Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring

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Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring

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zusammenstecken und sich hin und wieder derart ereifern, dass sie wie auf Kommando zurücktreten, in die Hände schlagen und sich wieder sammeln. Wie Hühner beäugen sie sich, findet Amalie, und gleich darauf strecken sie wieder ihre Köpfe einander zu.

      „Dass du trotzdem gekommen bist!“, ruft die Küsterin. „In dem Zustand! Wie weit bist du denn, Malchen?“

      „Es geht auf das Ende zu“, sagt Amalie Erdmann müde und leise, als könnte jemand gestört werden. Sie lehnt gegen den Wagen und drückt ihren Bauch noch auffälliger hervor.

      „Dann sei froh“, ruft die Küsterin. Umständlich wickelt sie ihre rechte Hand zur Begrüßung frei. „ Es sollen heiße Monate kommen. Da wird jeder Tag zur Qual, wenn man das da mit sich herumschleppt. – Wenn nur nicht wieder eine Dürre kommt“, seufzt sie. „Die Zeiten sind doch schlecht genug, findest du nicht auch? Da braucht uns der Himmel nicht noch so etwas aufzuladen. – Es geht das Gerede, dass es zum Krieg kommen könnte. Von Russland aus. Die Anarchisten gehen jetzt aufs Ganze, sagt man. Und wie man weiß, die Polen heizen bei diesem Feuer kräftig mit ein. Nicht nur die da oben, nein, auch viele aus den unteren Schichten haben solche Gedanken im Kopf und sind bereit mitzumischen. Dann, das können wir uns an einer Hand abzählen, gibt es einen furchtbaren Flächenbrand. Das glauben alle. Ja, es sollen auch schon Deutsche hinübergelaufen sein, sogar hier aus Zdunska Wola, erzählt man sich!“

      Amalie denkt an den heruntergekommenen Bruder ihrer Schwägerin, an Krystian von Zlotczinsky, der am vergangenen Neujahrsmorgen nicht nur über seine Verwandten in Lodz Unruhe gebracht hat, sondern auch über sie und ihren Mann. Sie hat mit Jendrik lange darüber gesprochen, und er hatte gemeint, wenn nach Krystian gesucht wird, dann werden alle Familien verhört und alle Häuser durchstöbert werden, die mit den Zlotczinskys in irgendeiner Weise zu tun haben; auch sie müssten damit rechnen, eines Tages die geheime Polizei vor ihrer Haustür zu sehen. Aber dann war der Vorfall schließlich vergessen; doch in ihr ist eine kleine Sorge geblieben: Edmund, ihr viertes Kind. Edmund, das glaubt sie zu wissen, ist für solche Gedanken und Taten empfänglich, von denen er meint, dass sie ihn zum Helden erheben könnten. Sie muss ihn mehr als die anderen im Auge behalten.

      Die Küsterin fragt mit einem Blick auf Amalies Leib: „Malchen, ist dir nicht gut? Du bist still geworden und hast einen abwesenden Blick. – Sind deine letzten Kinder nicht die Zwillinge?“

      „Ja, Johann und Gotthard.“

      „Die sind doch noch sehr klein, nicht wahr?“

      „Vom Januar vergangenen Jahres.“

      „Nun, dann hast du alle Hände voll zu tun.“ Sie berührt so eben Amalies Schulter zum Abschied, dann huscht sie davon.

      Jendrik holt mit seiner Kutsche die alten Braczinskis von der katholischen Kirche ab, wo die heute die Messe gefeiert haben. Sein Vater, der verstorbene Siegismund, hat mit diesem spindeldürren Polen in jungen Jahren bei einem Weber in der Kaliczer Gegend das Weberhandwerk gelernt, und später sind die beiden, als sie im selben Ort wohnten, Freunde geworden. Die Braczinskis sind schwerhörig und sie verstehen kein Deutsch, darum kann Amalie ihrem Mann ohne Bedenken alles das weitersagen, was sie an Neuigkeiten von der Küsterin erfahren hat und sie kann ihm auch gestehen, welche Sorgen sie sich um Edmund macht.

