Eine Geschichte über rein gar nichts. Thomas Arndt

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Eine Geschichte über rein gar nichts - Thomas Arndt

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es mir auch nichts mehr, dass ein Spielplatz den Kindergarten ersetzt. Was soll mir das sagen? Etwa, dass ich nie im Kindergarten gewesen bin oder dass der Kindergarten, ob mir das nun gefällt oder nicht, nie etwas anderes als ein Spielplatz gewesen ist?

      Bei diesen Gedanken wurde sie auf diejenigen wütend, die den Kindergarten heimtückisch in einen Spielplatz verwandelt hatten. Sie meinte, dass ihre Erinnerungen dadurch manipuliert werden sollten. Es war ja nicht so schlimm, sollte ihr der Spielplatz einreden und usurpierte die ‚du kannst mir nicht entkommen’ Region in ihrem Gedächtnis, die dem Kindergarten und allen anderen Institutionen vorbehalten war. Sie wollte sich nicht täuschen lassen! Die Tatsache, dass das Gefängnis ihrer Kindheit nicht mehr existierte beziehungsweise sich ihren Augen höhnisch grinsend nun als ein Ort der reinen Freude präsentierte, konnte die Wahrheit nicht verschleiern. Merkwürdig!, dachte sie, wie ein kleines Fleckchen Erde seine Identität wechseln kann. Für mich war es eine unbegreifliche Hölle und heute kommen Mütter mit ihren Kindern zum Spielen hierher. Die Mütter bleiben und gehen nicht weg. Vielleicht haben sie einen Apfel oder Kekse für die Kleinen dabei, die sie ihnen geben können, wenn sie Hunger haben. Auf jeden Fall gehen sie nicht ohne ihre Kinder nach Hause. Wie schön das ist! Aber warum sträube ich mich so sehr dagegen, den Kindergarten nicht einfach zu vergessen, wo es ihn doch nicht mehr gibt? Warum ärgert es mich, dass er weg ist, warum genügt mir meine Erinnerung nicht? Es ist doch eine Chance, die ich vergehen lasse. Da reißt man das Gebäude ab, setzt etwas Schönes an seine Stelle und ich ignoriere die Gelegenheit, mich mit meiner Kindheit zu versöhnen! So vieles hat sich in den letzten Tagen verändert. Ist es denn ein Zufall, dass ich ausgerechnet heute bemerke, dass ein Symbol meiner Kindheit von Grund auf sein Wesen verändert hat?

      Diesen und weiteren Gedanken nachgehend verging für Tania die Zeit wie im Flug. Nach ungefähr zwei Stunden, die ihr wie Minuten schienen, war sie wieder in ihrem neuen Zuhause angekommen.

      »Du bist aber schon früh auf.«, bemerkte Susanne, als sie Tania in der Küche fand, die zeitungslesend am gedeckten Frühstückstisch saß. »Hast du was vor?«

      »Nein.«, antwortete Tania. »Ich war wach und konnte nicht wieder einschlafen.«

      »Oh! . . . Es gibt ja endlich mal wieder frische Brötchen und Croissants, wie ich sehe. Es war also doch kein Fehler, dich einziehen zu lassen. Aber damit du es weißt, das wird jetzt jeden Morgen von dir erwartet.«, sagte Susanne lachend.

      Tania entgegnete, dass sie keine falschen Erwartungen wecken wollte und dass es wahrscheinlich schon morgen wieder Müsli zum Frühstück geben werde.

      »Ach, wie schade! Allein der Anblick frischer Brötchen ließ mich kurze Zeit träumen, und dazu ihr Duft erst! Ja, das hat gewisse Erwartungen geweckt. Aber mal im Ernst: ist alles in Ordnung?«

      »Ja doch!«, antwortete Tania und fragte erstaunt ob des Untertons in Susannes Stimme: »Was soll denn nicht in Ordnung sein?«

      »Ach, ich frag nur.«, entgegnete sie.

      »Na dann ist ja gut. Schön, dass ich dich beruhigen konnte.«

      »Wie lange bist du eigentlich schon wach?«, fragte Susanne weiter.

