Verknotungen Erzählungen. Wilhelm Thöring

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Verknotungen  Erzählungen - Wilhelm Thöring

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sie ins Dorf gegangen, den Kopf voll von dem, was die Mutter zu erzählen wusste. Sie ging dahin, wo die Männer auf den Baustellen einander zuriefen, wo ohne Unterlass die Kuh brüllte. Unternehmungslustig ist Slobo voraus gelaufen. Manchmal blieb er stehen, sah sich um, ob sie ihm folge ...

      Jetzt sind es nur noch wenige Stunden, bis dieses verletzte, geschändete und entehrte Land hinter ihr zurückfallen wird. Unter ihren Blicken wird es schrumpfen, später in ihrer Erinnerung, als gäbe es nichts von dem, was sie weiß und gesehen hat. Und weit weg wird sie wie nach einem bösen Traum aufwachen und sich in ihrer Umwelt zurechtfinden müssen. So wird es sein, sie kennt sich: Nicht mehr als ein leicht bitterer Geschmack wird ihre Vorfreude auf Damir, auf ihr Zuhause in jenem gewaltigen Land trüben. Diesen Geschmack wird sie mitnehmen, wie die Bilder, die sich in ihr Gedächtnis eingebrannt haben: Die Trümmer, das zerstörte Leben, und Menschen, grau wie Ratten. Was Hass anrichtet, das hat sie sehen können. Ausgeblutete Dörfer im verwundeten Land, Grindflecken auf einem Schädel.

      Aber es wird sie nicht zerreißen.

      Auf der Stufe sitzt die Mutter und hält Ausschau nach ihr.

      „Was gibt es auf dem Berg zu sehen, dass du so lange wegbleibst“, ruft sie und beklopft Slobos Flanke, der zu ihr gerannt kam, der seinen Kopf an ihrem Knie reibt. „Dieser Hund ist nicht schussfest. Bei einem Knall kneift der den Schwanz ein und rennt. Ist er dir ausgebüchst?“

      „Nein, er ist nicht weggerannt. Es hat auch niemand geschossen.“

      Als Milena sich neben die Mutter setzt, knurrt sie: „Auf den Berg zu gehen! Eigensinnig warst du immer und bist es geblieben!“

      Mutters Arme sind faltig und braun, und die Hände besprenkelt von dunklen Flecken. Milena möchte den Arm um ihren Hals legen, den Kopf an ihre Schulter, so wie sie es früher getan hat, als die Körperwärme der Mutter ihren kindlichen Kummer wegtröstete. Jetzt jedoch wehrt die Mutter solche Annäherungen ab.

      Sie streichelt auch nicht mehr Milenas Haar, wie sie es in der ersten Zeit getan hat. Mit abgewandtem Gesicht starrt die Mutter ins Land.

      Hat die Mutter feuchte Augen bekommen? Vorsichtig, weil ihr kalt geworden ist, geht Milena ins Haus.

      Die Mutter bleibt auf der Treppe beim Hund, und jetzt, da die Milena gegangen und sie allein ist und nicht gesehen und gehört werden kann, lehnt sie den Kopf an die Hauswand und lässt die Tränen laufen, die sie tagelang vor der Tochter zurückhalten musste.

      „Du gehst ins fremde Land, wo du schon die ersten Wurzeln in den Boden geschlagen hast, Milena. Du gehst, weil ich dir dazu geraten habe. Aber ich wollte es nicht. Siehst du nicht, wie ich leide ...“ murmelt sie in die vor das Gesicht geschlagenen Hände. „Ich muss bleiben, weil es für mich keinen anderen Ort auf der Welt gibt als diesen, mit seinen Trümmern, mit seinem Hass, wo ich vor Einsamkeit und Sehnsucht zermahlen werde! Ich bete zu Gott, dass er mir Kraft gibt, die wenigen Stunden, die du unter diesem Dach bist, noch stark zu sein, wie ich alle Tage stark sein musste und stark sein will! Alle Tage bin ich stark gewesen; alle Tage, die du an meinem Tisch gesessen hast. Wie soll ich es ertragen, morgen und die Tage danach ohne dich zu sein? Wenn du das Flugzeug bestiegen hast – Milena, diesmal ist es mein Tod. Mir ist, als würde ich spüren, wie er nach meinem Herzen greift. Wenn das Flugzeug dich morgen früh weggetragen hat, dann kehre ich in mein Grab zurück, Milena ...“

