Rette sich, wer kann!. Ekkehard Wolf

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Rette sich, wer kann! - Ekkehard Wolf Europakrimi

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dauerte noch einen Moment, bis nun auch die estnischen Beamten von dem Gedankenblitz der Studentin in ihrer Sprache erfuhren. Aber auch deren Fragen verweigerte sich die Frau beharrlich.

      Was um alles in der Welt konnte so peinlich sein, dass es einer jungen Frau angeblich erst mit stundenlanger Verspätung einfiel, dann aber doch nicht ausgesprochen werden konnte?

      „Ist Ihnen der Mann irgendwie zu nahe getreten?“

      Rogge versuchte sich dem Thema auf, wie er fand, dezentem Umweg anzunähern, lag aber bereits mit der angedeuteten Vermutung anscheinend völlig falsch. Jedenfalls reagierte die junge Frau mit heftigem Kopfschütteln.

      Rogge war ratlos und blickte daher die junge Profilerin hilfesuchend an.

      „Sollen wir vielleicht einen Moment nach draußen gehen?“, versuchte diese daraufhin der Studentin eine Brücke zu bauen. Deren zustimmende Reaktion bewies ihr, ins Schwarze getroffen zu haben.

      Die Profilerin sah Rogge fragend an, dieser gab den fragenden Blick an seine estnischen Kollegen weiter und nickte schließlich seiner Kollegin zustimmend zu, nachdem auch die Esten gestisch Zustimmung signalisiert hatten.

      Beide Frauen verließen daraufhin den Raum. Deren Abwesenheit versuchten die verbliebenen Männer mit Belanglosigkeiten zu überbrücken. Als beide Frauen nach wenig mehr als fünf Minuten bereits wieder in den Raum zurückkehrten, richteten sich alle Augen neugierig auf sie.

      Ohne ein Wort nahm die Studentin wieder ihren Platz ein. Der Blick war, wie Rogge ein wenig irritiert feststellen mussten, noch immer gesenkt. Seinen fragenden Blick beantwortete die Profilerin mit hochgezogenen Augenbrauen. Als ihr Chef nicht begriff, stellte sie sich neben ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Sie musste mal für kleine Mädchen.“

      Rogge blieb im Wortsinne die Spucke weg. „Und deshalb macht die hier ein solches Theater?“, kam es ihm so trocken über die Lippen., dass er erst einmal nach dem vor ihm stehenden Wasserglas greifen und sich erfrischen musste.

      „Das auch, aber da ist natürlich noch was“, gab ihm seine Mitarbeiterin zu verstehen und räusperte sich verlegen. „Jetzt fängt die auch noch an?“ Der Kriminaloberrat zeigte sich verwundert und begann sich ernsthaft dafür zu interessieren, was es spannendes gab. Doch anstatt einer klaren Auskunft druckste die Kollegin herum und wand sich wie ein Wurm.

      „Sie erwarten jetzt aber nicht im Ernst, dass ich ebenfalls für einen Moment mit Ihnen vor die Tür gehe, oder?“ Doch kaum hatte Rogge es fertig gebracht, diesen Gedanken auszusprechen, als sowohl die junge Frau, wie auch die Profilerin wie auf Kommando heftig mit dem Kopf zu nicken begannen.

      „Falls ihr beiden mal auf die Idee kommen solltet, euch als Synkronspringerinnen für den Sprung vom 10 Meter Brett anzumelden, so kann ich euch bestätigen, dass der Anfang gar nicht so schlecht ist.“ An der Reaktion beider Frauen wurde ihm schnell klar, dass er diese Art von Gehässigkeit besser unterlassen hätte.

      Während die Estin es vorzog, den Kopf wie ein geprügelter Hund noch tiefer zwischen den hochgezogenen Schultern verschwinden zu lassen, fuhr ihn seine Mitarbeiterin in einem Ton an, den er von Untergebenen so bisher wirklich nicht gewohnt war. „Was bilden Sie sich eigentlich ein, wer Sie sind Herr Rogge? Wir versuchen Ihnen hier so behutsam wie möglich näher zu bringen, dass es ein wenig peinlich für Sie werden könnte, wenn die Aussage, die Sie verlangen, hier in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird, und Sie haben nichts besseres zu tun, als sich wieder einmal über alles lustig zu machen.“

      Die schöne Luise, wie Rogge sich angewöhnt hatte, die Profilerin für sich zu nennen, machte eine Pause und Rogge holte tief Luft. „Peinlich für mich?“, erkundigte er sich papageienartig bei seiner Mitarbeiterin.