      Daraufhin schaute Tania von der Zeitung auf, legte sie aus den Händen und sagte: »O.k., ich bin schon verdammt lange munter. Und wie ich bereits sagte, liegt das daran, dass ich nicht schlafen konnte. Aber worauf willst du hinaus? Sag es doch einfach, denn ich lese gerade einen interessanten Artikel.«

      »Sei doch nicht gleich so gereizt!«, antwortete Susanne. »Ich habe mitbekommen, wie du mitten in der Nacht die Wohnung verlassen hast. Das war vor Stunden, wenn ich mich nicht irre. Was hast du denn um die Zeit gemacht? Wo warst du?«

      »Also, liebe Frau Mama!«, erwiderte Tania spöttisch. »Es besteht keinerlei Grund zur Sorge. Ich habe einen ganz und gar ordinären Spaziergang unternommen, bei dem sich rein gar nichts Ungewöhnliches zugetragen hat, sieht man einmal davon ab, dass das Ergebnis meines geheimnisvollen Unternehmens diese frischen Brötchen sind, die ich, wie ich zugeben muss, aus dem Zwielicht auf noch zwielichtigeren Wegen als sozusagen heiße Ware hierher geschmuggelt habe. Gerne kannst du sie als Beweisstücke A-G gegen mich verwenden. Wenn du sie jedoch aufisst, was ich dir aus nicht gerade uneigennützigen Gründen sogar empfehle, werden sie dir nichts mehr nützen und obendrein sind sie sowieso schon längst nicht mehr heiß.«

      »Ja ja ja!«, lachte Susanne. »Mach dich nur über mich lustig. Ich dachte nur, dass du dich, wie soll ich sagen?, vielleicht unwohl fühlst.«

      »Wieso sollte ich mich unwohl fühlen? Warum? Könntest du bitte zum Punkt kommen?«, forderte Tania mit Nachdruck.

      Und Susanne antwortete, dass sie sich ganz bestimmt merkwürdig fühlen würde, wenn sie sich von ihrem Freund trennen und aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen würde. Derartige Schritte könnten ihrer Meinung nach nicht spurlos an einem Menschen vorüber gehen.

      »Also daher weht der Wind.«, sagte Tania. »Weil du denkst oder weißt, dass dich sowas emotional mitnimmt, projizierst du deine, einer solchen Situation entsprechenden Gefühle auf mich und meinst, es ginge mir, um es mal klar auszudrücken, mies. Berichtige mich bitte, wenn ich dich falsch verstehe.«

      »Nein, nein.«, antwortete Susanne. »So in etwa hab ich das gemeint.«

      »Also!«, fuhr Tania fort: »Erstens geht es mir gut und zweitens bin ich noch mit Paul zusammen. Haben wir denn nicht darüber gesprochen?«

      »Haben wir.«, antwortete Susanne. »Und ich will dich auch nicht nerven, aber so richtig verstehe ich das noch immer nicht.«

      »Schon gut. Du nervst mich nicht, wenn du nachfragst, denn immerhin führt mir das die Situation noch einmal vor Augen und ich muss mich mit ihr auseinandersetzen. Es nervt mich aber, wenn du um den heißen Brei herumredest und nicht sagst, was du von mir willst. Wir sind doch verwandt, kennen und verstehen uns gut, wir können doch direkt sein, oder?«, sagte Tania versöhnlich lachend.

      »Hast ja Recht.«, erwiderte Susanne in einer Mischung aus verständnisvollem Seufzen und Lächeln. »Hast ja Recht, Cousinchen. Darf ich dir noch eine Frage stellen?«

      »Frag doch.«

      »Gut.«, sagte Susanne und suchte nach einer geeigneten Formulierung. Dann holte sie tief Luft und fragte: »Und wie soll es jetzt weitergehen? Ich meine, es betrifft ja nicht nur dich, sondern auch Paul.«

      »Genau!«, entgegnete Tania aufbrausend. »Da hast du es auf den Punkt gebracht. Paul! Paul! Paul! Wer auch immer durch wen auch immer davon erfährt, es dauert keine zwei Sätze und ich bin vergessen. Verstehst du, was ich meine? Ich werde nicht einmal gefragt, warum wieso weshalb ich ausgezogen bin, und diese Fragen könnte ich verstehen, aber jeder fragt mich, wie sich der arme Paul fühlt, wie es ihm geht und was weiß ich, was ich nicht schon alles gehört habe. Ich hab echt genug davon! Gibt es mich eigentlich auch noch?«

      Mit einem derartigen Ausbruch hatte Susanne nicht gerechnet und entsprechend überrascht saß sie regungslos auf ihrem Stuhl. Tania zündete sich eine Zigarette an, stand auf, sah aus dem Fenster und bat Susanne leise um Verzeihung. Dann drehte sie sich um und blickte ihre Cousine an.

      »Tut mir wirklich leid!«, wiederholte sie. »Ich wollte nicht laut werden. Wir sind doch nicht nur Cousinen, sondern auch Freundinnen, nicht wahr?«

      »Ja.«, antwortete Susanne und schaute Tania fragend an.

      »Kann ich mit dir reden? Also, ich meine eher, kann ich etwas loswerden?«

      »Natürlich

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