Schatten und Licht. Gerhard Kunit
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Sorgfältig suchte er die Gänge zwischen den Regalen ab. Sein Blick glitt über die teils neuwertigen, teils vergilbten Buchrücken. Es waren nicht die streng verbotenen Schriften, die in den dunklen Schränken an der Rückwand des Raumes verwahrt waren. Die zogen nur verderbte Schwarzmagier und Beschwörer an, kranke Geister, die durch nichts mehr zu retten waren. Nein, die wirklich gefährlichen Machwerke gaukelten einem unbedarften Leser freien Zugang zu den magischen Künsten und eine unbegrenzte Lehre vor. Sie brachten ihn unweigerlich vom rechten Wege ab, ohne ihre schädliche Wirkung zu offenbaren. Solche Bücher stachelten die Neugier der Schüler an und versprachen ein Wissen, das nur unter Aufgabe der strikten Grundsätze der weißen Lehre verfügbar wurde. Geron hatte nie verstanden, warum solche Bücher aufbewahrt wurden. Ginge es nach ihm, wäre all das schon längst den Flammen übergeben worden.
„Was in TANIS Namen macht Ihr hier?“
Der Magier schrak hoch. Zwei Schritt vor ihm stand die Akademieleiterin und musterte ihn kühl. Verdammt, ich werde zu alt für so etwas, dachte er. Sein Herz pochte.
„Ich höre?“ Magistra Varna trat näher.
„Ich habe verdächtige Geräusche gehört und einen Schüler erwischt.“, rechtfertigte er sich.
„Wirklich?“, fragte sie zweifelnd. „Wer ist es denn?“
„Darrian, aber ich weiß, dass diese Semira dahintersteckt. Deshalb wollte ich diesen Bereich inspizieren.“
„Mein lieber Magister, Ihr verrennt Euch. Ihr schätzt die Schülerin nicht sonderlich, aber versucht zumindest, objektiv zu bleiben. Jedes Mal, wenn Euch etwas nicht passt, soll dieses Mädchen daran schuld sein?“
„Ich habe meine Gründe. Darrian hat ...“
Sie fiel ihm ins Wort. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Kümmert Euch um den Schüler. Und zwar morgen.“
Geron war wie erschlagen. Er hatte immer versucht, die jüngere Schulleiterin zu respektieren, auch wenn sie in vielen Dingen anderer Meinung waren. Aber dass sie ihn jetzt abkanzelte wie einen Novizen, ging entschieden zu weit. Darrian hatte Semiras Verwicklung quasi eingestanden, und darauf wollte er Magistra Varna hinweisen, doch sie wandte sich ab und marschierte zur Türe. Gerade wollte er sie auf den Verschlusszauber hinweisen, als sie bereits an der Schnalle rüttelte.
Sie fuhr herum und funkelte in zornig an. „Magister, das ist nicht komisch. Meint Ihr, mir bliebe verborgen, dass Ihr mich mit Euren Augen verschlingt, sobald Ihr denkt, ich merkte es nicht. Das hier ist mir zu plump und Eurer nicht würdig. Wieso denkt Ihr, mich mit dieser nächtlichen Einlage beeindrucken zu können?“
„Ich …“
Sie wurde laut. „Wenn Ihr wünscht mir den Hof zu machen, dann tut es! Aber tut es wie ein Mann! Genug jetzt! Beendet diese Farce und öffnet die Türe, bevor ich darüber nachdenke, wieso Ihr Euch mit den verbotenen Büchern einschließt.“
Geron hob seinen Stab und konzentrierte sich. Er hatte viel Kraft in den Zauber gelegt, und es würde noch mehr Energie kosten, ihn vorzeitig zu beenden, aber er hatte etwas anderes im Sinn.
„Ende der Verzauberung.“ Wie immer waren die gesprochenen Worte von untergeordneter Bedeutung. Der Zauber wurde von der Kraft der Gedanken gelenkt – und sein Fokus galt nicht dem Schloss. Noch einmal rüttelte sie an der Türe, doch die war nach wie vor versperrt. Wütend drehte sie sich um und hielt erschrocken inne. Jetzt musste sie zu ihm aufsehen – so, wie sie das aus dem Unterricht gewohnt war.
