Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler страница 13

Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler

Скачать книгу

hat, abgeben. Er bekommt sie bei der Ankunft wieder zurück. Einer meiner Leute wird nachprüfen, dass meine Anordnungen befolgt werden, sonst .....« Er ließ offen, was er mit „sonst“ vorhatte.

      »Ich erwarte, dass jeden zweiten Tag euer Boden mit Wasser und Seife von euch gesäubert wird. Teilt euch selbst dafür ein. Das gilt auch für die Toiletten und den Waschraum. Fragt nach Eimern und Putzzeug.«

      Er war auf dem Weg nach oben, als er sich noch einmal umdrehte. »Ach ja, wir haben eure Kojen alle vor dem Ablegen von einem Kammerjäger säubern lassen. Wir sind ein reinliches und komfortables Schiff. Sollte es Läuse oder Wanzen geben, sind die von euch, dann habt ihr das mit euch selbst auszumachen. Findet den Übeltäter. Und da wäre noch etwas ganz Wichtiges. Vor einigen Wochen war auf einem anderen Postdampfer mitten auf dem Atlantik Cholera ausgebrochen. Ich kann euch versichern, das war eine verdammt schlimme Seuche, eine furchtbare Krankheit. Ihr müsst unbedingt melden, wenn einer von euch nicht mehr von der Latrine weg kommt und kotzt. Das hat nichts mit Seekrankheit zu tun. Also alles Auffällige sofort an den Kapitän!«

      Er sprach nur Deutsch, unverkennbar mit hamburgischem Akzent. Es war wohl für ihn selbstverständlich, dass jeder an Bord seine Sprache verstand. Dabei waren alle europäischen Nationen vertreten; na ja, so ziemlich alle im Einzugsbereich der Deutschen Lloyd. Neben den Deutschen waren es vor allem Skandinavier, Polen und Tschechen, neben ein paar Schweizern, die sich der deutschen Schifffahrt anvertrauten. Natürlich waren da auch noch die Franzosen, die in Le Havre zugestiegen waren.

      Schon in der Nacht wachte Cornelius auf. Das Schiff rollte bedenklich. Instinktiv hielten seine Hände links und rechts die Matratze umklammert. Er verkroch und presste sich in die weiche Mulde und fühlte sich plötzlich in seinem, wie er noch vor kurzem dachte sehr eigenartigen Bett sicher und geborgen. In der Dunkelheit wirkte das Ganze noch bedrohlicher. Um ihn herum hörte er Stöhnen und Jammern. Ein unerträglicher Gestank verbreitete sich im Raum. Er konnte sich denken, woher der kam, was die Lage auch nicht angenehmer machte. Ihm war zwar auch nicht besonders wohl, aber doch einigermaßen befindlich, denn viel hatte er seit dem letzten Tag nicht in den Gedärmen, außer etwas Brot, einem Apfel, Tee und viel Wasser, das es umsonst gab.

      Die See hatte sich am nächsten Tag einigermaßen beruhigt, aber die meisten blieben in ihren Kojen, umgeben von ihrer nächtlichen 'Orgie'. Die es am übelsten getroffen hatte, waren so apathisch, dass sie das Desaster um sich herum kaum wahrnahmen. Die Übrigen hatten um so mehr darunter zu leiden.

      Ein Matrose schaute in den Raum und stellte zwei große Eimer Sägespäne an die Tür. »Stinkt ja fürchterlich hier! Da, verteilt das Holzmehl auf dem Boden und in euren Kojen. Das saugt alles auf und ihr könnt es danach zusammenfegen. Ist ein probates Mittel, das könnt ihr mir glauben. Wenn ihr noch Kalk zum desinfizieren braucht und um den Gestank hier schneller weg zu bekommen, dann meldet euch.« Damit drehte er sich um und überließ sie ihrer Misere.

      Am Heck des Schiffes gab es ein paar Meter, wo man ins Freie treten und frische Luft schnappen konnte. Von einem Promenadendeck war keine Rede. Aber man konnte dem Mief der Unterkunft für eine Weile entkommen und hoffen, dass irgendwann die großen Ventilatoren erfolgreich waren. Cornelius trat nach draußen und musste sich sofort an der Reling festklammern, so heftig blies der Wind. An den zwei Masten blähten sich die Segel, der Wind half Kohle zu sparen. Er atmete tief ein und aus und beobachtete die hohen Wellen, die sich im Kielwasser hinter dem Schiff aufbäumten. Unbemerkt war jemand hinter ihn getreten und legte den Arm um seine Schultern. Eine solche Vertrautheit war Cornelius nicht gewohnt. Es war Jakob. Er hatte einen Regenmantel an und eine ausladende Kappe fest über die Ohren auf den Kopf gezogen. Er war besser für das Wetter gerüstet als Cornelius, der sich zitternd gegen den Wind stemmte.

      »Du solltest lieber wieder hereinkommen, du kriegst noch eine Lungenentzündung. Hast du nichts Wärmeres dabei?« Cornelius war noch immer nicht bereit seinem neuen Bekannten zu eröffnen, dass er eigentlich auf dem Weg in die Tropen war und überhaupt nicht in Erwägung gezogen hatte, dass es zwischen Abreise und Ankunft auch brachial kalt werden konnte.

