Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring
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Читать онлайн книгу Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring страница 17
Seit Jendrik mit seiner Frau und den Kindern aus Lodz zurückgekommen ist, hat er darauf gebrannt, mit dieser Arbeit beginnen zu können. Arbeit, dachte er, muss man mit den Händen tun. Arbeit, wie mein Bruder sie macht, befriedigt nicht. Nur über Planungen und Anweisungen sitzen, den Leuten auf die Finger schauen ... Nein, solche Arbeit fordert nicht genug von mir. Stanislaus’ Arbeit macht ihn nur für unsinnige und verderbliche Dinge empfänglich. Das ist fast wie Müßiggang; damit macht er sich selbst und anderen das Leben schwer.
Wie hat Jendrik darauf gewartet, mit dieser Arbeit beginnen zu können! Jeden Morgen sah er nach dem Wetter, ob es sich nicht bald ändern werde. Und jeder Morgen ließ ihn wissen, dass es noch nicht so weit ist.
„Mit deiner Unruhe kannst du auch mich verrückt machen“, hat seine Frau geklagt. „Vielleicht soll es nicht sein, dass du Vaters Stube niederreißt.“
Das konnte ihn ärgerlich machen; aber er antwortete ihr nie darauf.
Im frühen März, in den Vertiefungen der Äcker und in den Wäldern lag noch Schnee, ging Jendrik daran, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
In den ersten Tagen stand Amalie da und sah zu, wie Jendrik die Mauer in seinem Elternhaus niederriss und die tragenden Deckenbalken abfing.
Einmal fragte sie ihn: „Drei Webstühle also willst du hier noch unterbringen? Ja, der Platz ist schon da – aber das Geld dafür, Jendrik?“
„Mein Bruder gibt mir Webstühle. Wenn es sein muss auch vier oder fünf. Er hat sich neue kommen lassen. Ich glaube aus Frankreich oder aus England.“
Er ist auf sie zugegangen, sah ihr fest ins Gesicht, als er die Antwort auf ihre Frage gab: „Sie kosten uns nichts, Malchen. Gar nichts!“
„Uns wird aber der Stall fehlen“, wandte sie ein.
„Wir machen es so, wie man es schon immer mit diesem Haus gemacht hat und wie du, Malchen, es mit den Kindersachen machst: wir stricken an!“ Jendrik lachte dazu, so dass auch sie wieder einmal laut lachen musste. Darauf machte er sich wieder erleichtert an die Arbeit. Das, so dachte er, genügt ihr; Amalie ist zufrieden, vorerst wird sie nichts mehr dazu sagen. Denn die Frau machte kehrt und ging ins Haus zurück, schwerfällig und schaukelnd wie ein behäbiges Tier.
Von Tag zu Tag fällt Amalie die Arbeit schwerer.
Sie steht auf die Hacke gestützt hinter dem Zaun und sieht ins Land. Die Bäume fangen an grün zu werden, sie leuchten gegen den wässerig blauen Himmel, an dem unbeweglich ein paar Wolkenfetzen hängen. Die Luft ist erfüllt vom Gesang der Vögel. Es ist noch sehr früh. Sie muss die ersten Stunden des Tages nutzen, wenn sie etwas schaffen will. Die geringsten Arbeiten laugen sie aus, und zu arbeiten gibt es von früh bis spät genug. Darum verrichtet sie zuerst das, was ihr die meisten Kräfte abverlangt.
Gartenarbeit hat sie immer tief befriedigt, auch jetzt in diesem Zustand. Aber sie geht ihr nicht so leicht von der Hand wie sonst. Amalie muss häufig längere Pausen einlegen.
Im Haus hört sie die Kinder. Wenn sie im Frühjahr oder bei schlechtem Wetter im Garten zu tun hat und die Kleinen nicht dabei haben kann, dann öffnet sie stets eins der Fenster auf einen Spalt, um verfolgen zu können, was die in der Stube treiben.
Langsam, mit gesenktem und baumelndem Kopf, kommt die bucklige Wanda die Straße herauf. Sie ist auf dem Weg ins Feld oder in den Wald, um die ersten brauchbaren Blätter, Stengel oder Knollen für ihre Tees zu sammeln, auf die sie schwört, weil sie damit allerlei Krankheiten heilt. Trotz ihres hängenden Kopfes entgeht ihren Augen nicht, wo sich jemand aufhält, mit dem sie ausgiebig plaudern oder tratschen kann.
