Kuss der Todesfrucht. Agnes M. Holdborg
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kuss der Todesfrucht - Agnes M. Holdborg страница 5
Sie verdrehte die Augen, weil sie sich erneut auf gefährlichem Tabu-Terrain befand, und begann deshalb damit, ihr Gesicht mit Peelingcreme zu bearbeiten. Währenddessen richtete sie ihre Gedanken zielorientiert aus. Das bedeutete, positive Bilanz zu ziehen. Eine ihrer weiteren Methoden, sich der schwierigen Lebenssituation anzunehmen.
Sie war heute gleich zweimal angebaggert worden. Zweimal! Gut, der eine zählte in ihren Augen nicht. Der fiel unter die Kategorie ›jugendlicher Übermut‹. Aber der andere – der war schon ein besonderes Kaliber. Obwohl sie dessen Telefonnummer sofort zerknüllt und in den Papierkorb geworfen hatte, lag der Zettel nun fein säuberlich geglättet auf ihrem Schreibsekretär im Wohnzimmer. Niemand könnte ihr verbieten, diesen durchaus interessanten, äußerst gut aussehenden Mann vielleicht doch anzurufen. Früher, ja ...
»Grrrr«, knurrte sie und tauchte ganz mit dem Kopf unter Wasser, um weitere Tabus daraus zu vertreiben. Dann machte sie sich daran, ihre Beine samt anderer wichtiger Stellen zu rasieren, um damit das Schönheitsprogramm zu komplettieren. Sie zelebrierte es wie ein Ritual. Jede Regelmäßigkeit war wichtig für sie und für ihr seelisches Gleichgewicht.
Deshalb hatten sie diese ganzen unvorhersehbaren Ereignisse auch ein kleines bisschen aus der Bahn geworfen, gestand sie sich ein. Aber das hatte sie nun alles gut hinter sich gebracht, womit sie diese abschweifenden Gedanken endgültig ad acta legte. Stattdessen sinnierte sie darüber nach, wie sie in der Autofrage vorgehen wollte. Neben positivem Bilanzziehen hatte sie sich nämlich auch antrainiert, Probleme offen anzugehen.
Eigentlich hatte sie in der Autowerkstatt rein emotional reagiert, als es hieß, dass der alte Golf eher nicht mehr zu retten wäre. Wie die Wohnung war auch dieses Auto ihr erster wirklich eigener Besitz. Da durfte man ja wohl mal sentimental werden! Allerdings glaubte sie, dass selbst tausendfünfhundert Euro nicht mehr als trockenes Stroh waren, um das Loch im Eimer zu stopfen. Wahrscheinlich lief der ›Golf-Eimer‹ bald wieder Leck, und sie müsste Geld für neues Stroh ausgeben.
Bei der Metapher lächelte sie, ließ die sie doch gedanklich zu ihren Vater treiben, der diesen Vergleich allzu gern benutzt hatte. Noch dazu war er in der Lage gewesen, sich das Lied ›Ein Loch ist im Eimer‹ als Endlosschleife anzuhören und sich jedes Mal aufs Neue darüber zu amüsieren.
Es gab halt Erinnerungen, die sie gerne zuließ, auch wenn ihre Eltern schon lange tot waren und sie als Einzelkind, zudem ohne echte Freunde ihr Leben allein bewältigen musste.
Seufzend stieg sie aus der Badewanne, um sich nach dem Abtrocknen sorgfältig bis in die Zehenspitzen mit Bodylotion einzucremen.
Okay, zurück zum Problem, dachte sie. Und weil sie in den letzten drei Jahren genügend Geld auf die hohe Kante gelegt hatte, entschied sie sich für den Kauf eines neuen Autos. Gleich morgen würde sie sich als Erstes bei ihren männlichen Kollegen schlaumachen. Schließlich hatte sie sich nie groß für Autos interessiert. Da wären deren Ratschläge bestimmt hilfreich. Und übermorgen, am Samstag, da hätte sie ausreichend Zeit, um sich einen neuen Wagen anzuschaffen. Einen niegelnagelneuen oder fast neuen – einen Jahreswagen. Ja, irgend so etwas sollte es sein.
