Carola Pütz - Verlorene Seelen. Michael Wagner J.
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Ihr Blick suchte weiter. Als er an einem Messinggriff ankam, der scheinbar sinnlos in der Mitte der Wand angebracht war, ging sie darauf zu. Erst jetzt sah sie die feinen Linien auf der Wand, die ihr verrieten, dass hier eine Tür versteckt war. Sie drehte den Schlüssel und es öffnete sich ein begehbarer Kleiderschrank. Überhaupt nicht stilgerecht waren in der Decke moderne Halogenstrahler angebracht. Acht Stück an der Zahl.
Sie warf einen kurzen Blick hinein und hatte sofort die Überzeugung gewonnen, hier ausreichend Stauraum für die Garderobe gefunden zu haben. Gewiss würde die Garderobe aller derzeitigen Klinikgäste darin Platz finden. Es gab Kleiderstangen, genug ausklappbare Schuhträger für alle Schuhe, die sie noch in ihrem Leben kaufen würde und ausreichend Ablagefläche für Pullover, Blusen und Unterwäsche. Sie schob ihre Trolleys in die begehbare Kleiderhalle und holte aus einem davon ihren Kulturbeutel heraus, um sich frisch zu machen.
Als sie die Badezimmertür öffnete, erstrahlten wie von Geisterhand die beiden Lampen neben der Tür. Auch im mit weißem Marmor gefliesten Badezimmer ging ein üppiger zehnflammiger Leuchter an. Es gab eine Badewanne und ein Waschbecken in Muschelform. Oberhalb des Waschbeckens lief ein dunkler Fries mit diversen verspielten Jugendstilblüten einmal rund um das Badezimmer. Die Armaturen waren dreiteilig. Ein stolzer Wasserhahn, der aus poliertem Messing in der Mitte zwischen zwei Reglern stand. Die beiden Regler sahen aus, als wären sie einem Schachspiel entwichen. Ein großes ‚W‘ und ein großes ‚K‘ waren schwarz in dem weißen Porzellankreis eingelassen. Jeder Regler streckte vier Ärmchen von sich, die am Ende eine Kugel als Abschluss hatten.
Das Messingrohr des Wasserhahns nahm in der Mitte eine bedenkliche Krümmung nach oben auf, um sich kurz drauf wieder abzusenken. Über dem Muschelwaschbecken hing ein ovaler Spiegel von beachtlichem Ausmaß, eingefasst mit gebeiztem Nussbaum. Gegenüber an der Wand befand sich ein Pendant mit genau demselben Muster über einem zerbrechlich wirkenden Tischchen, auf dem zwei weiße Flakons mit Badeöl standen.
Vor der Badewanne lag ein flauschiger cremefarbener Teppich. Neben der Badewanne stand ein dreiteiliger, geschwungener Paravent, dahinter ein Hocker, mit schwarzem Samt bezogen. Und als wäre es noch nicht eindrucksvoll genug, gab es noch eine ansehnliche Stehlampe mit einem massiven Holzfuß.
Die Lampe begann zu leuchten, als sie hinter den Paravent trat. Der schwarze Lampenschirm wirkte wie der Helm eines Soldaten. Ein goldener Efeu schlang sich von unten nach oben um den streng geraden Ständer der Lampe. Sie suchte nach einer Lichtschranke, fand aber nichts dergleichen.
Beinahe schüchtern stellte sie ihre Badutensilien auf dem Tischchen ab. Jedes weitere Accessoire wirkte wie ein störender Eingriff in das Gesamtkunstwerk dieses Badezimmers.
Nachdem sie sich frisch gemacht hatte und sich bereits jetzt auf ein entspannendes Bad freute, war sie neugierig auf das Essen.
*
Frau Doktor Clara von Hohenstetten hatte sich vor dem Mikrofon aufgebaut, um ihre Ankündigung zu verlesen. Sie hatte bis zum Abendessen damit gewartet in der Hoffnung, es gäbe bis dahin schon weitere Ergebnisse von der Polizei. Die gab es nicht. Also musste sie unter diesen Umständen offenbaren, dass es einen ungeklärten Diebstahl gegeben hatte. In ihrer Klinik. Wo sonst nichts passieren durfte, ohne dass sie davon etwas wusste.
Der Speisesaal der Klinik machte seinem Namen alle Ehre. Es war ein Saal. Carola Pütz hätte auch nichts anderes erwartet. Sie öffnete in diesem Moment die Tür und blieb stehen. Jemand stand ganz vorn und wollte eine Ankündigung machen.
