Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring

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Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring

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weit bist du denn, Schwägerin?“ fragt Antonya so leise, als sei jemand eingeschlafen. Sie ist ins Zimmer gekommen, ohne dass Amalie sie bemerkt hat. Antonya lehnt gegen den Porzellanofen. Sie steht tief im Schatten und ist noch immer nicht zu erkennen.

      „Ach, Antonya, Schwägerin, bist du hier? Ich habe dich gar nicht gehört. Wovon sprichst du?“

      „Von deiner Schwangerschaft. Ich habe das bei der Beerdigung schon bemerkt.“

      „Es müsste der dritte Monat sein.“

      „Nicht weiter?“ Sie tritt aus dem Schatten. „Diese unersättlichen Kerle!“ schimpft Antonya mehr für sich.

      „Nein, ich freue mich auf dieses Kind, denn es wird das letzte sein ...“ gibt Amalie zurück.

      Antonya kommt an Amalies Seite, gallig sagt sie: „Ja, das hat man uns gelehrt: freue dich, denn zum Gebären bist du da. Freue dich, Kinder sind eine Gabe des Himmels. Aber jede dieser Himmelsgaben zerstört unseren Körper und macht uns mit einem Schlag um Jahre älter und hinfälliger, und dann ...“ Sie bläst verärgert Luft durch die Nase. „ ... und dann, dann machen sich die Kerle davon und lassen uns mit unseren Himmelsgaben im Regen stehen! So ist das! So machen sie es alle.“

      „Jendrik nicht“, widerspricht Amalie.

      „Vielleicht jetzt noch nicht.“

      Amalie ist, seit sie dieses Haus betreten hat, noch irritierter, als sie es vor der Reise gewesen ist. Diese Antonya ist so ganz anders als jene, die sie vorher kennengelernt hat. Antonya wirkte immer etwas fremd, etwas zurückhaltend und von oben herab, nicht selten sogar dünkelhaft. Der Schwiegervater nannte sie das ‚Polnische Madamchen’, wenn sie oder Stanislaus nicht in der Nähe waren. Oder er winkte ab oder zog die Mundwinkel verächtlich nach unten, wenn jemand ihren Namen erwähnte. Es soll sogar zwischen ihm und Stanislaus, seinem älteren Sohn, zu lauten, zu aufbrausenden Auseinandersetzungen nach der Hochzeit gekommen sein, worauf der Sohn sich nicht mehr in Zdunska Wola sehen ließ. Erst als die Mutter beerdigt wurde, traf er mit dem Vater zusammen und hat sich mit ihm ausgesprochen; zu einer Aussöhnung sei es nicht gekommen, hat der Sohn durchblicken lassen. Antonya ist, als es zu dieser Begegnung kam, in Lodz geblieben.

      Das war vor acht Jahren.

      Antonya beugt sich über die Handarbeit und hebt sie etwas in die Höhe, um sie besser besehen zu können. „Wie sauber du stickst, Schwägerin. Das sieht aus, als würdest du nichts anderes tun, als käme es aus Asien. Es heißt, die handarbeiten so vollendet wie kein anderer.“

      Amalie lacht etwas. „Ich habe seit Jahren nicht mehr gestickt. Was ich getan habe, Schwägerin: am Webstuhl habe ich gesessen! Seit der Heirat – nur am Webstuhl. Dann kamen die Kinder. Haus und Garten waren zu versorgen, zuletzt dazu noch die Schwiegereltern ...“

      „Ja, du bist stark. Ich hätte das nicht gekonnt.“

      „Nein, stark bin ich nicht.“

      „Ich fühle mich an manchen Tagen schon mit den Leuten hier überfordert! Alle diese schwerfälligen Schädel! Wenn du denen nicht jede Einzelheit vorkaust –“ Antonya läutet, und augenblicklich erscheint die Halina, diese stupsnasige Person, als hätte sie hinter der Tür gestanden.

      „Halina, bringen Sie uns den Tee. Aber hierher an den Ofen!“ fügt sie mit Nachdruck hinzu.

      Später, die Halina hat gehorsam ein Tischchen an den Porzellanofen getragen und einen Stuhl dazugestellt, gesteht Antonya: „Ich habe mich auf das Zusammensein mit dir, Schwägerin, gefreut. Ich weiß, dass du überhaupt keine Lust hattest, nach Lodz zu kommen. Aber ich wollte, dass du mitkommst! Du und die Kinder. Ich dachte mir, nein, ich habe es gehofft, dass das eine Gelegenheit ist, die uns zwei näherbringt ...“ Sie bricht ab und machte eine Pause. Dann: „Zwichen uns gab es immer so etwas wie eine Mauer. Weißt du, ich finde, dass die eingerissen werden muss; ich habe das Gefühl, dass wir uns verstehen könnten.“

      Amalie macht ein Gesicht, als verstehe sie nicht.

