Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring
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Читать онлайн книгу Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring страница 13
Durch den Park sieht sie ihren Mann kommen. Er geht vornübergebeugt und in Gedanken. Dann ist etwas da, das ihn stehen bleiben lässt und das sein Interesse erregt. Er schaut zum Haus herüber, dahin, wo die Küche ist und macht mit der Hand eine abwehrende Bewegung; dann blickt er prüfend zu Antonyas Fenster hoch. Aber hinter den Vorhängen kann er sie nicht sehen, und hastig läuft er auf den Eingang der Dienstboten zu.
Antonyas Wissen und die wilden, quälenden Vermutungen lassen keinen klaren Gedanken zu. Aber so ist es: immer, wenn sie einen klaren Kopf behalten will, dann wird sie nur noch verwirrter. Antonya ist hilflos und weiß nicht aus noch ein. Ganz bestimmt wird sie alles wieder falsch machen!
Dieses polnische Mädchen reizt sie und macht sie wütend, auch ihr Mann macht sie wütend. Aber am meisten kann Antonya über sich selbst aus der Haut fahren.
Später ist die Halina bemüht, so zu tun, als sei nichts vorgefallen. Und auch Antonya versucht den Eindruck zu erwecken, als wäre die Episode in der Küche ihrerseits vergessen. Wenn da nicht die auffallende Schweigsamkeit zwischen ihrem Mann und dem Mädchen wäre. Was die Halina in Stanislaus’ Nähe zu tun hat, das tut sie mit eisernem Schweigen. Ja, sie wagen es nicht einmal, sich anzusehen. Wenn die Halina ihm etwas zureicht, dann zittern ganz schwach ihre Hände und jedesmal kriecht aus ihrem Kragen eine leichte Röte in ihr Gesicht.
Das bleibt Antonya nicht verborgen; zum Teil verunsichert sie das noch mehr, teils sieht sie ihren Verdacht bestätigt, und wieder steigt Wut in ihr hoch und lähmt sie.
Das Essen heute am Silvesterabend ist ruhig verlaufen. Alles geschah, wie die Hausfrau es angeordnet hatte.
Nach der Mahlzeit ist das Personal in den Salon gekommen, so wie es auch am Abend vor dem Weihnachtsfest gekommen ist und alle Jahre zuvor. Sie haben der Herrschaft und den Gästen ein gutes neues Jahr gewünscht und dafür ihre Hand aufgehalten. Auch die Halina ist darunter gewesen. Und von Stanislaus und Antonya haben sie alle ihr ’Feiergeld‘ erhalten, wie es der Brauch in diesem Hause verlangt.
Mit den Kindern haben die Eltern an diesem Abend ihre Plage; die großen wie die Kleinen zeigen keinen Appetit, sie quengeln und liegen den Müttern in den Ohren, wann es denn endlich an den Teich geht, auf dem sie alle Schlittschuh laufen wollen.
Antonya mag nichts mehr hören, sie wird ungehalten und sagt: eine solche lästige Horde könne sie nicht bis um Mitternacht ertragen. Sie werde ihren Plan dahingehend ändern, dass alle, auch die Cousins und Cousinen aus Zdunska Wola, ins Bett gesteckt würden!
Das wirkt.
Ein leichter Schnee fällt, spärlich und fein wie Staub. Rund um den Teich brennen Fackeln, die an den Ästen der in der Nähe stehenden Bäume und an eigens dafür in den Boden gerammten Stangen befestigt sind. An einigen Stellen knistern Feuer in Eisenkübeln, die ein kreisrundes schwarzes Loch in den Schnee geschmolzen haben. Etwas oberhalb des aus dem Eis herausragenden Steges hat das Personal einen Tisch hergerichtet, auf dem, auf einem stattlichen Stövchen, der Punschtopf dampft.
Die Leute stehen in Gruppen zusammen, beim Tisch steht überwiegend weibliches Volk, das mit Antonya zu tun hat An den Feuern, sich einmal vorne, einmal den Rücken wärmend, sind die Männer, und Stanislaus in ihrer Mitte. Unter ihnen befindet sich die Halina, dick in Tücher gehüllt, so dass sie kaum zu erkennen ist. Die Halina beteiligt sich nicht an den Männergesprächen, sie hört zu, was die sich zu erzählen haben.
