Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring
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Читать онлайн книгу Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring страница 7
Mag Jendrik seine Verwandten besuchen! Mag er auch die größeren Kinder mitnehmen. Ich werde nicht fahren!
„Wie soll ich mit den größeren Kindern fahren können? Wenn sie schreien, dann werden sie nach dir schreien! Ich kenne sie doch: schon während der Fahrt wird das Gequengel losgehen“, hatte er gebettelt. Und als sie schwieg, hatte er weiter eingewandt: „Und außerdem muss ich mich mit dir besprechen können, Malchen. Du weißt, dass ich nur ungern Entscheidungen treffe, die nicht mit dir besprochen wurden ...“
„Und wenn ich sie nicht gutheiße – du tust dennoch, was du für richtig hältst!“, hatte sie ihn heftig unterbrochen. „Du hörst ja überhaupt nicht auf das, was ich sage, Jendrik!“
„Das ist nicht wahr! Ich höre schon auf dich, aber du bist oft sehr zögerlich, dir fehlt oft die Entschlusskraft, die für so manche Entscheidung nötig ist. Bedenken, ja, das ist gut. Aber man kann nicht alles so lange bedenken, wie du es machst. – Du wirst mitfahren. Und wenn du es bei ihnen nicht mehr aushalten kannst, nun, dann fahren wir eben wieder heim“, bettelte er weiter.
Nein, dazu wird es nicht kommen, wollte sie ihm antworten. Auch das hat sie ihm nicht gesagt. Denn sie wird hier bleiben, und wenn sie eine Lüge erfinden muss! Ja, dazu ist sie bereit!
Aber wie anders ist es, wenn er vor ihr steht und mit ihr spricht! Dann ist es mit ihrer Standhaftigkeit vorbei.
Sie hat ihm nicht viel entgegenzusetzen gehabt, und eine Lüge, nun die ist ihr bis jetzt auch noch nicht eingefallen. Wenigstens eine solche nicht, die ihn hätte überzeugen können, die einleuchtend gewesen wäre.
Sie wird mir schon einfallen, sagt sie sich und hört ihm zu, wie er tief und gleichmäßig atmet.
Etwas Beruhigendes und Angenehmes geht durch sie und lässt sie schließlich einschlafen.
Kapitel 2
Im Zimmer ist es dämmerig und still. Wenn Schnee liegt, ist es länger hell, aber bis in dieses Zimmer kann kein Schnee heraufleuchten. Es liegt in der oberen Etage der Villa Stanislaus Erdmanns, zudem halten breite und schwere Fenstervorhänge das Licht draußen. Hier sind sie nicht so sehr auf das Tageslicht angewiesen, in allen Zimmern dieses Hauses hängen prachtvolle Lampen, die jederzeit Licht spenden, mehr Licht, als wenn Amalie in ihrer Stube in Zdunska Wola alle Petroleumlampen und ihren ganzen Kerzenvorrat angezündet hätte. In der Ecke tickt die große Wanduhr, die zu gewissen Zeiten sogar eine kleine, abgehackte Melodie hören lässt; das wäre der Anfang eines Volksliedes, wurde ihr gesagt.
Amalie sitzt vor dem Fenster im Erkerzimmer, auf dem Schoß liegt eine Stickarbeit, ein Geschenk ihrer Schwägerin Antonya. „Ich weiß, dass du solche Arbeit von jeher gerne gemacht hast“, hat Antonya gemeint. „Wenn sie fertig ist, dann soll sie dich an diese Tage in Lodz erinnern!“ Es ist eine komplizierte, eine kostbare Arbeit und Amalie findet, die passe eher in dieses Haus, nicht in ihre derbe Stube.
Eben hat die Halina, das stupsnasige Hausmädchen, die Schwägerin nach draußen gebeten. Die Halina ist eine direkte, eine unverblümte Person. Gleich bei der ersten Begegnung hat sie erkennen lassen und eine Bemerkung gemacht, dass sie diese Leute vom Land nicht mag.
Amalie überlässt sich ihren Gedanken.
Sie denkt an die lange Fahrt in der kalten Kutsche, die der Schwager geschickt hat. Die Nachbarn in Zdunska Wola waren nicht besonders überrascht, diese Kutsche vor Erdmanns Haus zu sehen. Sie wussten, das sind die Lodzer Verwandten. Ein wenig erstaunlich war es für sie, dass nach dem Weihnachtsfest das Gefährt wieder auftauchte und gleich für einige Tage auf dem Hof stand. Keiner konnte sich erinnern, sie vor der Beerdigung des alten Siegismunds in dieser Stadt gesehen zu haben.
