Strandgut. Claus Beese

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Strandgut - Claus Beese

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Zahl und Vielfalt, jedoch waren die Großen vom Ufer aus nur schwer zu erreichen. So mietete ich oft für einige Stunden ein Boot und ruderte so weit hinaus, bis ich den Grund nicht mehr sehen konnte. Dort hockte ich dann in der kleinen Nussschale und füllte meinen Setzkescher mit Plattfischen, während die weibliche Erziehungsberechtigte meiner Tochter am Strand Sandburgen baute, kleine Küchlein formte, und unseren kleinen Nackedei im Gummiboot durch das flache Wasser zog. Abends saßen wir zusammen am Strand, und die untergehende Sonne warf ein feines Licht auf die Insel Samsö, deren nördlicher Teil draußen im Meer leuchtete.

      »Da hinten, bei der Insel, sind die Dorsche, und ich sitze hier und komm nicht dran«, sinnierte ich, und wünschte mir im Stillen ein kleines Motorboot. Es musste nicht groß sein, denn ich wollte es auf einem Anhänger mit in den Urlaub nehmen.

      Mein Wunsch dauerte an. Er wuchs mit den Jahren so beständig, dass man ihn nicht mehr als Idee abtun konnte. Nach langer Zeit des Wünschens, ganz plötzlich, war es soweit. Die Hüterin unseres häuslichen Schatzes hatte ein Einsehen mit den Sehnsüchten ihres kleinen Wikingers. Wir fuhren von einem Bootshändler zum nächsten, schauten, prüften und suchten. Von »Unbrauchbar!« bis »Viel zu groß!« und »Einfach nur zu teuer!« war allerhand vertreten. Während sich meine beiden Seejungfrauen bei den kleinen Booten herumtrieben, ging ich meinen Träumen nach. Ich fand es unfair, wenn meine beiden Frauen mich dann von den Schiffen wegzogen, die ohne Besatzung einfach nicht zu fahren waren. Meine Güte, was konnte denn ich dafür, dass der olle Wikinger in mir ganz klare Vorstellungen von einem seegängigen und sicheren Schiff hatte? Sicherheit kostet nun mal, das war doch ganz klar. Na schön, vielleicht hätte es auch ein bisschen weniger Luxus sein können. Wer braucht schon unbedingt Eiswürfelbereiter im Salon, Mikrowellenherd in der Küche, Saunabereich und zwei komplett eingerichtete Badezimmer? Und schließlich hatten wir ollen Fahrensleute früher auch kein Radar gehabt, und die einzige satellitengestützte Navigation, die wir kannten, war die Kursbestimmung nach den Sternen. Und was war schon UKW-Funk? Wenn wir früher nur laut genug brüllten, konnten uns die Händler, die wir auszurauben gedachten, auch so verstehen. Irgendwie schlichen sich beständig Gedanken, die nur meinen Wikinger-Genen entspringen konnten, in mein Gehirn. Altes Wissen stieg in mir auf, und ich war überrascht, dass sich meine Wikinger-Gene so überaus massiv bemerkbar machten. Manchmal hatte ich den Eindruck, im Zwiegespräch mit meinen Vorfahren zu stehen.

      »Du willst dir also diese einmalige Gelegenheit, an ein gutes Schiff zu kommen, entgehen lassen?«, brummte der Wikinger in mir enttäuscht, als ich dem Drängen meiner weiblichen Familienmitglieder nachgab.

      »Na, überleg mal! So Unrecht haben sie ja nun auch nicht. Erstens bekommst du zu diesem Preis drei Einfamilienhäuser, zweitens brauchst du eine komplette Mannschaft, und drittens kriegst du kaum einen passenden Liegeplatz in den Yachthäfen«, versuchte ich ihn zu beruhigen.

      »Preis, Preis! Das hätte ich schon geregelt!«, brauste der wackere Recke in mir auf und zog in Gedanken das Breitschwert. »Früher haben wir auch nicht nach dem Preis gefragt!«

       »Früher hatten die Wikinger auch noch rote Bärte!«, gab ich zurück, und der wackere Kämpe in mir steckte seufzend die scharfe Klinge zurück.

      »Na gut!«, brummte mein Vorfahre beleidigt. »Das Schiff taugt sowieso nicht viel!«

      »Wie? Taugt nicht viel? Was meinst du?«

      »Haha, Söhnchen, dann zeig mir doch mal den Mast, an dem du das Segel hissen willst! Siehst du, keiner da! Ich sag doch, der Eimer taugt nichts!«

      »Papa! Nun komm endlich! Mama hat ein Schiff gefunden. Da hinten in der Ecke liegt es!«

      Erst jetzt nahm ich das Zerren an meinem Hosenbein wahr und ließ mich von unserer kleinen Mücke über den Platz führen.

