Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler

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Personal in einem separaten Zimmer an schön gedeckten Tischen, getrennt von den Studenten, die Mahlzeiten serviert bekam. Dort hatte man Zeit und Gelegenheit für anregende Diskussionen. Zum Frühstück und Abendbrot versorgte er sich selbst. Nein, er sollte wirklich nicht unzufrieden sein! Aber es war sein unseliges Karma, dass sein unruhiger Geist immerzu nach Neuem suchte. Obwohl er diesen Gemütszustand ganz gut unter Kontrolle hatte, wurde er dadurch aber unbewusst ständig unter mächtige Anspannung gesetzt. Unter den augenblicklichen Umständen meinte er, seine Ungeduld sei gerechtfertigt. Dieses Universitätsmilieu lebte von den althergebrachten, akademischen Ansichten einer Pseudoelite, die keinen Wunsch nach Änderungen verspürte, noch sich bewusst war, dass solche von Zeit zu Zeit, auch in der katholischen Tradition, notwendig waren. Er fühlte sich einfach eingesperrt. Diese Unruhe und Unzufriedenheit übertrug sich natürlich auch auf seine Betätigung. Er entwickelte einen ausgesprochenen Hang zur Selbstkritik, was so weit ging, sich einzubilden, auch bei den Studenten keinen rechten Anklang mehr zu finden, obwohl bei den Kollegen, trotz seiner Jugend, seine pädagogische Begabung nicht unbeachtet blieb.

      Intuitiv ahnte er den Grund für seine depressive Stimmung. Er wollte schreiben, hatte aber keine Inspirationen, keine Motivation. Ja, das war sein Malheur. Mit der Feder in der Hand seine Gedanken zu Papier zu bringen, das bedeutete für Cornelius wahre Entspannung, Ablenkung und Hingabe. Die Poesie hatte ihn allerdings bisher nicht berührt, dafür war er zu pragmatisch. Bereits in diesen Tagen der ungewollten, aber schmerzlich empfundenen literarischen Abstinenz, wurde ihm bewusst, was ihn wirklich ausfüllte: die geistige Entfaltung auf dem Papier. Aber ohne finanzielle Eigenständigkeit war die Schriftstellerei nur ein Wunschtraum, eine brotlose Zunft. Die Armut hatte seine Kinderjahre geprägt, unter keinen Umständen wollte er dieser wieder begegnen.

      Der Rektor hatte an jeden im Kollegium das Rundschreiben des Bischofs von Panama weitergeleitet. Dieser suchte Anwärter für sein Priesterseminar mit der Offerte auf eine gute Pfarrstelle nach abgeschlossener Seminaristenausbildung. Die Universitätsleitung bat die Herren Dozenten in einem Zusatzschreiben, diese mögen zu Beginn ihrer Vorlesung die Studenten der höheren Semester darüber in Kenntnis setzen, ja, aufmunternd diese Annonce den Kommilitonen ernstlich nahelegen, sich nach Studiumsabschluss zu bewerben. Darüber hinaus sei es im Ermessen der werten Kollegen auf die besondere Attraktivität dieser Ausschreibung gebührend hinzuweisen.

      Cornelius starrte lange auf das bischöfliche Siegel im Briefkopf des Schreibens. Was er da in Händen hielt war Vorsehung, war gütiges Schicksal. Natürlich erinnerte er sich an die Unterhaltung der Ordensbrüder in Algerien und das letzte Gespräch mit Caspar vor ihrer Trennung. Er brauchte keine Studenten zu begeistern, er fühlte sich selbst angesprochen. Sein Entschluss stand sofort fest, er würde selbst darum ersuchen.

      Es dauerte nicht lange, bis eine Antwort auf seinen Brief an das bischöfliche Offizium in Panama eintraf. Man zeigte sich hocherfreut über seine Bewerbung. Die vorgelegten Zeugnisse, einschließlich der Empfehlung des Rektors, hatten überzeugt. Man wollte wissen, wie schnell er anreisen könne. Die Seereise dritter Klasse würde selbstverständlich bezahlt, alle anderen Unkosten erstattet und die Ausbildung im Priesterseminar sei kostenlos. Das Schreiben war in lateinischer Sprache, die internationale Kommunikation der Kirche. Im post Scriptum wurde noch erwähnt, dass man telegraphisch an das Sekretariat der Universität eine Summe in amerikanischer Währung zu gefälligem Wechselkurs in Vorauslage aller seiner Ausgaben ab Lille bis Panama anweisen würde, mit Abrechnung der Ausgaben bei Ankunft, versteht sich.

      Dem Brief lag ein offizielles Dokument in Englisch und Spanisch mit des Bischofs eigenhändiger Unterschrift und offiziellem Siegel bei. Es bestätigte Cornelius die Aufnahme ins Priesterseminar von Panama mit der garantierten Übernahme aller Kosten für die Anreise. Das ersparte die Hinterlegung einer Kaution bei der amerikanischen Einwanderungsbehörde, die selbst Ankömmlinge ohne längeren Aufenthalt im Land zu entrichten hatten. Zudem wäre es Cornelius ohne dieses Schreiben schwierig geworden, Europa zu verlassen und in die USA einzureisen, selbst in Transit nach Panama.