Mit beiden Händen hält die Wanda sich am Lattenzaun fest und streckt sich in die Höhe.
„Du bist stark wie bei allen letzten Kindern“, sagt sie und rollt bedeutungsvoll mit den Augen. „Diesmal wird es wieder ein Junge werden, das sieht man.“
Amalie wischt sich die Stirn, sie lacht. „Ob Junge oder Mädchen - wenn es nur gesund ist.“
Die bucklige Wanda winkt Amalie zu sich heran, als wollte sie ein Geheimnis loswerden. „Du musst achtgeben“, raunt die Bucklige. Ihre krumme Hand legt sich wie ein Tier auf Amalies Bauch. „Ich habe einen Stern gesehen, Amalie. Kein guter Stern, kein guter ... Wann wirst du dein Kind auf die Welt bringen?“
Amalie stößt die Hand weg. „Im Sommer. Im Juni wird es sein“, sagt sie ärgerlich.
„So, so. Weißt du, dass das die Zeit der Nachtschwalbe ist? Keine gute Zeit, ein Kind auf die Welt zu bringen. Ich rate dir: geh nicht in den Wald! Meide ihn. Du weißt, da ist die Nachtschwalbe zuhause. Sie hat Macht über die Kinder, ja auch schon über die ungeborenen ...“
„Bist du gekommen um mir Angst zu machen, Wanda? Geh weiter. Ich glaube das nicht.“
„Sei auf der Hut, Malscha, du trägst ein Kindchen, einen Jungen. Junges Leben ist immer in Gefahr. Und dann war da noch der Stern, den ich gesehen habe ... Nichts Gutes für uns alle, glaube mir. Unheil liegt in der Luft. Großes Unheil, großes Unheil.“
„Geh du zu deinen Kräutern. Meine Kinder schreien. Sie brauchen mich!“ Amalie lässt die Hacke fallen und läuft ins Haus.
Diese alte bucklige Hexe! Warum lass ich mich von der Alten bloß erschrecken und kopfscheu machen? „Du alte Krähe, du!“ ruft sie hinterher. „Du bist ja nicht bei Trost!“
Sie rennt zu den Kindern in die Stube und reißt die Zwillinge an sich. Sie drückt sie so fest, dass sie Angst bekommen und zu brüllen anfangen.
„Sie ist doch nur neidisch“, sagt sie. „Dieses Waschweib! Hat nie Kinder gehabt. Sieht gelb und grün auf die, die welche im Haus haben. Hexe!“
Der Mann steckt seinen Kopf durch die Tür. „Warum schimpfst du, Malchen?“
„Die Bucklige, die alte Hexe ... Kommt daher und jagt mir einen Schrecken ein, dass mir ganz elendig wird!“
„Nun, wenn du sie nicht davonjagen kannst – dann lass sie doch einfach stehen und gehe weg.“
Als sie wieder bei der Arbeit ist, hält sie Ausschau nach der buckligen Wanda. Die Alte hat mit ihren Worten etwas in Amalie eingepflanzt, das sie nicht ausreißen kann. Den ganzen Tag gehen ihr die Drohungen durch den Kopf.
Später im Bett, als sie auf den Schlaf wartet, da springt die Angst sie wieder an und wird noch drückender; sie hat vorhin mit ihrem Mann darüber sprechen wollen, aber der hat sie nur ausgelacht und ist gleich eingeschlafen.
Heute gibt es einen schönen Tag. Nach dem Regen in den letzten Tagen ist die Erde grün geworden; so weit das Auge sehen kann, sieht es schwarzen fetten Boden, vereinzelt von einem hellen grünen Schleier überzogen.
Jendrik Erdmann kommt mit aufgekrempelten Ärmeln in den Hof. Er ist braun geworden, seitdem er draußen an seinem Haus arbeitet. Morgen wird er die Wand mit Lehm abdichten können. Den abgeschlagenen Putz hat er von den Kindern zerkleinern lassen und ihn dann in einem Zuber aufgeweicht. Jetzt ist er soweit, dass er verarbeitet werden kann.
Aus dem Haus dröhnt das Stoßen und Stampfen der Webstühle, an denen der Gehilfe Witold mit den drei größeren Kindern arbeitet. Der dreizehnjährige Berthold, den Amalie nur liebevoll Bertel nennt, hat sehr früh für nichts