      »Na, dann lass mal sehen, was ihr da aufgespürt habt«, lachte ich und folgte meinem Fräulein Tochter, die mich um etliche gute Angebote herum bis in die letzte Ecke des Grundstückes zog. Unter einem Berg von alten, zerschlissenen Planen schauten zwei Beine heraus, und man konnte undeutlich einige Laute der Verzückung vernehmen. Die Beine liefen unter der Plane hin und her, bis sie den Ausgang gefunden hatten.

      »Puh, schreckliche Hitze unter dem Ding! Aber d a s musst du dir ansehen! Ich glaube, d a s ist es!«

      Mit gewissen Zweifeln behaftet krabbelte ich unter die Gerüsttücher, die den Schatz, den mein holdes Eheweib mir versprach, verhüllten. Ich muss gestehen, dass sich meine Begeisterung in Grenzen hielt. Was ich da im Halbdunkel unter den Planen fand, war zwar noch nicht unbedingt ein Wrack, aber mit Sicherheit schon weit von einem fahrtüchtigen, gemütlichen Boot entfernt. Auf den ersten Blick schätzte ich, dass ich wohl ein Jahr konzentrierte Arbeit hineinstecken musste, um so ungefähr das zu bekommen, was ich mir vorstellte. Mit einem leisen »Blubb« verschwand der Wikinger vor meinem geistigen Auge, und das Letzte, was ich von ihm sah, war sein entsetztes Gesicht. Ich kletterte auf das Boot und schaute mir die Inneneinrichtung ein wenig gründlicher an. Das Schiff hatte keinen Motor, die Wanne, die den Außenborder aufnehmen sollte, war gähnend leer. Der Fahrstand war sehr unkomfortabel und spartanisch eingerichtet, die kleine Vorderkajüte eng und dunkel. Außerdem roch es, als läge der tote Bordhund noch irgendwo in einem der Schrankfächer. Leicht angewidert hielt ich mir die Nase zu.

      An der Bordwand tauchten die Köpfe meiner beiden Leichtmatrosen in Spe auf und ich half ihnen an Bord. Sollten die beiden sich das Elend doch selber ansehen, dann würden sie schon merken, dass...

      »Oh, wie niedlich!«, entfuhr es meiner besseren Hälfte. »Guck mal, Claudi, da können wir sogar mal drin schlafen. Und hier müssen der Kocher und die Spüle hin, und wenn du den Fahrersitz ein wenig anhebst, kann da drunter ein Chemieklo. Oh, ich hatte doch Recht, Schatz, nicht?«

      »Papa, Papa, kaufen wir das Boot jetzt?«

      »Nein! Ich bin doch nicht blöd«, entfuhr es mir in einem Anflug von Widerstand.

      »Uäh! Mama! Papa will unser Schiff nich kaufen, Claudi will das aber haben! Wääääh!«

      »Da siehst du, was du angerichtet hast! Du kannst einem aber auch jede Freude verderben! Warum willst du das tolle Boot denn nicht?«

      »Weil das ein Fass ohne Boden ist! Schau dich doch mal um! Kein Motor! Die Inneneinrichtung ist reif für den Müll! Der Aufbau des Fahrstandes ist aus fünf Zentimeter dickem Panzerglas und wiegt mindestens drei Zentner. Wenn du das Boot ins Wasser lässt, wird es auf der Stelle kentern und absaufen.«

      Ich lehnte mich erschüttert an die Persenning, die mit einem morschen »Ratsch!« nachgab. Ich kippte in Zeitlupe aus dem Boot und fand mich unversehens auf dem harten Platzbelag wieder. Oben auf dem Boot tauchten zwei blonde Wuschelköpfe mit besorgten Gesichtern über der Bordwand auf und schauten erschrocken und mitleidig zu mir herab. Vorsichtshalber blieb ich liegen und hob den Finger anklagend zum Himmel.

       »Und eine neue Persenning ist auch noch fällig«, versuchte ich ein letztes Gegenargument, ohne zu merken, dass ich nicht nur körperlich bereits am Boden lag. »Und neue Polster und eine neue Batterie und eine Reling und überhaupt...! Ich denke, ein Jahr Arbeit wird draufgehen, bevor wir damit fahren können. Dann lass uns doch lieber eines kaufen, dass ein wenig teurer, aber dafür fahrbereit ist!«

      »Ach, wenn du mal ein bisschen weniger zum Angeln kommst, ist das doch auch nicht so schlimm, oder? Denk an deine Dorsche! Und mal ein bisschen sinnvolle Beschäftigung am Feierabend tut dir auch ganz gut. Nicht?!«

      Also, was soll man denn dazu noch sagen? Wenn sich Frauen etwas in ihre hübschen Köpfchen setzen, dann schweigt die Vernunft. Also gingen wir ins Büro zu der Inhaberin des Yachthandels, in deren Augen ein gewisses Funkeln trat, als ich den Beschluss meiner beiden

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