      »Komm, lass uns in die Kantine gehen, vielleicht finden wir Platz auf einer Bank. Ich glaube, im Augenblick sind nicht zu viele Leute unterwegs. Die meisten sind seekrank. Es wird kaum jemandem der Kopf danach stehen, sich den Bauch vollzuschlagen. Du kannst deinen Tee trinken und ich warmes Wasser. Wenn ich nur meine Schwester auch zu uns bitten könnte, aber man lässt mich nicht zu ihr durch.«

      Ein Topf mit noch heißem Wasser stand tatsächlich auf dem bereits erloschenen Herd. Cornelius teilte selbstverständlich seinen Teeaufguss mit Jakob. Jemand hatte ein paar Stückchen Zwieback auf dem Tisch liegen lassen, den sie sich großzügig einverleibten. Jakob schien die raue See auch nichts anzuhaben.

      Cornelius fand es an der Zeit und eine gute Gelegenheit, mit seinem Kojen-über-den-Gang-Nachbarn etwas zu schwatzen. »Also du bist Gärtner? Ein echt guter Beruf, da wirst du auch in Amerika nicht ohne Arbeit sein.« Jakobs sonst etwas traurige Augen leuchteten richtig und er nickte heftig mit dem Kopf.

      »Genau das haben meine Schwester und ich uns bei dem Entschluss Leipzig zu verlassen, auch gesagt. Und du kannst mir glauben, wir haben uns das lange überlegt, war ganz und gar keine leichte Entscheidung. Aber ich glaube, in Amerika weht ein frischerer Wind als im alten Europa mit seinem Standesdünkel und den vielen Vorschriften. Sophie, was meine Schwester ist, war Lehrerin an einer städtischen Volksschule, und ich war auch bei der Stadt im Brot. Mein Leipzig ist ja in den letzten Jahren im Reich so richtig durch seine Kleingärten berühmt geworden. Sogar Ihre Königliche Hoheit, die Kronprinzessin besuchte uns. Davon hast du bestimmt gehört, oder?«

      Deutschland verwandelte sich nach dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen im neu gegründeten Deutschen Reich rasch von einem armen Bauernstaat in eine Industrielandschaft. Statt bitterer, überall verbreiteter Armut, setzte allmählich ein gewisser Wohlstand ein. Viele Menschen waren vom Land in die Städte gezogen und suchten nach Arbeit. Große Wohnghettos entstanden ohne Freiräume für die Kinder, ohne Grün. Man sehnte sich nach Platz, Licht und Luft, gewohnt, von wo man herkam. Ein Dr. Schreber setzte sich bei der Stadt Leipzig für den Bau von Spielplätzen nahe den Behausungen ein, die rasch zu Refugien, nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern wurden, raus aus ihren tristen Wohnungen. Um die Spielplätze konnten die Kinder Beete mit Gemüsepflanzen anlegen, daraus wurden Beete von den Eltern, was sich allmählich in kleine Gartenanlagen mit Lauben entwickelte. Die Stadt erkannte schnell die Annehmlichkeiten, die ein gehegter Garten mit sich brachte und begann sich darum zu kümmern, dass Kleingartenvereine gegründet wurden. Unerwartet wuchs aus Spielplätzen willkommener, zusätzlicher materieller Nutzen durch die Ernte von Obst und Gemüse für den eigenen Haushalt. Die Lust auf Natur und das Familienleben wurde gefördert. Es entstand so ganz nebenbei ein neuer staatstragender Zusammenhalt.

      Viele Amateurgärtner suchten nach Anleitung, damit die Pflänzchen auch richtig wuchsen. Stadtverwaltung und Kleingartenverein fanden in Jakob Jung den richtigen Idealisten, den Enthusiasten, der mit großer Hingabe und Geduld den Freizeitwerklern das Gärtnern beibrachte.

      Cornelius musste Jakob eingestehen, dass er von diesem neuen Zeitgeist in Leipzig nichts mitbekommen hatte. Er wuchs in einer Straße auf, nicht gesäumt von Bäumen, sondern von Reihenhäusern, deren Wohnungen seine Stadt, den kinderreiche Familien für billige Miete zur Verfügung stellte. Da war kein Raum für einen Spielplatz oder Gärtchen vorm Haus. Welch ein Traum! Seine Familie hätte sich in einem solchen Umfeld ganz anders entwickelt.

      »Jakob, du hast also auch so einen Kleingarten gehabt, du Glücklicher?«

      »Nein, nein, Cornelius, ich habe den Leuten geholfen, wie man am besten einen Garten anlegt und bewirtschaftet. Dazu gehörte auch sie zu lehren, wie man Pflänzlein anziehen und pflegen soll, welche Pflanzenorgane zum guten Wachsen und Gedeihen wichtig sind, ich meine die Aufgabe der Wurzeln, des Stängels oder des Stamms, der Blätter, der Blüten und der Samen.«

Скачать книгу