Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring
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Читать онлайн книгу Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring страница 11
„Und was machen wir?“ fragt Jendrik.
„Wir warten, bis es so weit ist. Das kann nicht lange dauern. Die Spur scheint einigermaßen frisch zu sein. Also treibt er sich auch noch hier herum.“ Stanislaus zündet seine Pfeife an, und mit seitwärtsgeneigtem Kopf lauscht er den Hunden und den Männern nach, die sich schnell entfernen.
„Wenn es so weit ist, dann kommst du mit“, sagt er zu seinem Bruder. „Bleibe nicht allein zurück. Der Bär kann ausbrechen. Es ist gefährlich, allein zu sein, du bist nicht bewaffnet. Jeder von uns trägt ein Gewehr bei sich, da ist das Risiko geringer.“
Sie stampfen mit den Füßen, aber es hilft nicht viel gegen diese beißende Kälte. Im Westen vergrößert und verfärbt sich die Sonne für den Untergang. Es wird nicht mehr lange dauern und sie verlängert die Schatten, und in ihrem rötlichen Licht bekommt die Kälte noch mehr Schärfe. Ein Krähenschwarm sucht kreischend seinen Schlafbaum auf.
„Also, du meinst, es soll alles so bleiben ... mit dem Erbe, meine ich“, sagt Jendrik.
Stanislaus spürt, dass der Bruder immer noch beunruhigt ist und seine Zweifel und Fragen dazu hat. „Das ist so gut wie verbrieft und besiegelt, Jendrik. Auch wenn du der jüngere bist. Du sollst auf dem Land bleiben! Ich kann da nicht leben, ganz zu schweigen von Antonya und den Kindern.“
„Ich denke, wenn der Vater das rechtzeitig ...“
„Hat er aber nicht. Du weißt, dass die Spannungen zwischen uns nie ganz ausgeräumt wurden. Dann war es zu spät für solche Dinge.“
Für diesen Augenblick wirkt Jendrik wieder erleichtert, als wäre die Sache damit endgültig und ein für allemal geklärt. Er möchte etwas sagen, und da fällt ihm nichts anderes ein als den Bruder zu fragen: „Stanislaus, kannst du dir erklären, warum die Eltern uns slawische Namen gegeben haben? Unsere Eltern, die Großeltern – alle hatten sie deutsche Namen, soviel ich weiß.“
„Nun, vielleicht wollte Vater, dass wir mit unseren Namen ganz in Polen aufgehen, wie er gerne in Polen aufgegangen wäre. Allen Geschwistern hat er slawische, hat er polnische Namen gegeben, den Mädchen, den Jungen – allen! Du weißt, der Vater konnte polnischer sein, als die Behörden es erwarteten. Auf polnischer Erde lebte er, polnischer Boden ernährte ihn, in polnische Erde kehrte er zu den Vorfahren zurück – vielleicht wollte er mit der Wahl solcher Namen mit der langen deutschen Tradition brechen. Wer weiß. Oder er hat sich damit der Mutter widersetzt, die oft genug sagte, sie könne das Polnische nicht ausstehen.“
„Dann hätte er echte polnische Namen wählen sollen:“
Plötzlich ertönt das Signal, dass der Bär gefunden ist. Und gleichzeitig hören sie auch das giftige Bellen der Hundemeute. „Heißt das, dass wir kommen sollen?“ fragt Jendrik.
„Ich denke, sie werden versuchen, ihn ins Feld zu treiben. Warten wir noch.“
Stanislaus hat vor Aufregung seine Pfeife gelöscht. Jetzt kann er nicht mehr still dastehen, er muss sich bewegen. Das Gewehr unter dem Arm, läuft er auf und ab und stolpert, weil er in eine Vertiefung unter der Schneedecke getreten ist.