Antonya läutet mit einer kleinen, schwer zu hörenden Schelle. Niemand reagiert, erst als einer der Männer „Ruhe mal!“ schreit und in seine Hände klatscht, werden sie auf das Läuten merksam. „Ich möchte mit Ihnen allen anstoßen!“ ruft Antonya. „Bitte, kommen Sie zu mir an den Tisch.“
Schwerfällig setzen sich die Menschen in Bewegung und stellen sich im Halbkreis um die Hausherrin. Ganz hinten, als suche sie irgendwo Zuflucht, steht die Halina, die trotz ihrer Vermummung vor Kälte ganz in sich zusammengesunken ist.
Antonya, die das erste Glas einschenkt, sagt zu den Leuten: „Wer nicht mit Punsch anstoßen will, für den hat mein Mann Wodka und Bier im Korb.“
Die Männer murmeln beifällig und die Frauen stellen sich vor dem Punschtopf auf. Alle sind heiter, lachen und schwatzen durcheinander und stoßen sich wie die Kinder.
„Sie brauchen es nicht bei uns in der Kälte auszuhalten. Wer ins Warme gehen möchte ...“ Antonyas Arm vollführt eine Geste der Entlassung, aber sie bleiben, keiner scheint Lust zu haben, ins Haus zu gehen.
Die Kinder toben mit roten Gesichtern auf der Eisfläche. Antonyas Kinder haben alle Schlittschuhe an den Füßen, mit denen die beiden älteren, die Selma und der Otto, geschickt herumwirbeln und Kreise ziehen. Die kleinen stützen sich gegenseitig, und wenn eins hinfällt, dann liegen sie alle lachend und kreischend auf dem Eis.
Für die Kinder ihres Schwagers hat Antonya durch den Frantizek Schlitten herbeischaffen lassen. Einer ist darunter, der wie eine kleine offene Kutsche gebaut ist, vor die man ein Pony spannen könnte. Aber dafür ist er nicht eingerichtet. An der Rückseite hat er einen geschwungenen Eisengriff, mit dem er wie ein Kinderwagen zu schieben ist. Amalie hat die siebenjährige Martha und die kleine Natalie hineingesetzt, die aber vor lauter Angst zu brüllen beginnt, als die Tür hinter ihr geschlossen wird. Frantizek bugsiert den Schlitten um den Teich, und manchmal lässt er ihn allein von der Böschung gleiten, dass die Schlittschuhlaufenden Kinder auf dem Eis kreischend auseinander stieben.
Auch Antonya und Stanislaus wagen sich später unter die Kinder. Beide sind im Eislauf geübt, ganz besonders Antonya. Sie hat, als sie vom Personal Beifall bekommt, für eine kurze Zeit die Eisfläche für sich allein. Sie dreht Pirouetten und wagt sogar schon einmal einen Sprung, dabei hält sie den Muff weit von sich gestreckt und rafft mit der freien Hand den langen Mantel ein wenig in die Höhe.
Sie scheint Gefallen am Eislauf und am Applaus gefunden zu haben, denn sie mag gar nicht mehr aufhören.
Hinter dem Tisch stehen sich Stanislaus und die Halina gegenüber. Als der Mann sein Glas abgestellt hat, nimmt es das Mädchen und dreht es bis zu der Stelle, von der er getrunken hat. Ohne auf die Leute zu achten, die ihr dabei zusehen, hebt sie das Glas mit dieser Stelle an ihre Lippen und prostet ihm zu.
Das ist Antonya nicht verborgen geblieben; mitten im Lauf bleibt sie stehen, dann steigt sie wackelig und vorsichtig die Böschung hinauf und hält einem dürren, blaugefrorenen Mann ihre Füße hin, dass der sie von den Schlittschuhen befreie.
„Ich brauche etwas zu trinken!“ ruft sie. Und, als ihr ein Glas Punsch gereicht wird, wendet sie sich überaus leise und sanft der Halina zu: „Halina.“ Antonya deutet auf das Glas, aus dem die Halina gerade getrunken hat.
Das Mädchen tut, was die Frau wünscht.
„Schmeckt dir der Punsch, Halina?“
Halina sieht sie belauernd an und nickt.
„Gut, Dann trinke auch mit mir, Halina?“
„Ich habe gerade getrunken“, flüstert das Mädchen.
„Vielleicht nicht genug. Du solltest mehr trinken. Ich weiß, dass du mehr möchtest, und auch mehr verträgst, Halina! Na zdrowie!“
Antonya