Eine Geschichte über rein gar nichts. Thomas Arndt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Eine Geschichte über rein gar nichts - Thomas Arndt страница 16
Er ging zum nächstbesten Haus, klopfte an die Tür und trat ein, obwohl ihn niemand dazu aufgefordert hatte. Absolute Dunkelheit herrschte im Inneren, die das einfallende Licht sofort absorbierte. Die Finsternis war so undurchdringlich, dass jenseits der Schwelle rein gar nichts zu erkennen war; ihn überkam das Gefühl, in einen luftleeren Abgrund zu blicken. Auf der Suche nach einem Lichtschalter klammerte er sich am Türrahmen fest. Die freie Hand tastete die Wände ab, die kalt und glatt waren, und er wagte nicht, mehr als einen Arm dem Dunkel zu überlassen; Paul fürchtete, in den Raum hinein gesogen zu werden, sich zu verirren und nie wieder zum Licht zurückzufinden. Die Gefahr, die zweifellos im Unsichtbaren lauerte, war ihm zu groß und er schloss die Tür. Daraufhin versuchte er sein Glück in weiteren Häusern, mit dem gleichen Erfolg.
Resigniert, auch weil es offensichtlich keine Bushaltestelle gab, nahm er den Weg wieder auf. Der Tag ging gemütlichen Schrittes dem Ende entgegen, doch beschlich ihn das Gefühl, dass diese Schritte nicht so gemütlich waren, wie er dachte. Wenn er noch vor Einbruch der Nacht zu Hause sein wollte, musste er sich angesichts der zurückzulegenden Strecke sehr beeilen. Schnell erreichte er das Ende des Dorfes und obwohl er weder wusste, wo er war, noch, in welche Richtung er lief, fühlte er, dass er nur der Straße folgen musste, um zurück in die Stadt zu gelangen.
Die Zeit drängte wirklich, schon konnte man ahnen, wie die Dämmerung hinter dem Tageslicht lauerte. Gnadenlos würde sie sich auf den Wanderer stürzen, um ihm den Heimweg zu erschweren. Sogar die Straße schien mit der Dämmerung verbündet, schickte sie sich doch plötzlich an, einen steilen Berg zu erklimmen.
Wo dieser Berg auf einmal herkam, fragte sich Paul verwundert. Nur kurz hatte er in die Ferne geschaut und als er seine Blicke wieder geradeaus richtete, türmte sich dieser Berg vor ihm auf, hoch wie ein Turm. Angesichts dieses Hindernisses blieb er stehen. Entmutigt und doch fasziniert sah er zum Gipfel empor. Es würde Stunden dauern, zu Fuß hinauf zu gelangen, doch zeigte sich keine Möglichkeit, den Berg zu umgehen. Paul musste ihn erklimmen, er hatte keine Wahl! Und danach, sagte er sich, hätte er einen bequemen Spaziergang vor sich, es könne dann nicht mehr weit bis zur Stadt sein.
Kaum war er einige Meter gegangen, konnte er den Fuß des Berges schon nicht mehr sehen, als er einen letzten Blick zurück auf das Dorf warf. Schneller als erhofft kam er dem Gipfel näher und näher. Und je näher er ihm kam, desto mehr staunte er, dort oben ein Gebäude zu erblicken, dass sich, ganz allmählich aus der Unschärfe der Entfernung herausschälend, als einfacher quadratischer Bau entpuppte.
Paul vermochte sich nicht vorzustellen, was es damit auf sich hatte. Ein einfaches Viereck, das auf einem Berg stand? Aber ja, so war es! Es war nicht zu leugnen! Man hatte tatsächlich ein Viereck aus Beton auf die Kuppe des Berges mitten über der Straße gebaut. Ein Viereck, wirklich nur ein Viereck! Vier Mauern mit einem Flachdach und, wie er erkennen konnte, mit einem Tor, das aussah wie ein Garagentor.
Was sollte das nun wieder bedeuten? Wieso befand sich hier ein solch merkwürdiges Gebäude? Warum war es mit einem Tor verschlossen, fragte sich Paul und sann, das Viereck betrachtend, über eine Erklärung nach, die den Sinn desselben enthüllen konnte. War es eine Art Schutzbau für die Autos, die über den Gipfel fuhren, damit sie nicht bei stürmischem Wetter ins Tal geweht wurden? Oder war es ein Regen-, Sonnen-, oder Frostschutz für die Straße, damit diese nicht der Witterung ausgesetzt war? Paul fand keine vernünftige Antwort und argwöhnte, dass es eine solche womöglich nicht gab. Jedoch wurde er der Suche schnell überdrüssig und, sich der vergehenden Zeit erinnernd, beschloss er, der Sache auf den Grund zu gehen.
Das Tor war fest verschlossen, wie Paul feststellen musste. Unschlüssig stand er davor und überlegte, was er tun sollte. Er hatte längst bemerkt, dass an eine Umgehung nicht zu denken war. Steil, schroff und voller scharfer Kanten fiel der Fels unmittelbar rechts und links neben dem Gebäude ins Tal hinab. Der bloße Gedanke an einen Versuch schien Paul wie eine konkrete Gefahr für Leib und Leben.
