Kuss der Todesfrucht. Agnes M. Holdborg
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Eventuell hatte Adol nicht gerade einfühlsam gehandelt, als er sie nach den schaurigen Ereignissen um Frederick einfach in seiner Welt zurückhielt, oder doch?
... Adol machte ihr in vielen Gesprächen deutlich, dass es seine Sorge um sie war, die ihn zu dieser Entscheidung bewogen hatte. Zudem versicherte er ihr, dass sie in ihre Zeit, in die Sekunde ihres Lebens zurückkehren würde, wenn sie soweit wäre, um eben dieses Leben in die Hand zu nehmen und ihre Angelegenheiten zu klären. Er würde sie dabei unterstützen, dessen war sie sich gewiss. …
Damals hatte Adol über ihren Kopf hinweg entschieden. Das könnte sie als Ungeduld auslegen, ja, aber das wäre nicht richtig. Ganz im Gegenteil! Er hatte ihr mit wahrer Engelsgeduld seine Welt erklärt und jede ihrer Fragen ausführlich beantwortet. Außerdem hatte er sich ihr damals, bis auf den ersten überraschenden Kuss, nicht mehr genähert. Vielleicht ein Streicheln über ihre Wange oder eine zärtliche Berührung ihres Haars. Ein Finger, der ihr Kinn anhob, um ihr in die Augen zu sehen, wenn sie den Kopf senkte. Niemals aber hatte er sie noch einmal bedrängt.
Später, in ihrer Welt, als die bösen Träume ihn wieder und wieder zu ihr riefen, hatte er sich mit Hingabe um sie bemüht, sowohl um ihren Seelenfrieden als auch um ihre Zuneigung.
Die erste Liebesnacht mit ihm war das Schönste und Ergreifendste gewesen, was ihr jemals widerfahren war. Niemals zuvor hatte sie ein Mann mit so viel Zärtlichkeit, Respekt und Geduld geliebt. Adol begehrte sie mit solch einer Inbrunst, die sie alles vergessen ließ. Sein Liebesspiel war leidenschaftlich, führte sie bis weit über die Grenzen der Lust – und, ohne es zunächst zu ahnen, übertraf sie all seine Erwartungen, weil sie sich ihm immer bedingungslos hingab.
War es seine Macht? Wieder gestand sie sich ein Nein ein.
Wenn sie ehrlich war, faszinierte sie seine Macht sogar. Adol gab zwar auch ohne diese ganzen übernatürlichen Fähigkeiten ein äußerst attraktives, großes, noch dazu interessantes Exemplar Mann ab, aber insbesondere seine mächtige Aura rief in ihr ungeahnte Gefühle hervor. Ausnehmend positive Gefühle!
Hatte sie ihn auch nur Sekunden zuvor dafür getadelt, sich aufgrund seiner Macht unterlegen zu fühlen, so musste sie jetzt zugeben, dass sie diese Art der Unterlegenheit in gewisser Hinsicht durchaus genoss. Sehr sogar, jedenfalls im Bett, wo er sie damit stets auf Höchsttouren brachte.
War es seine Welt? Erneut: Nein!
Sicher, seine Welt erschloss sich ihr nur langsam, auch wenn er sich noch sosehr bemühte. Diese Welt bestand aus so vielen Facetten und Wundern, die sie überraschten, manchmal ängstigten. Doch hatte Adol sie niemals sich allein überlassen, wenn etwas sie überforderte.
… Zum Beispiel, als Densos, Adols Vater, ihm befehlen wollte, Manuela für immer zurück zu den Menschen zu bringen und nie wiederzusehen, ihm sogar drohte, ihn seiner Männlichkeit zu berauben. Densos’ zorniger Blick ruhte bei seinen Donnerworten die ganze Zeit auf ihr und ließ sie erschaudern. Doch Adol schloss sie demonstrativ in die Arme und wünschte seinen Vater mit einem einzigen Finsterblick fort. Manuela erkannte, dass er mächtiger als sein eigener Vater war.
Ein anderes Mal bat Sira, eine Feuerdämonin, um Adols Hilfe, war deren Familie doch gegen ihre Liaison mit Tamarell, Adols Halbbruder mütterlicherseits. Adol hatte Manuela mitgenommen, in die Nähe der Feuerberge, um dort mit Crinda zu verhandeln, einem genauso mächtigen wie extrem hinterhältigen und hässlichen Feuerdämon. Dieser Crinda war ein äußerst unangenehmer Geselle. Aber in Adols Gegenwart fühlte sie sich sicher und geborgen, immer! …
Es war wohl doch ihre eigene Unzulänglichkeit, die sie dazu getrieben hatte, sich von ihm und seiner Zeitlinie zu lösen. Eine Entscheidung, die sie schon Sekunden nach der Durchsetzung bitter bereut hatte, der sie sich aber hatte stellen müssen, denn die Trennung war nach ihrem Dafürhalten nicht mehr rückgängig zu machen.