„Werdet ihr damit zum Jahreswechsel so vornehm in die Kirche fahren?“, wurde Amalie gefragt.
„Nicht in die Kirche.“ Dann etwas überheblich: „Nach Lodz fahren wir. Zum Schwager.“
„Ei, seid ihr vornehme Leute geworden!“
War das vergnüglich! Amalie muss jetzt noch darüber lachen. Nachdem sie sich gegen die Fahrt nicht mehr verweigern konnte, gab es schon wegen der Kinder vieles zu bedenken; dazu die Aufregung und Fragerei bei ihnen!
Für die Kinder hat sie Ziegelsteine heiß gemacht und Wärmflaschen mitgenommen und sie zu ihnen in die Decken gelegt. Es dauerte nicht lange, ein wenig hinter Zdunska Wola, und die Kleinen haben zu jammern angefangen und über kalte Füße und Hände geklagt. So mussten sie und Jendrik während der langen Fahrt abwechselnd das eine oder andere auf den Schoß nehmen, um es zu wärmen.
Als sie durch Pabianice gefahren sind, haben die Kinder Gucklöcher in die vereisten Scheiben gekratzt und gehaucht und sich die Nasen platt gedrückt. In Lodz schließlich wollten sie aussteigen und zu Fuß gehen. Solche breiten und festen Straßen, wo sich Geschäft an Geschäft reiht und wo in einer einzigen Straße mehr Menschen unterwegs waren, als in ihrer Stadt wohnen – das hatte keiner von ihnen je gesehen. Auch Amalie und ihr Mann staunten, und gegenseitig machten sie sich auf die vielen unerhörten Dinge aufmerksam, die es hier zu bewundern gab. Zu beiden Seiten der Straßen standen hohe Lampen, die von einem Mann mit einer langen Stange angezündet wurden, so dass es selbst am Abend heller war als an manchen Tagen in dieser Zeit. Und in unerhörter Fahrt jagten Kutschen rechts und links an ihnen vorbei, dass ihnen schwindelig werden konnte.
„Wohnen hier denn nur Reiche?“ hat sie ihren Mann gefragt. „Wie gut die gekleidet sind! So wohlgenährt ...“
„Das ist die Stadt“, versuchte der Mann zu erklären. „Da kleiden sie sich anders als bei uns auf dem Land. Hier verdienen sie in den Fabriken gutes Geld. Sogar die Frauen arbeiten, sagt Stanislaus.“
Amalie ist entsetzt. „Die Frauen arbeiten? Und die Kinder!“
„Frag meinen Bruder. Arme gibt es hier auch mehr als genug. Die fallen nur weniger auf.“
Sie wunderten sich über die schnurgerade Straße, durch die Menschenmassen schwärmten, über die aneinandergereihten Häuser wunderten sie sich, in denen sie Geschäft an Geschäft sahen. Dann bogen sie in ein stilleres Viertel ein, in dem weniger Menschen unterwegs waren. Nur die Kutschen jagten noch hin und her. Die dichten Häuserfronten blieben zurück, dafür tauchten zu beiden Seiten der Straße Villen auf mit Erkern und verzierten Giebeln, mit hohen hellen Fenstern, vor denen durchscheinende Vorhänge hingen, über die die Frau sich sehr wunderte. Hinter den Scheiben erkannten sie Menschen, die in den Abend schauten oder miteinander sprachen. Manche Villa stand dicht an der Straße, aber eine hohe Mauer oder ein kunstvolles Gitter schirmte sie ab. Andere versteckten sich in einem weiten Park, und der Weg dahin wurde von kleinen Laternen beleuchtet; in der Ferne blinkten ihre Lichter aus hohen Fenstern in die Dunkelheit.
Das Pferd, das ihre Kutsche zog, in der sie saßen, ist ruhig und gelassen durch das Gewühl gegangen. Plötzlich jedoch verfiel es in einen leichten Trab. Es hielt sich dicht an der rechten Straßenseite und einige Frauen, die nebenher gingen, grüßten, und Männer zogen ihre Mütze vom Kopf und verneigten sich.
Sie haben die Straße verlassen und sind in einen dunklen Weg eingebogen, der vom Schnee freigefegt worden war. Verschneite Tannen waren zu erkennen, schwarze Baumstämme und Büsche, die sich unter der Last des Schnees bogen. Nach einer scharfen Kurve tauchte rechts neben der Kutsche ein Haus mit Säulen und einer weiten Freitreppe auf. Jemand leuchtete mit einer Fackel durch das Wagenfenster und rief: „Sie sind da! Sie sind da!“
Augenblicklich waren die oberen Stufen der Treppe