Schatten und Licht. Gerhard Kunit
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Magistra Schmied erbleichte, doch Geron nahm das zustimmende Gemurmel mit Genugtuung zur Kenntnis.
* * *
Semira
Zwei Geschoße tiefer, in den Kellergewölben, verlor Semira jegliche Farbe. Ihre Finger krallten sich in den rauen Bruchstein der Fundamente. Natürlich hatte sie mit einer Bestrafung gerechnet. Das gehörte zu dem Spiel um Macht und Wissen, das sie an der Akademie zu spielen gelernt hatte. Sie kannte Geron als erbitterten Gegner, aber ein derartiges Exempel überstieg ihre schlimmsten Befürchtungen. Expurgation, hallte das Wort in ihr nach, die totale Löschung jeder magischen Faser und Fähigkeit. Nach dem Wenigen, was sie darüber gelesen hatte, musste der Prozess äußerst schmerzhaft sein, doch das wäre zu ertragen. Den Verlust des Zauberns, die Vernichtung jenes Teils, der ihre Identität darstellte, war allerdings schlimmer als der Tod.
Die Schallverstärkung auf den Beratungssaal zu fokussieren, war kräfteraubend, und die lange Dauer der Verhandlung erschöpfte sie zunehmend, aber sie war nicht willens, die Verbindung abzubrechen. Bereitwillig öffnete sie die Pforte zwischen Körper und Geist, die ihre magischen Ströme mit der Kraft ihres Lebens speisten.
* * *
Geron der Wandler
Geron genoss seinen Triumph. Letzte Vorstöße Einzelner, die Strafe abzumildern, waren zum Scheitern verurteilt, und Magistra Varna würde in Kürze das Urteil verkünden, das die magische Welt vor einer unkalkulierbaren Bedrohung bewahrte.
Schließlich erhob sich die Rektorin und sprach die rituelle Formel, die ihrem Rang als oberste Richterin bei internen Fragen der Akademie entsprach und dem folgenden Urteil unumstößliche Geltung verschafften: „Codex Alburis Prädictum et Rectora Prima!“
Das Gemurmel erstarb.
„Wir, Magistra Elida Varna Sternseherin, Rektorin der weißen Akademie der Wandlung zu Rand, erlassen in der Sache Semira folgenden Spruch: Besagte Schülerin wird der Anwendung von Magie gegen Mitglieder des Lehrkörpers sowie der Aneignung ungebührlichen Wissens für schuldig befunden. Vorsatz und Wiederholung trotz mehrmaliger Ermahnung gelten als erwiesen. Wir verfügen daher die Expurgation, wie es der Codex Alburium fordert.“
Leise knackten Gerons Knöchel, als er die Finger ineinander schob. Das würde anderen eine Warnung sein und die Disziplin deutlich verbessern.
„Im Rahmen unserer umfassenden Verantwortung als Leiterin dieser Akademie und unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters der Schülerin machen wir von unserem Recht nach dem sechsten Anhang zum Kapitel dreizehn des Codex Gebrauch und verfügen eine aufschiebende Wirkung des Urteils.“
Geron weigerte sich zu begreifen, was er hörte.
„Semira wird an die Akademie in Hesgard überstellt. Dort wird man zur nachhaltigen Besserung auf ihren Charakter einwirken. Im Falle einer anhaltenden Bewährung kann folglich auf den Vollzug verzichtet werden.“
Zu weich. Sie sind allesamt zu weich. Kein Wunder, dass der Ausbildungsstand der Absolventen immer miserabler wird. Wieder knackten Gerons Fingerknöchel. Die weiteren Worte der Rektorin drangen wie durch einen dämpfenden Schleier an sein Ohr. Wie hatte er die Ermächtigung im sechsten Anhang übersehen können? Er selbst hatte sie noch auf die selten genutzten Anhänge aufmerksam gemacht. Höchste Zeit einzugreifen, aber wie? Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, aber ergebnislos.
„So lautet unser Spruch und der ist unwiderruflich!“ Magistra Varnas Stab schlug auf den Boden und besiegelte ihre Entscheidung!