Ein gehauchter Kuss auf die Stirn holte Manuela aus ihren Grübeleien.
»Frauen«, flüsterte Adol ihr ins Ohr. »Nur Frauen sind zu solch komplexen Gedanken in Bruchteilen von Momenten in der Lage.« Liebevoll strich er ihr eine Locke hinters Ohr, bevor er sich seinem Halbbruder zuwandte: »Weißt du etwas Genaues?«
Der Kuss der Todesfrucht
Manuela war zu abgelenkt, um Tamarells Schilderungen zu folgen. Verwundert schaute sie sich um, da Adol sie nicht wie gewöhnlich in seine Höhle gebracht hatte, sondern in die Thronhalle des Palastes seines Vaters Densos. Eine immens große grauweiß-marmorne Halle mit gotisch anmutenden Bögen und Säulen, die der Schlichtheit dieser Halle etwas Gigantisches verliehen. Durch die turmhohen Bogenfenster glitt diffuses Licht hinein und schenkte der vorhandenen Strenge damit einen weichen Ton.
Jeder ihrer Schritte hallte in mystischem Klang nach. Doch schon nach einigen Metern verstummten sowohl der Nachhall dieser Schritte als auch Tamarells gedämpfte Stimme, weil sie vor einem schlichten steinernen Thron mit zwei goldenen Sitzkissen stehenblieben, auf denen sich Densos und seine Frau Demira wie aus dem Nichts materialisierten. Er, mächtig groß. Sie, zierlich klein.
Demiras weiße Toga zierten pastellfarben schimmernde Bänder aus irisierendem Glas. Jedenfalls wirkten sie so auf Manuela. Auch Densos trug weiß, eine Art lange Tunika, besetzt mit leuchtend roten Borten an den Säumen, über einer schlichten Hose.
Erschrocken krallte Manuela ihre Finger in Adols Arm, hatte sie doch nicht so rasch mit dem Erscheinen seiner Eltern gerechnet und Densos außerdem in sehr schlechter Erinnerung. Ihre Befürchtungen bestätigten sich, als der große grauhaarige Mann seine moosgrünen Augen unter buschigen Brauen zornig blitzen ließ.
Wieso bringt Adol mich hierher?, fragte sie sich ängstlich.
Doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, erschloss sich aus den folgenden Sätzen die Antwort:
»Vater«, mahnte Adol, »kein Wort über Manuela! Es gibt momentan Wichtigeres als unsere Verlobung.«
Verlobung? Hat er Verlobung gesagt? Dazu braucht es immer noch Zwei!
Sie hob den Kopf und sah ihn böse an. Adol aber erwiderte ihren Blick nur flüchtig, mit zudem strenger Miene. Dabei drückte er ihre Hand, womit er ihr zu verstehen gab, dass sie schweigen sollte, was sie daraufhin tat.
»Ich dachte, du hättest noch einmal mit Crinda gesprochen«, fuhr er fort, »und ihr hättet euch geeinigt. Wie kann es da sein, dass er Sira trotzdem zurückgeholt hat?«
Tamarell räusperte sich vernehmlich. Er schüttelte seine pechschwarze Mähne und warf Adol einen warnenden Blick aus himmelblauen Augen zu. Ein Blick, der seinem Halbbruder unverkennbar deuten sollte, für sich selbst zum Stiefvater sprechen zu können. »Densos, du hast mir versprochen, Sira und mir zu helfen, allein schon meiner Mutter zuliebe!« In seiner Stimme schwang blinde Wut.
Manuela wusste von Adol, dass Densos nicht viel von Tamarell hielt, war dieser doch das Ergebnis eines außerehelichen Fehltrittes seiner Frau Demira mit einem Halbmenschen. Allein Densos‘ Liebe zu Demira hatten sie und auch Tamarell dieses Fiasko überleben lassen, nicht aber Tamarells Vater. Nichtsdestotrotz stand Tamarell auf Densos‘ Hierarchieleiter deutlich höher als Manuela selbst, obwohl Tamarell ›nur‹ ein kleiner Götterbote war, noch dazu mit menschlichem Einschlag. Manuela aber war in Densos‘ Augen nichts weiter als eine gewöhnliche Sterbliche und damit seines Sohnes Adol unwürdig.
Der