      „Wie darf ich das verstehen?“

      Dass er sich damit endgültig selbst den Weg verbaut hatte, die seltsame Neuigkeit zunächst einmal unter vier oder sechs Augen mitgeteilt zu bekommen, begriff er zu spät, denn jetzt platzte der Estin der Kragen.

      „Das waren doch Sie,“ brach es aus ihr heraus. Gleich darauf zog sie jedoch wieder den Kopf ein, als sie die verständnislosen Blicke der im Raum versammelten Beamten auf sich konzentriert sah.

      „Ich war was?“ Der Kriminaloberrat spürte, wie die fragenden Blicke seiner estnischen Kollegen auf ihn gerichtet waren. Das trug nicht gerade dazu bei, seinen Verstehensprozess zu beschleunigen.

      Immer noch begriffsstutzig starrte nun er wechselweise zunächst auf die estnische Studentin und dann auf seine Profilerin.

      Keine von beiden war jedoch bereit ihm den Gefallen zu tun und ihm auf die Sprünge zu helfen - im Gegenteil. Dem Anschein nach fand die deutsche Polizistin sogar Gefallen an der Situation und tat ihr bestes, es dem ‚Kotzbrocken’ heimzuzahlen.

      „Da müssen Sie nun schon selber drauf kommen, Herr Oberrat,“ säuselte sie ihm spitz zu und bot ihm mit mitleidsgetränkter Stimme an, ihn beim ostfriesischen Schnelldenkerwettbewerb anzumelden. „Da machen Sie bestimmt eine tolle Figur, Herr Oberrat, wirklich.“

      Rogge wusste nicht wirklich, wie ihm geschah. Eine solche Respektlosigkeit von Seiten einer jungen Untergebenen war ihm in seinen vielen Dienstjahren noch nicht untergekommen. Ratlos sah er seine „zweite große Stütze“, den ebenfalls mitgereisten Polizeioberkommissar Thomas Enders in der Erwartung an, dass dem etwas Geeignetes einfiele. Doch der machte keinerlei Anstalten, sich hier einzumischen, zumal er ebenso wenig mit der Feststellung der Estin anfangen konnte, wie alle übrigen im Raum versammelten Personen. Für einen unendlich langen Moment herrschte Schweigen.

      Einer der Uniformierten räusperte sich, sonst geschah nichts. Nur ganz allmählich gelang es Rogge währenddessen, die Worte der Estin dort einzuordnen, wohin sie gehörten. Als er die Botschaft schließlich begriffen hatte, erhob er sich geradezu im Zeitlupentempo von seinem Stuhl, beugte sich vor zu der Estin und sah sie mit offenem Mund einen kurzen Moment lang an.

      „Sagen Sie das noch einmal,“ waren die einzigen Worte, die er schließlich über die Lippen brachte.

      Die Estin hatte sich inzwischen anscheinend wieder gefangen und war erkennbar entschlossen, sich hier nicht weiter unterbuttern zu lassen. Mit wild funkelnden Augen sprang sie nun ihrerseits auf und tat dem „Kommissar aus Deutschland“ den erbetenen Gefallen.

      „Sie waren das,“ fauchte sie Rogge mit einer Aggressivität an, die er ihr gar nicht zugetraut hätte, und fügte ohne Luft zu holen hinzu, dass sie sich ganz sicher sei und er doch aufhören solle, sich hier zu verstellen. Damit war ihr Potential an Aufmüpfigkeit aber auch bereits wieder erschöpft und sie kauerte sich wie zuvor mit hochgezogenen Schultern auf ihren Stuhl.

      Der Beamte aus Deutschland konnte förmlich körperlich spüren, wie die Atmosphäre im Raum begann frostig zu werden. Sein Verstand sagte ihm, dass er jetzt damit zu rechnen hatte, von den estnischen Kollegen festgenommen zu werden. Zu klar war die Aussage der jungen Frau und zu eindeutig schien auch deren Motivlage zu sein.

      „Du kleines Luder spielst uns hier das Hascherl vor und schaffst es dabei ganz nebenbei, den Spieß umzudrehen.“ Während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, suchte er zugleich fieberhaft nach einer eleganten Lösung, um hier nicht zum Schluss ganz schlecht auszusehen. Er fühlte, in die Falle getappt zu sein, und er registrierte verblüfft, wie selbst seine beiden neben ihm sitzenden Kollegen begannen körperlich von ihm abzurücken. Je länger es dauerte, bis ihm eine Lösung einfiel, desto peinlicher wurde es für ihn. Natürlich war die Vorstellung absurd, zugleich aber begann das Absurde reale Formen anzunehmen. So begann

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