Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Schatten und Licht - Gerhard Kunit

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war ein bedeutender Weiler. Seinen Namen verdankte er den großen Windmühlen, die das Korn der umliegenden Bauernhöfe verarbeiteten, und das Mehl in die Städte Rand und Bethan, vielleicht sogar bis Hesgard lieferten. Der Fuhrhof war diesmal kleiner und den Gebäuden war das Alter anzusehen. Parin hoffte, einen Blick auf die schöne Gefangene zu erhaschen, aber der Magier dachte nicht daran, die Verschlusszauber zu entfernen. Stattdessen ließ er das Fuhrwerk in den Schuppen schieben und wies den Wirt an, ihm dort sein Lager zu richten. Den Fuhrleuten blieb nichts übrig, als es ihm gleich zu tun, aber da der Magier beim Wagen blieb, durfte Parin seinen Vater in den Schankraum begleiten.

      Der schlecht erleuchtete Raum war gut besucht. Neugierig sah sich der Junge um. Zwischen den Fuhrleuten und Reisenden erregten drei verwegene, bis an die Zähne bewaffnete Gestalten seine Aufmerksamkeit. „Söldner“, raunte sein Vater. „Starr sie nicht an. Das könnte ihr Missfallen erregen.“

      Sie ergatterten einen Platz an der Theke und aßen das bis zur Unkenntlichkeit zerkochte Gemüse. Parin lauschte den Erzählungen der Mietlinge, die ihre Heldentaten lautstark zum Besten gaben. Einer berichtete von seinem Kampf gegen einen Grautiger. Das waren gewaltige Steppenraubtiere, die früher das Lange Feld beherrscht hatten, mittlerweile aber von den berittenen Patrouillen des Kaisers aus den besiedelten Gebieten verdrängt worden waren. Der Söldner schilderte, wie er die Parierstange seines zerbrochenen Schwertes in den Rachen des Untieres geklemmt hätte, um den dolchartigen Reißzähnen des Tigers zu entgehen. Seine gestenreiche Erzählung gipfelte im Sieg über das Raubtier, das er in seiner Not mit bloßen Händen erwürgen musste.

      „Ist das wahr, was die Drei erzählt haben?“, fragte Parin, als sie im Schein einer Windlaterne zum Schuppen schlenderten.

      „Wahr oder gut erfunden!“, lachte Haul. „Stell solche Fragen nie, solange der Erzähler noch im gleichen Raum ist.“ Parin fiel in sein Lachen ein. Jetzt, wo der Zauberer nicht bei uns ist, hat auch Vater wieder gute Laune, dachte er.

      Sie fanden den Magier schlafend vor. Auch aus dem Wageninneren hörten sie ruhige, regelmäßige Atemzüge. Jemand hatte mit Kreide etwas an den Wagenkasten geschrieben und die Fuhrleute entzifferten den kurzen Text.

      „Den Wagen nicht berühren!“, stand da in schön geschwungenen Zeichen.

      Parin konnte besser lesen, als sein Vater. Immerhin hatte er zwei Jahre die Schule besuchen dürfen. Mehr konnten sich seine Eltern nicht leisten, aber Mutter hatte Wert darauf gelegt, dass er seine Leseübungen gewissenhaft ausführte, obwohl sie selbst keinen einzigen Buchstaben kannte. „Du sollst es einmal leichter haben“, pflegte sie zu sagen.

      Haul zeigte ihm, wie er sich aus Stroh und einer Decke ein Lager richten konnte, und wenige Augenblicke später schlief Parin ein. Seine Träume drehten sich um Jungfrauen, um kühne Helden, die ihnen ohne Zögern zu Hilfe eilten und um die romantischen Szenen, in denen die Geretteten ihren Dank zum Ausdruck brachten. Gerade als sich einer kreischenden Harpyie entgegenwerfen wollte, begriff er, dass das Geschrei real war und kämpfte sich schlaftrunken aus seiner Decke.

      Das ohrenbetäubende Gezeter kam vom Wagen. Sein Vater stand hilflos da und presste die Hände an seine Ohren, während der Magier hektisch gestikulierend auf den Kasten einredete, bis das Kreischen verstummte. Gleichzeitig flog das Tor auf und die Söldner stürmten mit blanken Klingen herein.

      Magister Geron beschwichtigte: „Sieht aus, als wollte unsere Gefangene einen Ausflug machen, aber mein Alarm hat ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

      „Ich bin im Schlaf an die Türe gestoßen und Euer dämlicher Zauber hat die ganze Herberge aufgeweckt“, widersprach eine ebenso wohltönende wie trotzige Stimme aus dem Wageninneren.