„Das kostet Dich Deinen hübschen Kopf“, bemerkte Geron zufrieden. „Du hast gegen ein halbes Dutzend Schulregeln verstoßen und das wird für einen Ausschluss genügen. Wir sehen uns im Büro der Rektorin. Ich denke, es wird sie interessieren, dass sie eine Doppelgängerin hat. Nicht wahr, Semira?“
Die Schülerin senkte den Kopf und ihre arrogante Selbstsicherheit fiel in sich zusammen. Eine Träne schimmerte in ihrem Auge, verstärkte die smaragdgrüne Färbung der Iris zu irritierender Intensität. In Geron stieg eine Welle tiefen Mitgefühls auf. Auch er hatte unter seiner Einsamkeit und dem Unverständnis von Lehrern und Mitschülern gelitten. War ein gesundes Maß an Neugier nicht eine Voraussetzung für jeden guten Magier. So gesehen, war der Täuschungsversuch der Schülerin entschuldbar. Vielleicht sollte er auf die Meldung verz….
Peng! Gerons Zauberstab knallte auf den Steinboden und Semiras Bande fielen von ihm ab. Unfassbar! Das Gör hatte tatsächlich die Frechheit, ihn, den erfahrenen Meister, mit einem Beeinflussungsspruch auf ihre Seite zu ziehen. Sie besaß die Unverfrorenheit, seine geschulten Barrieren durchbrechen zu wollen, doch mehr als das verstörte ihn die Erkenntnis, dass es ihr beinahe gelungen wäre.
„Ein Grund mehr die Bedrohung ein für alle Mal zu beseitigen“, murmelte er in seinen Bart, während er die aufsässige Schülerin in der Arrestzelle neben dem Pförtner einschloss. Höchste Zeit, da Nägel mit Köpfen zu machen. Während er zu seinem Zimmer schlurfte, überdachte er bereits seine Strategie für das Disziplinarverfahren.
* * *
Zufrieden ließ Magister Geron seinen Blick durch den Beratungssaal schweifen. An den dunkel getäfelten Wänden hingen die Portraits früherer Akademieleiter, deren Gesichter jene überlegene Gelassenheit zeigten, die das versammelte Kollegium gerade vermissen ließ. Sein Bericht über die letzte Nacht löste Bestürzung und Empörung aus und die Zauberer debattierten wild durcheinander. Drei Mal stieß er seinen Zauberstab auf das Parkett, bis ihm die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die sein sorgfältig vorbereitetes Finale verdiente.
„Zusammenfassend muss ich das Verhalten der Schülerin Semira als verschlagen, selbstsüchtig und manipulativ charakterisieren. Sie kennt weder Moral noch Grenzen und zeigt ein manisches Interesse an verbotenem Wissen und schwarzer Magie. Die bisher getätigten Ermahnungen und Disziplinierungen waren wirkungslos und die Schülerin hat sich wiederholt als unbelehrbar erwiesen. Die aktive Anwendung von Magie gegen ein Mitglied des Lehrkörpers ist ein unentschuldbares Vergehen. Nachsicht würde dem Ansehen und der Autorität des gesamten Kollegiums einen irreparablen Schaden zufügen. Ich beantrage den vollständigen Ausschluss von dieser und jeder anderen Akademie sowie jedweder Ausbildung und Lehre auf Lebenszeit.“
Zufrieden ließ sich Geron in den gut gepolsterten Ledersessel sinken. Sein Blick blieb an der Rektorin hängen. Ich weiß, dass Du die Kleine schützen willst, dachte er grimmig, aber diesmal ist das Gör dran.
Der Rest der Verhandlung lief wie geplant. Sein Bericht hatte die Stimmung aufgeheizt, und seine profunde Kenntnis der Schulordnung und der Codizes der Gilde vereitelten vereinzelte Versuche Semiras Vergehen zu verharmlosen. Magistra Varna hielt sich klugerweise zurück. Sie versuchte erst gar nicht, etwas zu beschönigen.
Rowina Schmied hatte an der Schülerin sichtlich einen Narren gefressen. Halbherzig stellte sie sich jetzt vor ihren Schützling: „Semiras Verfehlungen sind offensichtlich, aber führt das nicht zu einer unkontrollierbaren Entwicklung? Aus diesem Grund würde ich eine strengere Erziehung der Schülerin einem Ausschluss vorziehen.“
Sehenden Auges war die junge Kollegin in seine Falle getappt und Geron zog die Schlinge zu: „Gut, dass Ihr die Problematik ansprecht, Frau Kollegin. Angesichts der verbrecherischen Neigungen dieses Individuums besteht ein beträchtliches Risiko, dass sie sich der schwarzen Gilde oder einer noch verwerflicheren Gemeinschaft zuwendet.“
Eine kunstvoll gesetzte Pause