Rette sich, wer kann!. Ekkehard Wolf

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Rette sich, wer kann! - Ekkehard Wolf Europakrimi

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zynischem Einschlag einräumte, dabei fast schon wie von selbst. Was die Aufzählung ein wenig unübersichtlich machte, war der an sich nicht wirklich neue Hinweis, dass sich geeignete Zielobjekte „in allen Staaten der nördlichen Halbkugel in Hülle und Fülle“ finden ließen.

      Die damit unterschwellig verbundene Botschaft sollte wohl lauten, sucht euch ein passendes Ziel, baut euch eure Haftladungen und jagt das ganze möglichst medienträchtig in die Luft.

      Perfekterweise richtete sich die Botschaft damit an jede/n, der irgendwie in der Lage war, Buchstaben zu Worten zusammen zu setzen und bereit war, für eine solche Aktion ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen.

      Der Absender selbst war hier mit gutem Beispiel voraus gegangen. Wie die Nachforschungen ergaben, hatte er die Post ausgerechnet von einem Briefkasten aus in die Welt versandt, der sich beinahe in Sichtweite des Amtes befand.

      Rogge kannte dieses Überbleibsel aus den Zeiten der gelben Post. Wie auch andere Mitarbeiter des Amtes benutzte er ihn gelegentlich, um auf dem Weg zum Dienst noch eben schnell Sendungen auf den Weg zu bringen, die auf dem Postweg befördert werden mussten.

      Die Inkaufnahme der damit notwendigerweise verbundenen Risiken stellte, wie sich auch Rogge eingestehen musste, ebenfalls solch eine merkwürdige Besonderheit dieser Botschaften dar. Da der oder die Verfasser/innen die konkrete Umsetzung der vielfältigen Anregungen ebenso wie die Auswahl der konkreten Zielobjekte großzügig dem oder der sowie den Attentatswilligen überließ, ergab sich „erfreulicherweise eine gut eingrenzbare und auch jederzeit zu kontrollierende Gemengelage von allerhöchstens einigen zehntausend gefährdeten Objekten,“ wie Rogge seinen „verehrten Kollegen“ in nicht minder zynischem Unterton bereits während der Lagebesprechung zu verstehen gegeben hatte.

      Immerhin, und das war aus Sicht des Kriminalers positiv zu werten, bot der Fall wegen seiner internationalen Dimension die Aussicht auf die eine oder andere Dienstreise ins mehr oder weniger benachbarte Ausland. Erfahrungsgemäß würde es dabei im Wesentlichen von ihm selbst und seinen phantasievollen Begründungen abhängen, in welcher Gegend der zivilisierten Welt er bei dieser Gelegenheit seine Nachforschungen zu dem gewünschten Ergebnis würde führen dürfen. Naheliegenderweise hatte er diesen Gedanken im Verlauf der Lagebesprechung nicht ausgebreitet. Doch diese Entscheidung über das wann und wohin wurde ihm durch den Fortgang der Ereignisse zunächst einmal ohnehin abgenommen, wie im Verlauf einer Dienstbesprechung erfuhr, die einige Zeit später im Büro seiner Vorgesetzten anberaumt wurde.

      Kapitel 3

      Ausgerechnet aus Tallin hatten sich die zuständigen Behörden mit einem Amtshilfeersuchen an das BKA gewandt.

      Hier hatte sich anscheinend jemand hingesetzt und den Aufruf zur Tat ins Estnische übersetzt und diesen Text dann an einem windigen Tag per Flugblattaktion in der Innenstadt per Luftpost verteilen lassen.

      „Die Kollegen dort möchten nun gern wissen, was wir davon halten,“ hatte ihm der mit der Beobachtung des internationalen Umfeldes beauftragte Kollege nicht ohne eine gewisse Schadenfreude mitgeteilt und zugleich auch angefragt, ob er schon mal einen Flug buchen sollte. Rogge hatte in diesem Fall erst einmal dankend abgelehnt und den „lieben Kollegen“ gebeten, zunächst doch noch ein „wenig mehr Informationen“ über das zu beschaffen, was den Kollegen in der Hauptstadt der Baltenrepublik anscheinend so viel Kopfzerbrechen bereitete.

      Das Ergebnis hatte nicht lange auf sich warten lassen. Bereits am übernächsten Tag hatte Rogge eine Kopie des Papiers, einschließlich einer Übersetzung ins Deutsche auf dem Schreibtisch. Und diese verhieß nichts gutes; denn während in der bisherigen Kurierpost mehr allgemein dazu aufgerufen wurde, zur Tat zu schreiten, hatte es sich der oder die estnische Verbreiter/in offenkundig in den Kopf gesetzt, ein entsprechendes Signal zwar nicht möglichst bald dafür aber höchst spektakulär in die Welt zu setzen.

