Die Kestel Regression. Jürgen Ruhr

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Die Kestel Regression - Jürgen Ruhr

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zuckte mit den Schultern und sah Tobias an: „Weißt du, wo die Küche ist? Ich muss hier weitermachen.“ Als Tobias nickte, fuhr sie erleichtert fort: „Morgens ist hier immer Stress, weil jeder als Erster sein Essen bekommen möchte. Siehst du die Teller dort? Davon brauchen wir für jeden Tisch zwei. Wurst und Käse findest du im Kühlschrank. Meinst du, du kannst ein paar Teller fertigmachen und herbringen?“

      Tobias nickte erneut: „Ja.“

      „Gut, ich verteile hier kurz noch Brot, Tee, Kakao und Kaffee und dann komme ich auch in die Küche.“

      Tobias nickte, prägte sich kurz ein, was an Wurst und Käse auf den schon fertigen Tellern war und ging in die Küche. Dort blickte er zunächst in die Schränke und den großen Kühlschrank, um sich einen Überblick zu verschaffen. Kurze Zeit später trat Mila zu ihm.

      „Die Bewohner sind heute wieder furchtbar. Weißt du, ob wir vielleicht Vollmond haben?“, fragte sie, ohne wirklich eine Antwort zu verlangen. „Tobi, wir brauchen noch vier Teller. Kannst du sie schnell in den Frühstücksraum bringen?“

      „Ja, mache ich. Aber nenne mich bitte nicht ‚Tobi‘. Ich hasse diese Kurzform. Tobias ist völlig okay.“

      Mila sah ihn von der Seite an und nickte. „Ja gut, wenn du das so möchtest. Du warst in der Klapse, stimmt‘s?“

      „Psychiatrische Klinik. Aber ich bin wieder vollständig geheilt, sagt mein behandelnder Arzt. Und der muss es ja schließlich wissen.“ Tobias stellte die Teller auf ein Tablet und verließ damit die Küche. Die Kleine ging ihm jetzt schon mächtig auf die Nerven mit ihrem Gequatsche. Und was ging das die Leute an, wo er gewesen war?

      Die Stunden vergingen recht schnell, doch da die Arbeit für Tobias ungewohnt war und das ständige Herumlaufen schon bald schmerzende Füße verursachte, sehnte er den Feierabend herbei. Oft dachte er an seine Tätigkeit in der Schlachterei. Ob er - wenn Dr. Friesgart ihn nicht mehr so intensiv kontrollierte - den Job wechseln konnte? Es ging ja niemanden etwas an, wo er arbeitete, oder?

      Dr. Friesgart erwartete ihn schon in seinem Wagen vor der Tür des Altenheims. „Na, wie geht es Ihnen, Herr Kestel?“, begrüßte er seinen ehemaligen Patienten jovial, als dieser sich in den Beifahrersitz fallen ließ.

      „Gut, nur ein wenig müde. Das viele Laufen bin ich ja nicht mehr gewohnt.“

      „Ja, das kann ich gut verstehen.“ Friesgart startete den Wagen und fädelte sich in den Verkehr ein. „Aber da gewöhnen sie sich schneller daran, als sie denken. Nach ein paar Tagen macht ihnen das nichts mehr aus. Erzählen sie doch mal, wie ist denn ihr erster Tag verlaufen?“

      Kestel stöhnte in Gedanken auf und blickte stoisch durch die Windschutzscheibe. „Gut, Herr Doktor. Es gab viel zu tun. Essen machen, Essen verteilen und so weiter.“ Dann schwieg er und starrte weiter auf die Straße.

      Friesgart, der mehr erwartet hatte, ließ lediglich ein kurzen ‚Aha‘ vernehmen. Dieser Kestel war wirklich kein großer Redner. Wie würde das erst auf den Kongressen werden, wenn man ihm Fragen stellte? Oder wenn er von seinen Eindrücken in Bezug auf die Therapie berichten sollte?

      Die Tage reihten sich aneinander und für Tobias Kestel stellte sich eine gewisse Routine ein. Frühstück, Reinigungsarbeiten, sowie die Aufgaben in Bezug auf das Mittagessen - hier hauptsächlich die Speisen verteilen und sich das Meckern der Leute anhören - füllten seine Arbeitstage aus. Als eine Bewohnerin es besonders schlimm trieb und sie ihn mit unflätigen Schimpfworten wegen des angeblich schlechten Essens bedachte, raunte ihm Mila einmal im Vorbeigehen zu: „Da darfste nichts drum geben, Tobias. Die Leute sind zum größten Teil dement. Die reden nicht extra so. Also hör einfach nicht hin, die meinen es nicht persönlich.“

      Tobias Kestel nickte lediglich. Er hätte der Alten in seinem ‚Atelier‘ damals schon das Schimpfen ausgetrieben. Aber das durfte er niemanden erzählen, das war sein Geheimnis und den Raum im Keller des verfallenen Bauernhofes gab es bestimmt nicht mehr.