      Die Schwägerin sagt: „Mit den Schwiegereltern war es auch für mich nicht leicht. Sie haben mich abgelehnt. Sie sagten: Wenn so eine sich in eine Weberfamilie drängt, dann will sie etwas. Sie haben mich auch gefragt: Was wollen Sie mit unserem Sohn? Der passt nicht dahin, wo Sie herkommen. Wir sind Weber, wir leben von der Arbeit unserer Hände, ehrlich und aufrichtig. Sie waren hart, alle beide! Hart und fromm und stolz. Und misstrauisch gegen alles, was ihnen fremd war. Sie sagten: Um uns zusammenzubringen, habe mein Vater den Stanislaus gekauft.“

      „Wenn ich dabei war, dann wurde nie über die Sache gesprochen“, sagt Amalie. „Aber wie kann man einen Menschen kaufen?“

      „Aber das weißt du, dass mein Vater Stanis’ Studium bezahlt hat. Die Schwiegereltern hatten dafür kein Geld. Und hätten sie’s gehabt, dann hätten sie nichts herausgerückt. Wie kann ein Webersohn studieren? Das macht ihn vor der Obrigkeit verdächtig! Für die geriet die Welt aus den Fugen, weil der Sohn aus allem Vertrauten, aus der alten Ordnung auszuscheren versuchte. So etwas hat’s bei den Erdmanns noch nie gegeben!.“

      Es ist so dunkel im Zimmer, dass die Frauen sich nicht sehen können. Antonya zündet eine Kerze an und stellt sie auf das Tischchen. „Dass Stanislaus mich liebte und ich ihn – das war für die Schwiegereltern ebenso unmöglich. Wer heiratet denn aus Liebe? Neumodische Kindereien sind das. Wenn geheiratet wird, dann wird weder aufs Gesicht noch auf die Figur geguckt, vielleicht auf den Charakter, sondern auf das, was der andere in der Tasche hat. Aber diese Regel galt bei uns nicht. Nicht bei Stanislaus, nicht bei mir. Denn ...“ Antonya kichert. „Obwohl ich doch, wie man so sagt, mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde – so eine wollten sie trotzdem nicht. So hoch hinaus sollte der Sohn nicht langen, denn da stürzt man schnell und tief!“

      Sie ist aufgestanden, um den Rücken am Ofen zu wärmen. „Was man vom Adel zu halten habe, das wisse jeder, sagten sie zu Stanislaus. Der Adel ist faul, er presst die Menschen aus, hat einen Dünkel, dass es zum Himmel stinkt. Selbst wenn er so unbedeutend ist, wie wir es sind. – Bei der Beerdigung des Schwiegervaters überfiel mich wieder die Erinnerung und dieses ... dieses Gefühl, dass ich eine Fremde in der Familie bin und wohl auch bleiben werde.“

      „Wie, du selbst denkst das auch?“ bricht es aus Amalie hervor und sie schlägt sich sofort vor Schreck auf den Mund.

      „Amalie, Schwägerin, das spürt man doch. Du würdest es auch spüren. Du zeigst eine harte Rinde, aber innen, Amalie, bist du aus weichem Holz, bist verletzbar, ohne viel Widerstand. Und jetzt, da von der alten Generation keiner mehr da ist“, sagt Antonya fast fröhlich, „möchte ich Frieden schließen. Mit dir, auch mit dem Jendrik. Darum habe ich alles daran gesetzt, dass ihr nach Lodz kommt. Und ihr seid gekommen. Glaubst du mir, dass ich mich darüber freue? Sehr freue?“

      Antonya kommt um das Tischchen, um die Schwägerin zu umarmen. „Amalie, ich möchte alles versuchen, dass wir uns näher kommen und nicht mehr wie Fremde gegenübersitzen.“

      Stanislaus ist mit seinem Bruder an diesem Nachmittag in die Fabrik gefahren, die ihm durch eine Erbschaft seiner Frau mit zugefallen ist. Noch vor seiner Heirat mit Antonya hat er sich ins Praktische der Tuchweberei eingearbeitet und den Betrieb in wenigen Jahren zu einem angesehenen und gewinnbringenden Unternehmen ausgebaut.

      Das war einer der Gründe, warum sein Schwiegervater, der alte Graf Zlotczinsky, die Eskapaden seines Tochtermannes ertrug. Der andere war dieser: sein Sohn Krystian, Antonyas älterer und einziger Bruder, war sehr früh als Anarchist in den Untergrund gegangen, um mit einer Gruppe junger Männer und Frauen

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