      Für die „Großtat“ auserkoren hatte er oder sie sich ausgerechnet das Atomkraftwerk, das in Litauen das bestehende Kraftwerk Ignalina ersetzen soll. Perfiderweise enthielt das Papier die konkrete Aufforderung, einen entsprechenden Zündmechanismus im Verlauf der Bauarbeiten so in die Anlage zu implementieren, dass diese punktgenau an einem nicht näher bestimmten Tag nach Inbetriebnahme des Kraftwerkes den GAU auslösen würde.

      Rogge lehnte sich in seinem Sessel zurück.

      Er musste sich eingestehen, dass ein solches Vorhaben im Rahmen der Vorgaben aus Sicht eines möglichen Attentäters Sinn machen könnte. In das Kontrollzentrum oder die Außenhülle eines Atomkraftwerkes, in die Unmengen von Stahl eingearbeitet werden, einen altertümlichen Sprengmechanismus aus Metall einzubauen, dürfte kaum zu identifizieren sein. Da in diesem Fall zudem die Detonation von außen nach innen angelegt sein würde, dürften auch die konzeptionellen Sicherungen zu überwinden sein, da diese das Kraftwerk in erster Linie gegen eine Detonation schützen sollen, die von außen einwirkt.

      Zudem könnte der Zeitfaktor ein solches Vorhaben begünstigen. Wenn es möglich sein sollte, den Zündmechanismus etwa durch eine bestimmte Umgebungstemperatur mit einer Vorlaufzeit von zwei Tagen zu aktivieren, so bliebe für den oder die Täter/in/nen sogar noch ausreichend Zeit, sich mit Familie und Freunden so rechtzeitig aus der Gefahrenzone zu bringen, dass der GAU keine unmittelbare Gefahr für ihn oder sie mehr darstellt.

      Als besonders ärgerlich war zudem zu werten, dass die Kollegen in Estland dem Anschein nach keine rechte Vorstellung davon hatten, wie viele dieser Aufrufe verbreitet worden sind.

      Noch während Rogge sich auszumalen versuchte, welche Folgen ein solcher Anschlag für die Debatte um die Sicherheit von Nuklearanlagen haben dürfte, erreichte ihn bereits eine Mitteilung, die einer Entwarnung sehr nahe kam. Der estnischen Polizei war eine junge Frau ins Netz gegangen, die nach Aussagen ihres früheren Freundes als Urheberin und Verteilerin des Attentatsaufrufes angesehen werden musste.

      In den Augen Rogges lieferte genau dieser Sachverhalt allerdings die unabweisbare Notwenigkeit für eine unaufschiebbare Dienstreise, die zu buchen er dann auch gleich in die eigenen Hände nahm.

      Wenn er gegenüber sich selbst etwas selbstkritischer eingestellt gewesen wäre, hätte er sich zweifelsfrei eingestehen müssen, dass seine Bereitschaft diesen Flug umgehend zu buchen weniger mit dem aktuellen Fall als mit der vagen Hoffnung zu tun hatte, bei dieser Gelegenheit eine Spur der Frau zu finden, die ihm in der Glovico Sache so unversehens den Rücken gekehrt hatte, obwohl sie ein Kind von ihm erwartete.

      So kam es, dass sich noch am selben Abend eine dreiköpfige Delegation aus Wiesbaden auf den Weg zu den estnischen Ermittlern aufmachte und, dort angekommen, darum bat, in die laufenden Untersuchungen einbezogen zu werden.

      Dem Wunsch wurde umgehend entsprochen und bei dieser Gelegenheit wurden die drei angereisten Beamten mit der erhebenden Einsicht vertraut gemacht, dass die Festgenommene tatsächlich lediglich als Übersetzerin und Verteilerin tätig geworden war, nicht jedoch als Urheberin des Textes in Frage kam. Das freundliche Angebot der estnischen Kollegen, die junge Dame trotzdem erneut zu befragen, hatten die Angereisten freudig angenommen.

      Als die junge Frau in den Raum geführt wurde, stutzte Rogge kurz und zog die Stirn in Falten. Die Festgenommene war mittelgroß und trug ihre hellblonden Haare in einem Knoten zurück gesteckt. Diese Aufmachung erinnerte Rogge irgendwie an die Haartracht, die er häufig bei Landfrauen im Baltikum hatte beobachten können und folglich speicherte er sie für sich sogleich unter als die „Baltin“ ab, Bekleidet war sie mit einem dunklen Rock und einer hellen Bluse. Der Oberrat registrierte, dass die Dame fast ein wenig schamhaft den Blick senkte. Spontan kam es ihm so vor, als ob er die junge Frau kennen würde. Aber er wusste nicht, wo er sie hinpacken sollte.

      Erst

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