Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler

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in der Neuen Welt und gaben dafür ihr letztes Erspartes her oder verließen den alten Kontinent mit Schuldverschreibungen an Geldausleiher oder Verwandte. Über einem der Büroeingänge stand in großen Lettern auch der Name seines Agenten. Er trat ein, stellte sich vor und bekam gleich seine Bordkarte ausgehändigt: Dritte Klasse, Schlafkoje 179. Man deutete ihm an, dass er sich auf das Vorschiff in den Junggesellentrakt zu begeben hatte. „Das würde bei so vielen Mannsbildern heiter werden“, dachte Cornelius sarkastisch.

      Wie bei der Buchung versprochen, half man ihm durch etliche Kontrollen, aber nur bis zur Kaianlage, dort sei er sich selbst überlassen. Da warteten bereits Passagiere, um an Bord gelassen zu werden oder Verwandte standen neben den Lieben, schmerzstumm beim Abschiednehmen. Viele stiegen in Le Havre nicht zu, die meisten kamen bereits von Hamburg, dem Heimathafen der 'Lenau’. Die legte hier in Le Havre nur einen kurzen Zwischenstopp ein, um noch restliche Passagiere und Cargo vor der langen Atlantiküberquerung aufzunehmen. Noch hatten Matrosen und Stauer alle Hände voll zu tun, das Schiff mit Proviant, und Gepäck - voluminöse Kisten, Pakete und Postsäcke - fertig zu beladen. Letztendlich reiste Cornelius ja auf einem Postdampfer. Der Warenverkehr über den Atlantik vom alten Kontinent zu den aufblühenden Metropolen der Neuen Welt hatte sich lawinenhaft entwickelt. Am Heck wurde immer noch Kohle für die mächtigen Dampfkessel im untersten Deck des Schiffes gebunkert. Aus dem Schlot stiegen bereits dicke, schwarze Rauchwolken und legten sich übelriechend auf den Kai. Alles stank nach Kohleruß.

      Das Herumstehen gab Cornelius prächtig Gelegenheit, seine Umgebung zu beäugen. Um ihn herum warteten Menschen, wie es schien, bereits schön gruppiert nach der Klasseneinteilung in den Schiffskabinen. Wohlhabende Urlaubs- und Geschäftsreisende mit eleganten Koffern und Taschen standen abseits von den Leuten, die ins Massenquartier im Zwischendeck ziehen mussten. Die waren deutlich an der ärmlichen Kleidung und den schäbigen Gepäckstücken auszumachen: Rucksäcke, Leinwandbeutel, Kisten und Kanister. Die Damen der Hautevolee konkurrierten untereinander in mondänen Mänteln und übergroßen Hüten. Bei den Herren lugten weiße Schals unter dunklen, eng anliegenden Anzügen hervor; sie trugen Glaceehandschuhe und stützten sich nach der neuesten Mode auf silberbeknaufte Spazierstöcke. Selbst die Kinder waren fein herausgeputzt. „Diesen Leuten werde ich bestimmt an Bord nicht begegnen“, dachte Cornelius. Er empfand aber keinen Neid, nein, überhaupt nicht. Er schaute einfach erleichtert und mit reichlich Optimismus auf das Kommende, ohne viel darüber nachzudenken, was ihn eigentlich erwartete und auf was er sich da in Panama eingelassen hatte. Dabei war ihm natürlich klar - ohne dass er sich die finale Konsequenz in diesen Augenblicken eingestanden hätte, - dass nämlich das Ende seines eingeschlagenen Weges für ihn doch genau mit dem beginnen würde, was er so gar nicht vorhatte, nämlich in einen Priesterrock zu schlüpfen. Jetzt aber prickelte erst einmal sein ganzer Körper vor Aufregung. Die letzten Monate wollte er lieber vergessen, stattdessen sein Bewusstsein der momentanen Realität anpassen.

      Das anfängliche Läuten der Schiffsglocke ging im einsetzenden Heulen der Sirenen unter. Der Landesteg wurde freigegeben, aber eine Reihe Matrosen versperrte immer noch den Aufgang zum Schiff. Man bedeutete der kleinen Gruppe Erste-Klasse-Passagiere sich auszuweisen, sie traten vor und wurden gemächlich die Gangway hinaufbegleitet. Die Reisenden der zweiten Klasse folgten; das waren auch nicht viele. Das Gepäck dieser Herrschaften wurde ihnen beflissentlich nachgetragen, wogegen man die Habseligkeiten der Reisenden im Zwischendeck genau inspizierte. Nur was Platz in der eigenen Koje hatte, durfte dabei bleiben, die größeren Stücke waren in einem separaten Gepäckraum unterzubringen, der auf See verschlossen blieb. Entsetzen und Geschimpfe ging durch die Menge, denn die meisten hatten doch geplant, jederzeit während der Überfahrt an ihr Hab und Gut heranzukommen. Hastig versuchte ein jeder Betroffene nun irgendwie umzupacken, was in der Eile nur sehr schwer möglich war oder überhaupt nicht gelang. Warum hatte man sie darüber nicht vorher unterrichtet? Viele waren regelrecht verzweifelt. Wieder einmal pries Cornelius seine Voraussicht, denn seinen Seesack durfte er anstandslos huckepack mit an Bord nehmen.