      Die Mutter stößt den Kopf des Hundes von ihrem Schoß, der sie unverwandt anblickt, als spräche sie zu ihm. Sie fährt fort: „Mit den Tagen, die uns den Abschied näher brachten, Milena, ich wollte zu dir sein wie ich war, als du noch als Kind unter diesem Dach lebtest. Vier Wochen lang ist es mir gelungen. Da war ich die Mutter, die du kanntest, nach der du dich gesehnt hast. Ich spielte die, die unter der Trennung von dir nicht leidet, die hinnimmt, dass es so ist, wie es geht, die die aufkommende Wehmut, die Trauer wie Krümel vom Tisch wischt. Das Leben vollzieht sich nun einmal in Trennungen. Jetzt muss ich hart und abweisend sein, um dir den Abschied leichter zu machen. Ich weiß und sehe es, wie sehr du leidest, weil du wieder weggehen und mich in diesem kümmerlichen Haus, in diesem friedlosen Land zurückzulassen wirst. Aber daran wirst du nicht lange leiden. Ich wünsche, und es soll so sein, dass du die Trennung vom Haus, vom Ort als eine Erlösung empfindest. Für dich, Milena, trage ich noch bis morgen das falsche, das unwahre Gesicht. Das Gesicht der Abweisung und Härte. Einen Tag länger werde ich es nicht mehr tragen können ...“

      Die Mutter schreckt zusammen: Milena ist aus dem Haus gekommen, sie hängt Handtücher zum Trocknen über den Zaun. Unbemerkt ist sie durch den halb zertrümmerten Stall, wo sie gebadet hat, ins Freie getreten.

      Die Augen mit der Hand beschattend, sieht sie zum Ginsterberg hinüber, wo sie heute gewesen ist. Sie betrachtet das leere Tal, die werkelnden Männer auf den Baustellen.

      Die Ellbogen auf den Knien, das Gesicht zwischen den Händen, beobachtet die Mutter sie.

      Milena, wie frisch du aussiehst, denkt sie, und ganz rot im Gesicht! Wie an dem Tag, an dem du angekommen bist. War zu heiß das Bad, was? Brauchst jetzt eine Abkühlung. Ja, ja, die Hitze im Verschlag ist kaum auszuhalten. Ich bin das Waschen im Stall gewöhnt. Ein bisschen kalt ist es am Anfang, aber das macht mir nichts aus. Solltest dich, wie du es früher getan hast, mit kaltem Wasser waschen. Das ist viel gesünder, es härtet ab! Doch daran bist du nicht mehr gewöhnt, Milena. Das beugt dem Schnupfen vor, der Erkältung. Für junge Menschen gibt es nichts Besseres, als Waschen mit kaltem Wasser. Was du in deiner neuen Heimat hast, warmes Wasser, warme Räume – das verzärtelt nur und macht anfällig. Ich sah, wie du dich nach dem ersten Baden beeiltest, ins Haus zu kommen. Acht Jahre nur, und du hast vergessen, wie du einmal gebadet hast, Milena. Hier ist alles noch so, wie vor deiner Abreise. Gebadet wird immer noch im Stall. Wir haben keine extra Stube für so etwas. Uns wärmt keine Heizung – uns wärmt das Schwein, die Ziege. Früher, als wir mehr Schweine und auch Kühe hatten, da war es wärmer und angenehmer zu baden. Heute ist nur Kleinvieh im Stall, da müssen wir frieren.

      Du erzähltest mir, drüben kannst du es Stunden in der Wanne aushalten. Noch dazu mit Sekt oder Wein auf dem Wannenrand!

      Du lieber Himmel! Das muss man sich vorstellen! So viel Fantasie habe ich nicht!

      Das ist nur in diesem verrückten Amerika möglich. Na, und außer Sekt oder Wein sitzt auch noch dein Damir mit dir im Badewasser.

      Und dass du das auch noch erzählst! Ihr jungen Leute seid so ungeniert!

      Milena, Milena, wie weit bist du vom Leben in diesem Dorf abgerückt! Bist in nur acht Jahren durch und durch Amerikanerin geworden!

      Ich sehe kaum noch eine Seite an dir, die ich kannte und in der ich einmal lesen konnte.

      Du stehst vor mir, mein Kind, und ich sehe eine Fremde. Und doch sterbe ich bei dem Gedanken, dass du weggehen wirst. Du Fremde, die meine Tochter ist ...

      In dir leuchtet nichts mehr auf von dem, was mich erkennen lässt, dass du mein Kind bist. An diesem Tisch hast du einmal hartes Brot gegessen, hast aus dem Brunnen Wasser geschöpft und getrunken und konntest unter dem schweren Bett in der stickigen Kammer wie eine Katze schlafen. Milena, wo ist das geblieben? Ich habe gesehen, wie du in dem einfachen Essen herumgestochert und wie entsetzt du einen Wasserfloh aus dem Glas Brunnenwasser gefischt hast, das ich dir zu trinken gab. Was in Amerika undenkbar ist – hier gibt es nichts anderes als das, woran du dich noch erinnern müsstest. Aber das hat dein verändertes Leben aus dir herausgespült!

      Und doch, meine fremd gewordene Tochter, möchte ich dich festhalten! Seit du weggegangen bist, liegt ein Stein auf meinem Herzen. Es gibt Tage, da erdrückt er mich, Milena ... da ersticke ich an meinen Tränen ...

      Da

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