Strandgut. Claus Beese
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Johannes sprach leise, als er anfing zu erzählen. Er berichtete dem Torfschiffer von der Zeit, als seine Mutter Gerti noch ein junges Mädchen und als Magd in Stellung auf einem der Höfe im Moor war. Von diesen weit über das Land verstreuten Gehöften aus versuchte man, die ungastlichen Landstriche zu kultivieren. Das fröhliche Mädchen sah gut aus, und der Sohn des Moorbauern brachte es nicht fertig, seine Augen und später seine Finger von der schmucken Magd zu lassen. Zwischen den Beiden entwickelte sich eine große Liebe, die jedoch wegen der Standesunterschiede keine Aussicht auf dauerhaften Bestand haben konnte. Es kam, wie es kommen musste. Gerti trug alsbald ein Kind unter dem Herzen und weil sie verlangte, vom Jungbauern geheiratet zu werden, jagte man sie einfach vom Hof. Sie zog von Haus zu Haus, doch eine schwangere junge Frau wollte niemand einstellen. Keiner im Moor konnte es sich leisten, unnütze Esser durchzufüttern und so wies man sie an jeder Tür ab.
Gerti fand mitten im Moor auf einer kleinen Wurth einen alten, halbverfallenen Schafstall, in welchem sie sich verkroch und wenig später ihren Sohn zur Welt brachte. So gut es ging, dichtete sie den Schuppen mit Moos und Torf ab, erbettelte sich karge Nahrungsmittel von den Moorbauern und lebte mehr schlecht als recht von dem, was Mutter Natur ihr zu geben bereit war. Im Laufe der Zeit lernte sie die Heilkraft des Moores und der Kräuter zu nutzen und manch einer kam zu ihr, um sich sein Zipperlein kurieren zu lassen. Sie ließ sich stets in Nahrungsmitteln bezahlen und schaffte es, ihren Sohn zu einem halbwüchsigen Jungen heranzuziehen.
Es kam der Tag, an dem der Junge zerlumpt auf dem Hof seines Vaters erschien und um Arbeit nachfragte. Der Schrecken auf dem Hof war groß, denn der Junge war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Ein jeder konnte sehen, dass hier sehr enge Verwandtschaft bestand. Es war der Großvater, der seinen Enkel mit einem Knüppel vom Hof prügelte, während der Vater im Haus hinter dem Fenster stand und sich verleugnen ließ.
»Elende Brut!«, brüllte der Alte ungerührt. »Jetzt wollt ihr also an mein Geld, was? Fort! Fort von hier, oder ich schlage dich windelweich!«
Der Knüppel sauste herab und Johannes taumelte zurück.
»Ich werde euch lehren, auf meinem Hof zu betteln! Ersäufen werde ich die ganze Sippschaft! Die Moorhexe und ihren Wechselbalg! Im Moor ersäufen, wo es am tiefsten ist!«
Panik stand in den Augen des Jungen. Prügel konnte er einstecken, das war nichts Neues für ihn. Aber seine Mutter -, ihr durfte nichts geschehen!
»Wenn du meine Mutter verschonst, verspreche ich Dir von hier weg zu gehen. Du wirst mich nie wieder sehen!«, schrie der Junge und wich weiteren Schlägen aus.
»Vater!«, kam jetzt eine energische Stimme vom Haupthaus her. »Lass ihn gehen! Es ist genug!«
Dann wandte sich der Mann, der Johannes Vater war an den Jungen.
»Und dir verspreche ich, dass deiner Mutter kein Leid zugefügt wird!«, rief er, drehte sich um und verschwand wieder im Haus.
»Noch in derselben Stunde bin ich fort«, erzählte Johannes mit leiser Stimme, fast übertönt vom Plätschern der Wellen. »Ich habe meine Mutter seither nicht wieder gesehen. Nach jeder Reise erkundigte ich mich im Hafen von Vegesack nach ihr und war froh, wenn ich hörte, dass sie am Leben war.«
Es herrschte eine Zeit lang Schweigen. Dann räusperte sich der Schiffer wieder.
»Un nu? Wat schall nu weern?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Ich habe als Matrose ein wenig Geld verdient, und jetzt gehe ich und hole sie von da weg. Sie hat genug gelitten und verdient, dass ich ihr irgendwo ein kleines Heim schaffe.«
Johannes schaute den Kahnführer jetzt direkt an.
»Sie ist doch noch da, oder? Und lebt?«, fragte er ängstlich.
Der Torfschiffer nickte, stand auf und kramte aus seiner Hose die Münzen hervor. Er hielt sie Johannes hin und begegnete dem fragenden Blick des Jungen.