      In gehobener Stimmung machte sich Cornelius an seine Reisevorbereitungen. Zum Glück war er von Algerien nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Dadurch war er noch immer im Besitz eines gültigen deutschen Reisepasses, dessen Neuausstellung sonst Wochen in seiner Heimatgemeinde gedauert hätte und unweigerlich zu unerträglicher Verlängerung bis zu seiner ersehnten Ausreise nach Panama geführt hätte.

      Jeden Tag druckten die Zeitungen Inserate renommierter Schifffahrtslinien mit Angeboten für Auswanderer und Reisende nach Nord-Amerika. Viermal im Monat verließen regelmäßig Express- und Postdampfer den Seehafen von Le Havre nach New York. Cornelius entschied sich für das Dampfschiff ‚Lenau’, ein rüstiger, schon in die Jahre gekommener Zweimaster mit einem Schornstein. Der Agent versprach Beförderung zu billigstem Preis. Zudem würde man alle Reiseangelegenheiten bei der Buchung mit Umsicht und Sorgfalt zur Zufriedenheit des Reisenden erledigen. Das Schiff konnte 52 Gäste in der Ersten Klasse, 76 Passagiere in der Zweiten und 620 Insassen im Zwischendeck akkommodieren und in 9 bis 11 Tagen, je nach Wetter, den Atlantik überqueren. Der Schiffseigner garantierte eine angenehme Reise, selbst unter Deck, wo in den zwei Meter hohen, mit Frischluftventilatoren versorgten Unterkünften, Junggesellen, getrennt von Familien und unverheirateten Frauen, einquartiert würden. Vieh und anderes Getier hatten, separiert von den Schlafstellen, ihre Quartiere. Speisen konnten in einer gemeinsamen Küche zubereitet und in den Kojen eingenommen werden. Der Preis der Passage umfasste für Reisende im Zwischendeck eine Bettstelle und nötigenfalls Medikamente aus der Apotheke, Platz in der Küche zum Kochen, frisches Trinkwasser, Holz und elektrisches Licht. Der Vertrag schloss sogar bei der Ankunft in Amerika das sogenannte Kopfgeld ein. Damit konnte Cornelius allerdings wenig anfangen, fühlte sich als Transitreisender nach Panama auch nicht angesprochen. Der Reiseprospektus bot sogar einmal am Tag in der Schiffskantine eine warme Mahlzeit zu günstigem Preis an. Um Geld zu sparen, erstellte Cornelius eine Liste mit Proviant für seine Atlantik-Überfahrt. Er wollte sich Kartoffeln mitnehmen, Äpfel, kräftig braun gebackenes Schwarzbrot und eine große Dose Zwieback als Ersatz, wenn das Brot alle war, eine Schwarte geräucherten Bauchspeck und Schweineschmalz in einem Wachstuchsäckchen. Salzheringe hielt er für überflüssig, da diese sowieso ziemlich unten auf seinem Speiseplan standen und bestimmt im Bordproviant sein würden. Auch Käse glaubte er besser wegen des Geruchs nicht einzupacken. Natürlich fehlte nicht das Salz für die Kartoffeln und Honig als Brotaufstrich sowie als Zuckerersatz im Tee, den er selbst in der Küche aufbrühen wollte. Ein größerer Blechbecher diente als Topf und Trinkgefäß. Dieser Reiseproviant würde keine opulenten Mahlzeiten liefern, trotzdem hielt er sich für gut vorbereitet. In einen Reisesack packte er ein Essbesteck, extra ein Klappmesser und eine Schere, etwas Unterwäsche, mehrere Hemden mit einknöpfbarem Kragen und Manschetten, dazu Socken und Taschentücher. Eine Garnrolle und Nähnadel, ein respektables Stück Kernseife, Rasierzeug, Kamm und Zahnbürste sowie ein Handtuch vervollständigten seine Ausstattung. Kochsalz ersetzte für ihn schon immer die Zahnpasta. Leintuch, eine feste Decke und ein kleines Kissen rollte er mit einem Strick zusammen, der sicherlich auch anderweitig nützlich werden konnte, und band die Rolle oben auf den Sack. In einem kleinen Leinenbeutel verstaute er Schreibmaterial, eine handliche Ausgabe des Neuen Testaments mit Psalmen und einen Block Schreibpapier. Mit festem Schuhwerk, einem strapazierfähigen Anzug und wollener Weste glaubte er sich gut ausgerüstet. Er hatte keine Kopfbedeckung mitgenommen, was er auf der Überfahrt noch bedauern sollte. Er war stolz auf sein handliches Gepäck, wobei er allerdings zu bedenken hatte, dass seine Reise in New York noch nicht zu Ende war. Dort würde gerade erst einmal die Hälfte der Strecke hinter ihm liegen. Ob er sich neu mit Proviant bei seiner Ankunft eindecken konnte und wie er nach Colón an der Atlantikküste und dann über Land Panama Stadt erreichen sollte, das musste vor Ort geklärt werden.

       5 Aufbruch in eine neue Welt

      Die Fahrt nach Le Havre über Amiens war mit der Eisenbahn in wenigen Stunden geschafft. Der Fahrplan erlaubte es ihm im Hafen frühzeitig genug einzutreffen, um am gleichen Abend das Schiff zu borden. Das ersparte eine extra Übernachtung. Entlang der Straße zum Auswandererkai hatten sich die Agenturen

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