Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler

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die Partei in Leipzig gegründet worden ist? Meine Stadt ist schon immer eine richtige Kulturhochburg gewesen. Ach, das ist nun alles vorbei. In Amerika, habe ich gehört, haben sie für eine so wohltätige Arbeiterorganisation überhaupt nichts am Hut. Aber du hast gefragt, wie ich mir einen katholischen Pfarrer vorstelle? Bin da nicht wirklich Experte, aber habt Ihr nicht so ein Buch, Brevier nennt sich das, glaube ich? Hab dich in all den Tagen auf dem Schiff hier nicht ein einziges Mal darin lesen gesehen. Ihr tragt das doch immer mit euch herum, werft mit frommen Sprüchen nur so um euch, ob man sie nun hören will oder nicht, damit man sieht, wie fromm ihr seid.«

      Jakob hatte Cornelius mit seinen treuen Augen von unten herauf angeschaut, so, als wollte er einschätzen, ob er sich da auch wirklich nicht verhört hatte, oder sich mit seinem offenherzigen Kommentar zu viel herausnahm.

      Cornelius presste die Lippen fest zusammen und schloss die Augen für einen Moment, um nicht wütend herauszuplatzen. Was hatte er mit seiner Offenbarung auch anderes erwartet? Nun war es also heraus. Er wusste auch nicht, weshalb er das Jakob gesagt hatte. Freilich, er brauchte daraus kein Geheimnis zu machen oder sich dafür zu schämen. Aber es fuchste ihn doch, was sich die Leute so unter einem Geistlichen vorstellten.

      »Zuerst einmal, Jakob, bin ich noch gar kein Priester, ich geh ja dort hin, um die Priesterweihe zu bekommen. Und das versichere ich dir, so wie du gerade eben einen Pfaffen, wie du einen Geistlichen genannt hast, dieser Ausdruck gefällt mir übrigens überhaupt nicht, das ist für mich ein Schimpfwort, also wie du dir einen Priester vorstellst, so will ich überhaupt nicht werden. Niemals! Niemals!«

      Für einen kurzen Augenblick sah es beinahe so aus, als ob es zu einem Wortgefecht zwischen den beiden kommen könnte, aber ein Blick in Jakobs betroffenes, schuldbewusstes Gesicht mit dem offenen Lächeln um die Lippen ließ keinen Streit aufkommen. Jakob nickte nur und Cornelius ergriff über den Korridor mit einem festen Händedruck die ausgestreckte Hand. Sie vertieften sich beide wieder in ihre Lektüre.

      Das Rütteln und Stampfen des Schiffes, an das sich die beiden jungen Männer, direkt über der Maschine, während der letzten Tage allmählich gewöhnt hatten, war unverändert, und doch legte sich auf die Insassen mehr und mehr eine unmerkliche, nicht erklärbare Spannung in der fensterlosen Kabine, als wenn sie auf etwas warteten. Vielleicht spürten oder hörten sie die Unruhe auf den Oberdecks, wo die Passagiere einen Ausblick bis zum Horizont hatten. Das einzige, winzige Areal mit Tageslicht war für die Menschen im Zwischendeck draußen am Schiffsheck, nicht besonders einladend zum Verweilen im ewig kalten Wind. Und sowieso, was war da schon viel zu erwarten, außer Wasser und Wellen. Nun aber platzte die Hiobsbotschaft mit der lauten Stimme eines älteren, untersetzten Matrosen in ziemlich schmutziger Arbeitskleidung in ihr Einerlei.

      »Leute, in sechs Stunden legen wir in Hoboken am Pier 3 an. Ihr habt dann noch weitere drei Stunden um euer Gepäck im Stauraum zu holen und klar Schiff zu machen. Ihr könnt aber erst in den Stauraum, wenn wir angelegt haben. Das wird durch sechs lange Sirenentöne vom Kapitän bekannt gegeben, die ihr sogar hier unten hört. Dann ist die Reise für euch zu Ende. Wenn ihr New York sehen wollt, dann geht so in vier Stunden von jetzt nach draußen. Ihr solltet am Hafeneingang die Freiheitsstatue nicht verpassen, sie ist das neue Wahrzeichen der Stadt und eurer zukünftigen Heimat.«

      Er war ein anständiger Kerl und wünschte ihnen viel Glück für die Zukunft. Hatte er doch über die Jahre schon viele Auswanderer über den Atlantik geschleust und wusste, wie nötig sie ein wenig Fortune brauchten.