Stimmen schwirrten durcheinander und immer wieder hörte Geron seinen Namen heraus. Die Rektorin hatte ihn vor dem versammelten Kollegium gedemütigt. Noch einmal schlug ihr Stab auf das Parkett und das Stimmengewirr verebbte.
„Geron, bitte beaufsichtigt die Überstellung selbst. Ich möchte diese heikle Aufgabe keinem anderen anvertrauen.“ Magistra Varnas Lächeln war süß, aber ihre Augen blitzten. „Ihr seid der Akademie für die Übergabe der Schülerin an Hesgard persönlich verantwortlich.“
Irgendwann krieg’ ich Dich, Du falsche Schlange. Er zwang sich zu einem unverbindlichen Lächeln.
* * *
Semira
Semira sackte zusammen. Die Erschöpfung trieb ihr die Tränen in die Augen. Nur allmählich begriff sie, was die Schulleiterin für sie getan hatte. So hatte sich noch nie jemand für sie eingesetzt.
Das Alles war zu viel. Sie begann haltlos zu weinen. Ein unkontrolliertes Zittern durchlief sie und wollte nicht mehr aufhören.
* * *
Parin, Sohn des Fuhrmannes Haul
Shingra, die mächtige graue Stute, spürte seine Unrast und scharrte nervös im Geschirr des klobigen Kastenwagens. Immer wieder fanden ihre gelben Zähne die Bissplatte des Zaums, nur um enttäuscht abzulassen, da sich das abgewetzte Metall als unüberwindbar darstellte. Der blond gelockte Junge prüfte den Sitz des Kummets bereits zum vierten Mal, doch seine Aufmerksamkeit galt dem fremdartigen Gebäudekomplex der magischen Akademie. Der weiß gekieste Weg zum Tor lag unberührt in der Morgensonne.
Parin sah zum Wagen. Der kantige Aufbau mit den kleinen vergitterten Fenstern wirkte abweisend und das frische Grün im fürstlichen Wappen von Rand konnte den düsteren Eindruck kaum mildern. Gewöhnlich diente der Kasten der Überführung verurteilter Verbrecher in die Minen der Randberge.
Um wen es heute ging, wusste der Fünfzehnjährige nicht, und es war ihm auch egal. Heute durfte er erstmals seinen Vater auf eine große Fahrt begleiten. Den Winter über war er seiner Mutter in den Ohren gelegen und schließlich hatte sie eingewilligt. Vier Tage sollte die Fahrt dauern und der Rückweg noch einmal so lange. Parin freute sich auf spannende Abenteuer, mit denen er vor den gleichaltrigen Burschen und Mädchen angeben könnte und auf die Hauptstadt. An den Winterabenden schwärmte sein Vater von den mächtigen Mauern, den Palästen und der alles überragenden kaiserlichen Residenz. Rand war eine richtige Stadt, aber wenn er den Erzählungen seines Vaters Glauben schenkte, war Hesgard ungleich größer und schöner.
Am Tor tat sich Etwas. Parin erkannte die breite Gestalt seines Vaters. Die Anderen mussten zur Zauberschule gehören, Bedienstete vielleicht, aber mit ein wenig Glück bekäme er gleich einen echten Magier zu Gesicht. Tatsächlich trug der ältere Mann, der eindringlich auf seinen Vater einredete, einen aufwändig verzierten Stab. Obwohl das graue Reisegewand nicht dem vorherrschenden Bild eines Zauberers entsprach, konnte es sich nur um einen solchen handeln. Ein Mann und eine Frau führten eine schmächtigere Gestalt in ihrer Mitte, deren Gesicht Parin noch nicht erkennen konnte, doch als die Frau beiseite trat, machte sein Herz einen Sprung. Blondes Haar gleißte in der Sonne wie flüssiges Gold. Das Mädchen mochte in seinem Alter sein, aber sie war schöner als die Statue der ERU im Tempel. Eine ergebene Traurigkeit überschattete ihre Züge. Was mochte diesem wundervollen Geschöpf widerfahren sein? Die vollen Wimpern hoben sich und ihre Blicke trafen sich in einem einzigen, herrlichen Augenblick, während