      Die Söldner sahen sich ratlos an und verließen achselzuckend den Schuppen. Nur Parins Müdigkeit bewahrte ihn davor, loszulachen.

      An Schlaf war nicht mehr zu denken. Beim Frühstück wurden die Fuhrleute mit unwirschen Blicken und missmutigen Kommentaren über die nächtliche Störung bedacht, und so verließen sie Zweimühlen noch in der Morgendämmerung.

       * * *

      Der Tag verlief eintönig, bis am späten Nachmittag Sirfan erreichten. Hier kreuzte die Straße, die von Chur im Süden nach Bethan im Norden führte, und so war ein florierender Warenumschlagplatz entstanden, an dem sich nach und nach auch Handwerker angesiedelt hatten. Seine Lage verlieh dem Städtchen eine strategische Bedeutung, und er wies, nebst einer äußerst wehrhaften Stadtbefestigung, auch eine bedeutende Garnison auf. Deshalb konnte Magister Geron Semira im Verlies der Festung unterbringen.

      Parin begleitete seinen Vater in die Taverne. Wieder hörten sie viele Geschichten, aber von Bedeutung war nur das Gerücht, nachdem auf der Straße nach Hesgard Raubtiere gesehen worden wären. „Kann stimmen oder auch nicht“, sagte Haul. „Kein Grund zur Besorgnis. Wir hängen uns morgen an ein paar andere Wagen dran. Das reicht um die Viecher abzuschrecken.“

       * * *

      Nachdem sie den Zauberer und seine Gefangene in der Festung abgeholt hatten, trafen sie am Stadttor auf zwei Fuhrwerke. Die stämmige, schwarzgelockte Varna war Mitte Dreißig. Sie lenkte einen offenen Wagen und hatte Bauholz geladen. Das andere Fuhrwerk war ein mächtiger, zweispänniger Planwagen. Er gehörte einem Händler aus dem Norden, der sich als Chiero Albacca vorstellte. Er mochte an die Vierzig sein und sein glattes, schwarzes Haar zeigte erste weiße Strähnen.

      „Jungchen, kannst bei mir mitfahren“, bot die Fuhrfrau an. „Hab‘ noch Platz am Bock und könnt‘ Gesellschaft vertragen. Außerdem“, fügte sie augenzwinkernd hinzu, „reicht es, wenn zwei von Euch meinen Staub schlucken.“ Haul willigte ein, und Parin war erleichtert, der bedrückenden Gegenwart des mürrischen Zauberers entfliehen zu können. Varna erwies sich als fröhliche Plaudertasche und der Vormittag verging wie im Fluge.

      Am Nachmittag kam es zu einem Zwischenfall. Das nahe Brüllen eines hungrigen Steppentigers erschreckte die Fuhrleute und Varna konnte das Ausbrechen ihres Zugtieres nur mit Mühe verhindern.

      Chiero Albacca schloss seitlich auf und zog eine Armbrust unter dem Kutschbock hervor. „Habt ihr gesehen, wo das Biest steckt?“, fragte er. Seine Augen blitzten unternehmungslustig, während er mit geschickten Handgriffen den Mechanismus spannte.

      „Nö!“, gab Varna knapp zurück. Sie redete beruhigend auf ihr Pferd ein, das nervös im Geschirr tänzelte.

      Parin sah sich hektisch um, konnte aber nichts erkennen, obwohl der Tiger neuerlich brüllte. Das heisere, kehlige Pfauchen jagte ihm die Gänsehaut über den Rücken. Das Geräusch kam eindeutig von hinten, und als Shingra ängstlich wieherte, bekam er Angst um seinen Vater.

      Plötzlich war es still, vollständig und unnatürlich still. Der Zauberer kam nach vorn und bedeutete Varna weiterzufahren. Sie wollte etwas fragen, hielt aber irritiert inne, als kein einziger Ton über ihre Lippen kam. Selbst das Schnauben der Tiere war verstummt, und als sich das Fuhrwerk in Bewegung setzte, hörte man nicht einmal mehr das allgegenwärtige Knarren des Ledergeschirrs.

      Nach zwei endlos scheinenden Zehntelstunden verschwand die beklemmende Stille ebenso plötzlich, wie sie gekommen war. Varna zog die Bremse an. „Ich will wissen, was da verdammt noch mal los war und wo der blöde Tiger steckt!“, rief sie nach hinten.

      Die anderen Wagen schlossen seitlich auf und Magister Geron versuchte zu erläutern: „Es gibt keinen Tiger. Die einzige Wildkatze hier ist diese verfluchte Hexe im Wagen. Sie wollte wohl einen Unfall provozieren, um eine Gelegenheit zur Flucht zu bekommen. Wird aber nichts, wie es aussieht. Die Stille habe ich gezaubert, damit sich die

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