„Mist!“ schimpft er. „Das fehlt noch, dass ich mir die Knochen breche.“
„Dein erster Bär ist das wohl nicht“, sagt Jendrik. „Oder hast du schon einmal einen erlegt?“
„Das ist mein dritter. Die anderen haben wir in den Wäldern meines Schwiegervaters gejagt. Der ist regelmäßig auf die Jagd gegangen ... Niederwild, Rehwild und Sauen, auch Schnepfen und Bekassinen.“
„Du hast Gefallen daran, ja?“
Stanislaus blickt für einen Moment seinen Bruder halb belustigt, halb skeptisch an. Er weiß, ihm ist das Töten ein Greuel. Er sagt: „Ja, ich bin anders als du, Jendrik. Du konntest nicht einmal einer Henne den Kopf abschlagen oder dem toten Stallhasen das Fell über die Ohren ziehen!“ Lachend zündet er wieder die Pfeife an. „Und ich wette: deine Schweine und Schafe lässt du immer noch schlachten und läufst weg, wenn der Metzger ihnen das Messer an die Gurgel setzt! Aber ganz so schlimm bin ich nicht. Wenn es um Bestien geht, die den Menschen angreifen – ja, dann schieße ich. Bären und Wölfe und ...“ er zögert etwas. „ ...und Russen. Ja, die gehören auch dazu, weil sie schlimmer sind als Bären und Wölfe.“
„Du würdest auf einen Menschen anlegen?“
„Nein, auf Menschen nicht, aber auf Russen?“
„Liebäugelst du am Ende auch mit Anarchisten und allen anderen, die die Ordnung verändern wollen?“
„Anarchisten? Einer in der Familie reicht mir, Bruder! Ich habe einen anderen Weg gewählt: den des Bürgers. Und das heißt, dass ich nicht nur für mich allein Verantwortung trage. Aber das mit den Russen, Jendrik, das ist so eine Sache.“
„Billigst du, was die Anarchisten tun?“
„Du solltest mich nicht danach fragen, Bruder. Aufgepasst, jetzt geht es los. Sieh doch nur ...“
Vor ihnen bricht ein durchdringendes Getöse im Wald los. Die Männer schreien durcheinander und schlagen mit Stöcken gegen die Bäume. Sie johlen und fluchen in deutscher und in polnischer Sprache und schließlich gehen ihre Rufe im Höllenspektakel der Hunde unter.
Stanislaus stapft durch den Schnee, um hinzugelangen, wo sie den Bären gestellt haben. Unerwartet besinnt er sich und kehrt um, und in diesem Moment fallen mehrere Schüsse; alles ist still geworden, sogar die Hunde.
„Jetzt haben die Idioten mich um mein Vergnügen gebracht!“ schimpft er. „Knallen die mir tatsächlich den Bären ab!“
Frantizek ruft durch die Hände: „Herr Graf, kommen Sie!“ Der Kreis um den Bären öffnet sich, als Stanislaus mit seinem Bruder erscheint. Schwanzwedelnd zerren die Hunde an ihrer Leine und winseln und versuchen, nach der Beute zu schnappen. Den Bären sehen sie ausgestreckt auf dem Bauch liegen, die Schnauze hat er unter eine Pfote gesteckt.
„Wir mussten das tun, Herr Graf. Er hat den buckligen Marek erwischt“, erklärt jemand aus der Runde. „Da.“ Unter dem Tier lugen ein Paar verdrehte Beine hervor.
„Vielleicht lebt er noch!“ ruft Stanislaus. „So rollt doch das Vieh von dem Menschen herunter!“
„Es ist besser, wenn Sie alles so lassen, wie es ist“, sagt der Frantizek. „Der Bär hat ihn regelrecht zerfetzt und verstümmelt. Der alte Szannowski wird Sie und Ihren Herrn Bruder zur Hütte zurückfahren, und um das hier, Herr Graf, kümmern wir uns. Fahren Sie nur.“
In der Kutsche sagt Jendrik: „Ein Menschenleben für ein Jagdvergnügen, Bruder ...“
„Es klingt so, als wolltest du mir einen Vorwurf machen? Das ist mehr als nur ein Unfall“, murmelt er, als spräche er mit sich.
„War das mitbedacht?“
„Nein, verdammt noch einmal! Nein, nein!“ Stanislaus ist verärgert, aber er zwingt sich, nicht scharf oder laut zu werden. Er sagt: „Die Bestie ist aus ihrem Winterschlaf geschreckt worden. Das macht sie wild und gereizt. Früher oder später