Es musste einen Weg hinein geben, denn Paul konnte nicht einfach wieder umkehren. Er musste in die Stadt und zwar schnell, möglichst vor Einbruch der Dunkelheit. In der Überzeugung, einen Nebeneingang zu finden, lief er an der Wand entlang. Und schon nach wenigen Sekunden fand er eine Tür, die sich ohne Schwierigkeiten öffnen ließ und ins Innere führte.
Eine gewaltige Halle tat sich vor seinen Augen auf! Sie besaß jedoch kein Dach, wie Paul irrtümlich angenommen hatte – die Halle war gar keine Halle. Gefesselt von der schieren Höhe der gewaltigen Mauern blickte er gen Himmel und wunderte sich, dass das Gebäude von außen wesentlich kleiner wirkte. Dann betrat er die Straße, ging ein paar Schritte und folgte ihrem Verlauf mit den Augen. Jäh blieb er stehen, als ihm gewahr wurde, dass sie nach einigen Metren abriss und sich dort auch keine Wand befand. Vorsichtig lief er zu der Stelle und blickte in einen tiefen Abgrund. Die Felswand fiel hier beinahe senkrecht ab und ließ man seinen Blick in die Tiefe gleiten, konnte man hier und da ein paar Autowracks entdecken beziehungsweise das, was von ihnen übrig geblieben war, nachdem sie in die Tiefe gestürzt waren. Schnell wich er ein paar Schritte zurück, um die Gefahrenzone zu verlassen. In Sicherheit blickte er in die Ferne und sah die Stadt, die er, wie er sich eingestehen musste, auf diesem Weg nicht würde erreichen können.
Unschlüssig sah er sich um und betrachtete die drei Mauern, die anscheinend nur errichtet worden waren, um einen Sturz ins Verderben zu verhindern. Doch was sollte er tun, von allen Menschenseelen verlassen im Inneren dieses merkwürdigen Schutzgebäudes, das nur schützen konnte, solange man außerhalb blieb?
Durch die Tür, durch die er hereingekommen war, trat er wieder ins Freie. Er erblickte einen Kleintransporter, der neben der Straße abgestellt war. Vorhin hatte er ihn nicht bemerkt, wunderte er sich. Dann erkannte er an einer Aufschrift an der Wagenseite, dass es sich um das Fahrzeug einer Malerfirma handelte. Was macht denn eine Malerfirma hier oben, überlegte er und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass das Auto nicht allein hierher gefahren sein konnte. Jemand musste in der Nähe sein, den er fragen konnte, welcher Weg in die Stadt führte, den er unter Umständen sogar bitten konnte, ein Stück mitfahren zu dürfen.
Als Paul jedoch niemanden finden konnte und auch seine Rufe unbeantwortet blieben, kehrte er ins Innere zurück. Von irgendwoher drang nun leise der Klang eines Radios an seine Ohren, den er vorhin nicht gehört hatte. Er drehte sich in die Richtung, aus der die Töne kamen und entdeckte ein Gerüst, auf dem zwei Maler standen und die Wand mit weißer Farbe anstrichen. Er lief geradewegs auf sie zu, um ihnen seine Fragen zu stellen. Die Maler indes bemerkten ihn nicht und verrichteten ihre Arbeit. Nur wenige Meter von ihnen entfernt zog eine Treppe Pauls Aufmerksamkeit auf sich. Sie führte nach unten, ins Innere des Berges, und ließ ihn augenblicklich die Maler vergessen.
Paul ging hinab, bis er einen kleinen Hohlraum erreichte, in dem eine schwache Glühbirne nur mäßig Licht spendete, und in dessen Mitte ein starkes Eisengitter im Boden eingelassen war. Er trat heran und erkannte darunter eine steinerne, von weiteren Glühbirnen erleuchtete Wendeltreppe, die aus dem Fels heraus gehauen war, in die Tiefe hinab führte und deren Ende nicht zu sehen war.
War das der Weg, den er gehen musste, unzählige Stufen hinab, die in eine geheimnisvolle Tiefe führten? Ein Gefühl gab ihm die Gewissheit, endlich den richtigen Weg gefunden zu haben. Doch wie sollte er das Gitter überwinden, das fest im Betonboden verankert war? Paul versuchte es herauszureißen und verschwendete unnütz seine Kräfte, da es sich einfach nicht bewegen ließ. Doch unbeirrt wiederholte er seine Versuche, er konnte einfach nicht davon ablassen. Plötzlich vernahm er Geräusche, die ihm aus der Halle herab an die Ohren drangen. Er unterbrach sein Unterfangen für einen Moment, stieg einige Stufen hinauf und überprüfte, was dort vor sich ging. Die Maler beendeten gerade ihre Arbeit und Paul sah, wie sie ihre Pinsel und Farbrollen in großen Wassereimern ausspülten. Das Gerüst war nicht mehr zu sehen, vermutlich hatten sie es bereits abgebaut oder