      Der Donnerstag war ein Feiertag und die Besetzung der Stationen noch schlechter als ohnehin schon. Tobias musste zum größten Teil das Verteilen des Frühstücks alleine übernehmen, denn Mila war zu beschäftigt, um sich darum auch noch zu kümmern. Er tat sein Möglichstes und eilte schon fast im Laufschritt zwischen Küche und Speiseraum hin und her, doch das genügte den Leuten offensichtlich nicht. Mehrere ältere Frauen schimpften lautstark, wenn Tobias den Raum betrat.

      Am späten Vormittag kam Mila zu ihm in die Küche, wo er gerade die angelieferten Essen in einen Aufwärmwagen schob. „Tobias, ich brauche mal deine Hilfe. Wir müssen eine Frau mit einem Dekubitus verbinden und das kann ich nicht allein, weil die so schwer ist. Ich warte im Dienstzimmer auf dich. Wie lange brauchst du hier noch?“

      „Ich bin fast fertig“, entgegnete Tobias. Es würde sein erster Einsatz in der Pflege sein und er war gespannt darauf. Schnell schob Tobias die letzten Tabletts in die Aufwärmstation. Es wäre noch ein wenig Zeit, bis er sie anschalten musste, damit alle Bewohner pünktlich ihr Essen bekamen. Rasch folgte er Mila in das Dienstzimmer.

      Während sie durch den Flur gingen, erklärte sie ihm, was zu tun war: „Wir müssen die Frau auf die Seite drehen. Das ist ein wenig schwierig, weil die so dick ist. Alleine schaffe ich das nicht. Ich sage dir, was du zu tun hast.“

      Tobias nickte: „Ja.“

      Die Frau lag steif und mit starrem Blick zur Decke in ihrem Bett. Sie war wirklich unheimlich fett, Mila hatte nicht übertrieben. In dem kleinen Zimmer herrschte ein süßlicher Geruch nach Verwesung. Und das, obwohl das Fenster einen Spalt geöffnet war. Tobias fühlte sich sofort an den Schlachthof oder an sein ‚Atelier‘ erinnert. Diesen Geruch nach Tod kannte und liebte er.

      „Nun steh da nicht so rum“, fuhr ihn Mila an. „Ich weiß, der Geruch ist fürchterlich. Aber da gewöhnt man sich dran. Atme durch den Mund, dann ist es nicht ganz so schlimm. Und jetzt hilf mir mal die Frau zu drehen.“

      Tobias sog die Luft langsam durch die Nase ein. Wie viele Jahre hatte er darauf verzichten müssen? Alte Erinnerungen an schreiende und bettelnde Kinder tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Oder an das angstvolle und panische Quieken der Schweine im Schlachthof, die er nur ungenügend betäubt hatte, so dass sie bei lebendigem Leib verbrüht wurden.

      Mila erklärte ihm derweil, was er zu tun hatte und sie drehten die Frau auf die Seite. „Du kannst auf den Gang gehen, während ich sie neu verbinde“, bot ihm Mila an. „Der Anblick ist nicht besonders schön. Ich rufe dich dann, wenn wir sie wieder umdrehen müssen. Aber bleibe vor der Tür, damit ich dich nicht suchen muss.“

      Tobias schüttelte den Kopf: „Ich bleibe hier, wenn du nichts dagegen hast. Vielleicht kann ich dir ja helfen, etwas anreichen oder so. Und außerdem lerne ich vielleicht noch ein wenig.“ Er hatte nie daran gedacht und er würde es auch niemals machen, doch Tobias fügte dann noch hinzu: „Ich denke, dass ich vielleicht auch eine Ausbildung zum Altenpfleger machen werde.“

      Mila hatte derweil den alten Verband entfernt, reinigte die Wunde, in die Tobias gut und gerne seine Faust hätte stecken können und verband sie anschließend. Hin und wieder warf sie einen kurzen Seitenblick auf Tobias. „Du hältst dich ganz gut“, bemerkte Mila beiläufig. „So mancher oder manche, die so etwas nicht kennen, sind schon würgend rausgerannt.“ Sie deutete auf das Tablett mit dem Verbandsmaterial: „Gib mir doch mal bitte die Rolle mit dem Pflaster dort. Ja genau, die breite.“ Sorgfältig verklebte sie anschließend die Kompresse. „So, das war’s schon. Hilf mir die Frau wieder umzudrehen. Morgen kannst du mir noch einmal helfen. Und

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