      Alle Passagiere mussten zuerst über die Gangway an der Außenseite des Schiffes hinauf bis zum obersten Deck. Das war nicht ganz ungefährlich auf dem schmalen, wippenden, steilen Steg, besonders mit Gepäck beladen. Gleich am Ende stand Bordpersonal und reichte ohne weitere Erklärung jedem ankommenden Passagier eine Schwimmweste aus Kork. Man nahm wohl an, dass jeder wusste, was damit anzufangen war. Das Oberdeck war ganz in Teakholz gehalten, aber man durfte sich dort als Dritt-Klasse-Passagier nicht aufhalten. Überall standen Matrosen, die zwar nicht Hand anlegten und halfen, aber sehr darauf bedacht waren, dass die Passagiere auf den Oberdecks nicht belästigt oder vielleicht sogar in die luxuriösen Salons gelugt wurden. Lange, enge und niedere Gänge führten über separate Treppen zwei Decks tiefer zur Dritten Klasse, deren Quartiere direkt über dem Gepäck- und Maschinenraum lagen. Die Gänge waren hell mit elektrischen Lampen erleuchtet, was für Cornelius ein Novum war, denn bisher kannte er nur den Gasglühstrunk als Lichtquelle. Erst einmal auf seinem Deck, war der Weg zum Junggesellenquartier gut ausgeschildert. Die Schifffahrtsgesellschaft hatte zweifellos Routine und Erfahrung. »Wenn der Rest der Reise genau so gut organisiert abläuft«, murmelt Cornelius, »wie das Einschiffen, dann werden die paar Tage schnell vorbeigehen.« Was wusste er schon!? Seine Segeltour auf dem glatten Mittelmeer war ganz bestimmt nicht zu vergleichen mit dem häufig sehr rauen Atlantik. Aber einen Ozeanreisenden, der ihn hätte warnen können, hatte er bisher noch nicht getroffen.

      Im Innern des Schiffes, mit jeder Stufe, die er tiefer hinabgestiegen war, hörte er um so deutlicher das Stampfen und spürte das Vibrieren der mächtigen Dampfmaschinen.

      Als er endlich durch einen schmalen Gang in den Raum vordrang, aus dem es in den nächsten Tagen kaum ein Entrinnen geben würde, gewahrte er vor sich eine ziemlich große, aber nicht geräumige Behausung ohne Luken, schmal und lang, mit Kojen links und rechts entlang der Wände, doppelstöckig, eine hinter der anderen. Die beiden Reihen wurden durch einen nicht allzu breiten Korridor getrennt, in dem sich schon jetzt allerlei Zeug auf dem Boden staute oder an den Seiten der Bettgestelle herunterhing, so dass ein Durchkommen mit dem eigenen Gepäck nur mit Mühe, Gefluche oder Entschuldigungen gelang. Die Passagiere aus Hamburg lagen in ihren Kojen und musterten stumm, manche sogar etwas feindselig, die Neuankömmlinge. Auf den noch leeren Betten lagen ihre Kleidung und andere Gegenstände, was man nun genötigt war, knurrend für die Zugereisten wegzuräumen.

      Die Nummer 179, das für Cornelius bestimmte Bettlager, war deutlich auf einer Blechscheibe eingestanzt und an das Holzgestell der oberen Koje aufgenagelt. Cornelius hatte schon wieder Glück. Der Abstand zwischen der unteren und der oberen Bettkante war bestimmt nicht mehr als 60 Zentimeter. Da konnte man sich kaum aufsetzen. Von seiner oberen Schlafstatt aus, in der zweiten Etage, hatte er wenigstens 80 Zentimeter bis zur Kabinendecke, wie er schnell schätzte. Er wuchtete den Seesack in seine Koje, die damit schon fast ausgefüllt war.

      »Donnerwetter,« entfuhr es ihm laut, »das ist hier aber schmal, da ist ja kaum noch Platz für mich selbst.« Er schaute in die Runde und bemerkte quer über den Gang, auf gleicher Höhe mit seiner Schlafstelle, einen jungen Mann auf seiner Matte sitzen, hemdsärmelig, breite Gummiträger hielten seine Hose mit offenem Bund. Er schlief ohne Betttuch und Decke auf der befleckten Matratze, wie Cornelius sofort etwas verwundert feststellte. Er musste instinktiv auf Deutsch geschimpft haben, denn sein Gegenüber mit den melancholischen Augen nickte nur und seufzte. Die Kojen waren tatsächlich so schmal, dass die Matratzen auf beiden Längsseiten nach oben ragten. Die Lagerstatt glich mehr einem Kanu, in das sich nun Körper mit Gepäck quetschen sollten. Noch hatte Cornelius nicht erlebt, wie nützlich die aufgetürmten Matratzenseiten bei stürmischer See werden konnten, somit der Schläfer viel schwieriger über die Bettkante rutschte. Aber diese Erfahrung hatte er sehr wahrscheinlich noch vor sich. Sein Nachbar beobachtete interessiert, wie Cornelius versuchte sein Bett zu beziehen. Sein mitgebrachtes Leintuch ließ sich einfach nicht über die Ränder spannen; es hielt nicht fest. Das sah er letztendlich ein und war bereit, es in der Mulde liegen zu lassen, obwohl ihm das in seiner leicht pedantischen Art ein wenig zuwider war. Mit der ausgebreiteten Decke und dem kleinen Kissen wurde es beinahe zu einem richtigen Bett. Seinen Seesack legte er quer über das untere Ende der Koje. Das ließ ihn zwar nicht ausgestreckt schlafen, aber er

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