»Vun di will ick keen Daler! Nimm hen un beholl dat. Scha’st man beter dien Moder geven!«
Johannes dankte und steckte das Geld weg. Er hatte nicht damit gerechnet, hier Menschen anzutreffen, die ein Herz in der Brust trugen und auch noch auf dessen Schlag hörten.
Der schwarze Torfkahn hatte längst die Stelle passiert, an der aus dem Zusammenfluss des aus dem Moor kommenden Flüsschens Hamme und der nach Süden abzweigenden Wümme die Lesum entstand. Die Geesthügel des Osterholzes und der Weyer Berg nahe dem Örtchen Worpswede waren zurückgeblieben und der Schiffer steuerte den Kahn in das weite, flache Moorland hinaus. Die Sonne begann im Westen zu versinken, und mit der Dämmerung wurde es kühl im Boot. Johannes erschauerte und schloss die Knöpfe an seiner Jacke. Aus den sumpfigen Wiesen stieg erster Dunst auf und wehte mit der leichten Brise, die das Segel blähte, über das Land. Der Bug des hölzernen Kahns bohrte sich in das weiche Ufer und Johannes nahm sein Bündel und verabschiedete sich von seinem Skipper. An dieser Stelle trennten sich ihre Wege und Johannes musste von hier ab den Seinen zu Fuß durch das Moor suchen. Er stieß das Boot ab und schaute ihm versonnen nach, bis das graue Segel hinter der nächsten Flussbiegung verschwand.
Als kleiner Junge wusste er hier gut Bescheid und kannte jeden Busch und Pfad. Jedes Moorloch erkannte er von weitem, doch wie hatte sich die Landschaft in den Jahren seiner Abwesenheit verändert! Er schulterte seinen Seesack und marschierte los. Die alten, ihm vertrauten Pfade existierten nicht mehr, das von Gräben und Torfgruben durchzogene Land war ihm fremd geworden. Je weiter der junge Seemann in das Teufelsmoor vordrang, umso unwirtlicher wurde die Gegend, und die deutlichen Zeichen beginnender Zivilisation blieben zurück. Wasser quoll bei jedem Schritt unter den Stiefeln hervor, aus feinen Spalten fauchte das Sumpfgas oder brachte das Wasser der kleinen Tümpel zum Brodeln. Sumpfhühner ließen ihr grelles Pfeifen hören und im Schilf raschelte es, ohne dass Johannes den Grund dafür zu Gesicht bekam. Die Dämmerung schritt rasch voran, und die Dunstschleier, die über das Land wehten, tanzten einen Ringelreihen. Abgestorbene Baumstümpfe verloren ihre wahre Gestalt, duckten sich zu düsteren Ungeheuern, die am Rande kleiner Inseln auf einsame Wanderer lauerten. Johannes beeilte sich, denn er ahnte, dass es für ihn mehr als gefährlich werden würde, wenn ihn die Dunkelheit einholte. Noch vor Anbruch der mondlosen Nacht musste er die Hütte auf der kleinen Erhebung erreicht haben, sonst war er verloren.
Furcht und Zweifel breiteten sich in ihm aus und machten ihn unachtsam. Er fluchte laut, als er bis zum Knie in ein Moorloch sank, sich aber noch geistesgegenwärtig zur Seite warf, wo er mit Armen und Oberkörper wieder festen Halt fand. Mühsam zog er sich auf die kleine feste Stelle in dem schwankenden Untergrund und hielt einen Moment inne um zu verschnaufen.
»Nicht rasten!«, schoss es ihm durch den Kopf, »Weiter! Du musst weiter!«
Er stemmte sich hoch, orientierte sich und wandte sich nach Osten, wo der kleine Pfad sein musste, der ihn bis zur Hütte seiner Mutter bringen würde. Doch schon der nächste Schritt ließ ihn ins Leere fallen, die Grasbüschel hatten keinen festen Untergrund, schwammen trügerisch auf einem der Sumpflöcher und Johannes versank im moorastigen Wasser. Nichts war da, was er hätte fassen können. Nichts, was ihm irgendwie Halt geboten hätte. Voll Panik schlug er mit den Armen um sich, spürte das Wasser durch seine Kleidung dringen, fühlte den Tod, wie er mit kalten Klauen nach ihm griff und sank immer tiefer. Voller Grauen sprangen ihn die Spukgestalten aus den Geschichten vom Moor an, die knochigen Leiber der angeblichen Hexen, die man in die Sumpflöcher gestoßen hatte. Der Dieb, der während einer Hochzeitsfeier das Brautgeld stahl und dessen Flucht in einem der Moorlöcher endete. Kleine Kinder, die im arglosen Spiel einen unbedachten Schritt getan hatten, sie alle streckten ihre bleichen Hände nach ihm aus,