Zufrieden mit ihren Plänen band sie sich das trocken geföhnte Haar zusammen. Die eingehende Betrachtung im Spiegel nach dem Zähneputzen brachte keine neuen Erkenntnisse über Falten. Gott sei Dank! Sie betupfte die Partie um ihre großen hellgrünen Augen mit einem speziellen Gel und bedachte das restliche Gesicht, samt dem etwas spitzen Kinn und der Stupsnase, mit einer Creme für die Nacht. Danach schlüpfte sie in ihren Kuschelschlafanzug und machte es sich im Bett mit Ingwertee und Fernsehen gemütlich.
Wieder hatte sie einen Tag zu Ende gebracht. Das erfüllte sie mit Stolz, denn sie wurde immer erfolgreicher darin. Trotz vieler Jahre der Erniedrigung und trotz des verlorenen Glücks hatte sie einen aufregenden Tag sehr gut über die Runden gebracht.
Jetzt galt es, sich der Nacht zu stellen.
Zeitlos
Bumbum, bumbum – Er kommt dich holen!
Bumbum, bumbum – Schleicht sich an auf leisen Sohlen.
Bumbum, bumbum – Er will dich beißen!
Bumbum, bumbum – Wird dich bald in Stücke reißen.
Bumbum, bumbum – Spür seinen Atem!
Bumbum, bumbum – Sollst in deinem Blute waten.
Sein Fell so warm! Sein Blick so kalt!
Er kommt dich holen, und zwar bald!
Bumbum, bumbum – Bumbum, bumbum – Bumbum, bumbum ...
Nein! Hilf mir!
Sie spürt die scharfen Krallen, hört das leise Grollen, riecht seinen Hunger, seine Lust – und weiß, Flucht ist sinnlos.
Ein Baum! Hoffnung!
Ihre Krallen schlagen in den Stamm. Nur noch ein Stück! – Doch da schnappt er zu, bringt sie erbarmungslos zu Fall ... lässt sie stürzen ... immer tiefer ... und tiefer ...
Bumbum, bumbum – Bumbum, bumbum – Bumbum, bumbum ...
Waren es ihre Herzschläge, die sie endlich erlösten und ins Hier und Jetzt zurückbeförderten, oder das monotone Ticken des alten Weckers? Manuela wusste instinktiv, es war ihr Herz. Sein heftiges Klopfen – Bumbum – hatte sie zurückgeholt, zurück in ihre Welt, wo ihr nichts passieren würde. Hoffentlich!
Um vier in der Früh tappte sie ins Bad, um sich den dünnen Schweißfilm von der Haut zu schrubben.
Nichts sollte sie an die Nacht erinnern! Nichts durfte davon an ihr haften bleiben!
Fast hätte er mich gehabt, durchfuhr es sie. Für einen Augenblick lehnte sie die Stirn an das kühle Glas der Duschkabine, bevor sie abrupt das Wasser andrehte. Aber er kriegt mich nicht!, tröstete sie sich.
Müde nahm sie ihren weiteren Morgenrhythmus auf, der sie für den kommenden Tag aufbauen und stärken sollte: Cremen, Föhnen, Schminken, Anziehen.
»Fast fünf Stunden«, überlegte sie laut, während sie die blank schimmernde Küche betrat. In ihrer Stimme schwang Zufriedenheit. Sie hatte die Nacht überstanden, darüber hinaus fast fünf Stunden Schlaf gefunden.
Die Kaffeemaschine brodelte und zischte, bevor sie ihr herrlich duftendes Gebräu ausspuckte. Mit der Tasse in der Hand stellte Manuela sich auf ihrem winzigen Balkon dem Sonnenaufgang entgegen. Dabei versuchte sie, sich einzig auf den blutroten Feuerball zu konzentrieren, der einem goldschimmernden Schleierdunst entstieg.
»Auf den neuen Tag, Manuela. Du schaffst das.« Dieses Mantra flüsterte sie nun schon seit mehr als vier Monaten jedem Tagesanbruch zu. Niemand