      „Er ist noch ein Kind, Malchen. Erst neun Jahre ...“

      „Mit dem jungen Zlotczinsky hat es auch sehr früh angefangen.“

      „Malchen, was wird in zehn oder zwölf Jahren sein! Deswegen brauchst du dir doch jetzt noch keine Sorgen zu machen. Außerdem wird unser Sohn niemals dahin kommen, wo der junge Zlotczinsky gewesen ist. Der kennt Sankt Petersburg und Moskau, in Warschau und in Paris ist der auch gewesen. Das sind die Töpfe, Malchen, in denen revolutionäre Gedanken gekocht werden. Nein, mit Edmund machst du dir unnütze Sorgen. Wie soll der Junge dahin kommen?“

      „Nein, ich will mir ja auch keine Sorgen machen. Ich will es nicht! Aber solche Gedanken und Sorgen lassen sich nicht lenken wie ein Pferd. Und so habe ich an manchen Tagen keine Ruhe ...“

      Die alten Braczinskis sind angelangt und müssen absteigen. Die alte Frau beugt sich über Amalie und streichelt kichernd ihren Leib. „Jak dlugo to jeszcze potrwa? (Wie lange wird es noch dauern?)“ zischelt sie in ihr Ohr.

      „Okolo Czterech tygodni (Ungefähr vier Wochen).“

      Die Alte lacht laut und nickt befriedigt, und umständlich steigt sie vom Wagen herunter.

      „Jetzt wird es Zeit, dass ich die Wiege ausbessere und dass ich die Bemalung erneuere“, sagt Jendrik, als sie weiterfahren.

      „Wie willst du das machen, Jendrik? Du schaffst das nicht. Wenn du sie nur so weit herrichtest, dass sie wieder schaukelt.“

      „Nein, nein, das muss alles sein. Jedes Kind, das du in die Wiege gelegt hast, hat eine frisch bemalte Wiege gehabt.“

      „Dies ist nun unser neuntes Kind“, spricht die Frau mehr zu sich selbst. „Und alle sind sie uns geblieben, Jendrik. Das ist doch ein Segen.“

      „Ja.“

      „Jendrik, ich habe mir gedacht: wenn es ein Junge wird, dann soll er nach deinem Vater genannt werden.“

      „Das hätte ihn sehr gefreut, Malchen“, sagt der Mann und sehr aufrecht und voller Stolz kutschierte er das Gespann nach Hause.

      Kapitel 4

      Das erste Gespann mit einem Webstuhl ist aus Lodz angekommen.

      Es ist ein klarer, ein warmer erster Junitag, und die Luft ist noch erfüllt vom Geschwirr und Gesang der Vögel. Im Westen drängen Haufenwolken über den Horizont. Sie machen das Land klein und heben den Himmel weit hinauf. Die Kastanien, die Erdmanns Haus umstehen, leuchten mit ihren Blütenkerzen, und die Birken färben sich in ein satteres Grün. Die Straße ist leer heute, jeder hat bei diesem prächtigen Wetter im Garten oder im Feld zu tun. Nur ein paar Hunde lungern an den Zäunen entlang. Als aber das Fuhrwerk mit seiner aufsehenerregenden Ladung über den staubigen Schotter knirscht, werden die Menschen neugierig, sie lassen alles stehen und liegen und schließen sich dem Wagen an, um zu sehen, bei wem der Webstuhl abgeladen wird.

      „Ja, Jendrik, willst du dir eine Fabrik bauen? Du hast doch mehr Webstühle als wir.“

      „Ja, ja, aber sie genügen mir nicht!“ lacht er. „Ich mache es wie in der Kinderstube: ist etwas zu klein geworden, dann wird ganz einfach angestrickt!“

      „Er will ein feiner Herr werden wie sein Lodzer Bruder!“ bemerkt ein anderer.

      „Das gute Land hinter deinem Haus, Jendrik! Willst du alles zubauen?“

      „Jetzt, da der Alte tot ist, wird alles umgekrempelt. Ja, ja, so machen es die Jungen! Sie haben doch keinen Respekt vor dem Erbe der Väter.“

      „Wer macht das nicht? Habt ihr es anders gemacht, als euch das Erbe eurer Väter zugefallen ist? Ich sehe, dass sich Haus für Haus verändert, dass es sich vergrößert hat!“, antwortet Jendrik ihnen ruhig, ohne sich herausfordern zu lassen, und stößt das Tor zum Hof auf, dass die paar Hühner, die da herumlaufen, aufgescheucht und gackernd durcheinander fliegen und die kleine Natalie so sehr erschrecken, dass sie laut zu schreien anfängt.

      Jendrik setzt das verängstigte Kind auf der Schwelle des Hauses nieder, wo es von der Adelheid in den Arm genommen und beruhigt wird.

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