwindet die Halina aus der Küche.
Forsch, mit unverhohlenem Ärger steigt Antonya die Treppen nach oben und läuft einige Male durch das Zimmer. Das Gehen tut gut, nachdenklich bleibt