Der Mikrofonständer befand sich auf einer kleinen Empore auf der dem Eingang gegenüberliegenden Schmalseite des Raumes. Dort fanden abends Konzerte oder Gesangsdarbietungen statt. Oft spielte jemand Klavier.
Frau Doktor von Hohenstetten tippte kurz mit dem Zeigefinger gegen das Mikro. Es war eingeschaltet. Sie räusperte sich. Nicht, weil sie heiser war, sondern um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten.
»Sehr verehrte Gäste unseres Hauses«, sagte sie mit belegter Stimme, »ich muss Ihnen leider mitteilen und gleichzeitig versichern, dass ich untröstlich darüber bin, es gab letzte Nacht einen Diebstahl.« Sie machte eine Pause, um das allgemeine Raunen abklingen zu lassen.
Carola schlüpfte währenddessen in den Saal und nahm am nächsten Tisch Platz, an dem sie einen freien Stuhl erspähte. Einen Diebstahl hatte es also gegeben. Im Jugendstilparadies. Schon war ihre Prognose hinfällig. Hatte sie doch erwartet, dass hier nichts Aufregendes passierte. Sie nickte den am Tisch Sitzenden freundlich zu. Diese nickten ebenso freundlich zurück.
Clara von Hohenstetten erhob wieder ihre Stimme. »Einer sehr verehrten und langjährigen Freundin unseres Hauses wurde heute Nacht ein wertvoller Ring gestohlen. Ich sehe es als meine Pflicht an, Sie darüber zu informieren, appelliere aber gleichzeitig auch an Ihr Vertrauen in uns, dass wir in der Lage sind, diese unangenehme Sache schnellstmöglich zu einem positiven Ende zu bringen.«
Erneutes Raunen im Saal. An der Hälfte der Tische wurden die Köpfe zusammengesteckt.
»Wie will sie das denn garantieren?«, fragte eine freundlich aussehende Dame, die mit Carola Pütz den Tisch teilte, in die Runde. Sie schüttelte unmerklich ihren Kopf.
»Wissense wat, dat kannse gar nich«, antwortete der Mann, der Carola Pütz gegenüber saß, und an sie gewandt sagte er: »Sindse neu? Ich hab Se noch net gesehen hier. Ich bin der Erwin Krawuttke aus Gelsenkirchen.«
»Ja, ich bin heute angereist. Mein Name ist Carola Pütz. Ich grüße Sie«, antwortete sie leise und beugte sich über den Tisch.
Direkt vor Doktor von Hohenstetten stand jemand auf. Es war die Industriellengattin, der der Ring gestohlen worden war. Sie sprach ohne Mikrofon, war aber trotzdem gut zu verstehen.
»Liebe Frau Doktor von Hohenstetten, ich danke Ihnen sehr für Ihre Offenheit. Wie ich Ihnen ja schon persönlich mitgeteilt habe, hätte ich das nicht so an die große Glocke gehängt. Aber es ehrt Sie. Vertrauen wir auf die Polizei und deren gute Arbeit. Lassen Sie uns nun essen, wir alle haben sicher Hunger.« Sie nickte in die Runde und klatschte Frau Doktor Beifall.
Viele taten es ihr gleich, einige standen aber auch sofort auf und gingen mit ihren Tellern zum Büfett, wo die Kellner bisher alle in Reih und Glied gewartet hatten.
Clara von Hohenstetten fühlte sich durch den plötzlichen Aufbruch übergangen, war aber auch froh, dass ihr Auftritt ein so rasches Ende nahm.
»Sehr verehrte Frau Güstrow«, sagte sie, »ich danke Ihnen für Ihr Verständnis. Und ich wünsche Ihnen allen einen guten Appetit.«
Erst jetzt hoben die Kellner die Glocken von den Speisen. Es hätte keiner gewagt, dies eine Sekunde früher zu tun.
»Habense dat gesehn, wie die dressierten Äffchen«, sagte Krawuttke leise über den Tisch.
Die nette Dame grinste und gab im Aufstehen Carola die Hand.
»Hallo, Frau Pütz. Mein Name ist Friederike Schmitt-Wienand. Sie müssen wissen, wir, die schon etwas länger hier sind, schmunzeln ein wenig über das Regime von Frau Doktor von Hohenstetten. Sie behandelt ihre Angestellten wie ihre Leibeigenen. Aber das werden Sie auch noch feststellen. Ach ja, haben Sie bereits Ihren Speiseplan?«
»Nein«,