      Wie weit diese Ankündigung nun Freude, Erleichterung oder vielleicht sogar ein klein wenig bange Ahnung auf Ungewisses bei den Wartenden verursachte, war nicht ganz klar. Auf alle Fälle herrschte plötzlich ziemlicher Tumult, dabei war doch noch reichlich Zeit bis zum Aufbruch und viel zu packen hatte niemand. Sie würden demnach nicht im großen Hafen von New York an Land gehen, sondern im Hudson-Fluss weiter aufwärts einlaufen, wo Hoboken am linken Ufer lag. Viele deutsche Reedereien hatten dort, weg vom großen Trubel der ankommenden Immigranten, ihre eigene Abfertigung für ankommende und abreisende Passagiere, und vor allem viel mehr Platz zum Be- und Entladen von Frachtgut. Diese Anlandung, weg vom umtriebigen New Yorker Haupthafen nahm eine ganze Menge Hektik von den Passagieren und der Besatzung. Viele andere Reedereien beneideten die Deutschen um dieses Privileg. Hoboken hatte sich über die letzten zehn Jahre in ein Klein-Deutschland gemausert mit Fabriken, vielen Handwerksbetrieben, mehreren Faktoreien, zwei Bierhäusern und nicht zu zählenden Tavernen für Einheimische, Passagiere und Seeleute. Auch drei kleine und zwei große, luxuriöse Hotels zierten die Stadt, daneben gab es genügend einfache Quartiere für die Ankömmlinge, die sparen mussten, bis es weiter ging. Die schnelle Entwicklung und die Ordnung verdankte die Stadt denen, die sich ganz einfach hier niedergelassen hatten und nicht mehr fort wollten.

      Da Cornelius nur Handgepäck hatte, war er einer der ersten aus dem Zwischendeck, der schnell von Bord kam und sich gleich hinter den Passagieren der ersten und zweiten Klasse einreihen durfte. Bevor er sich von Jakob trennte, der seine Schwester und dann im Stauraum sein Gepäck suchen musste, hatten sie sich gegenseitig versprochen in Verbindung zu bleiben. Cornelius gab Jakob als Kontaktadresse das Sekretariat des Bischofs von Panama, bis er und seine Schwester, die er immer noch nicht gesehen hatte, eine neue Heimat gefunden hatten. Er ging fest davon aus, dass der Bischof bestimmt immer seinen Aufenthalt wissen würde.

      Nun hatte sich Cornelius erst einmal geduldig in die lange Schlange der Wartenden vor der Einwanderungsbehörde aufzustellen, wo Beamte die Personalien eines jeden handschriftlich in lange Passagierlisten eintrugen. Die Prozedur dauerte durch die ungewohnt klingenden Namen viel länger als notwendig. Dieses Verständigungsproblem war für alle der erste Vorgeschmack auf das Zukünftige in der fremden, neuen Heimat von Amerika. Auch Cornelius konnte zu diesem Zeitpunkt kaum ein Wort Englisch. Ein Glück, dass während der Überfahrt keine Seuche auf dem Schiff ausgebrochen war. Das ersparte die peinliche Fragerei, gar die Untersuchungen des Gesundheitsamtes. Den Zoll brauchte Cornelius nicht zu passieren, da er als sein Bestimmungsland Panama angegeben hatte, somit gleich in ein Durchgangslager eingewiesen wurde, wo er bis zu seiner Weiterreise zu bleiben hatte. Das war ihm nicht unlieb, denn das Zimmerchen, das er für ein paar Dollar mieten konnte, war zwar spärlich eingerichtet, hatte aber ein Bett, eine Wasch-kommode, ein paar Kleiderhaken, einen kleinen Tisch mit Stuhl und sogar einen, schon ein wenig blinden Spiegel an der Wand. Er war entsetzt, als er da hineinschaute. Ein ungewaschenes und unrasiertes Gesicht mit einem wilden Haarschopf starrte ihm da entgegen. So hatte man ihn tatsächlich ins Land gelassen?! Er musste seine Kleidung wechseln, sich endlich waschen und wenigstens Unterwäsche und Hemd und Kragen wechseln. Auf dem Schiff kam mit kaltem, salzigen Seewasser nur die Zahnbürste in die Nähe seines Gesichts. Endlich auch mal wieder ohne Anzug in einem Bett schlafen und ungestört in einem eigenen Zimmer sein, ohne so viele Menschen um sich herum haben zu müssen.

      Das eingezäunte Transitgelände war ziemlich weitläufig, er fühlte sich ganz und gar nicht eingesperrt. Die frühsommerlichen Temperaturen in dieser Jahreszeit an der Ostküste waren angenehmer als in Lille und lockten raus, nach den engen, erbärmlichen Verhältnissen im Schiff. Er verspürte einen ungeahnten Tatendrang. Mit dem Reisegeld des Bischofs besuchte er ein Badehaus, vertraute einem Friseur Haare und Bart an und wagte sich sogar in eine Taverne für eine warme Mahlzeit. Ein so saftiges Steak mit Bratkartoffeln und zarten Möhren existierte nicht einmal in seinen Träumen. So etwas Feines hatte er noch nie gegessen. Ihm drehten sich noch immer die Gedärme um, wenn er sich in Gedanken die Menschen auf dem Schiff bei Salzheringen und fettem Pökelfleisch vorstellte. Im Quartier gab es auch einen kleinen aber gut bestückten Kolonialwarenladen, die Besitzer waren ein deutsches Ehepaar. Sie schickten ihn zu einer Schiffsagentur am Platz um seine Weiterreise zu regeln. Ein Wechsel des Bischofs, den er mit sich führte, war für die Schiffspassage von New York nach Colón ausgestellt und garantierte die Bezahlung direkt bei Ankunft in Panama. Eine solche Regelung war ungewöhnlich, aber mit dem bischöflichen Siegel akzeptabel.

      Die Zeit des Wartens verstrich zu schnell. Er hatte sich in den letzten Tagen als Stammgast in der Taverne so richtig wohl gefühlt, wo er sich einmal am Tag zum reichhaltigen

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