Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler

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er hatte ausreichend Zeit über seine Zukunft nachzudenken, die er nach alledem für gar nicht so übel hielt. Er erwartete eine sichere Stellung und ein geregeltes Auskommen. Alles andere musste sich finden. Bestimmt würde er irgendwann Lust verspüren, dem Vater zu schreiben, nachdem er letztendlich dessen Willen gefolgt war. Ganz fest nahm er sich vor, schnellstmöglich Caspar zu sich zu rufen. Dafür wollte er eisern sparen.

       6 Auf der SS Athos nach Colón

      Eine Dampfbarkasse brachte ihn den Hudson hinunter zur SS Athos, einem kleinen Einmaster der North American Steam Ship Company, der am Pier schon unter schwarzem Qualm aus seinem Schornsteinrohr, bereit zum Auslaufen, vor Anker lag. Die Reederei verband mit ihren Postschiffen die große Metropole von New York mit der kleinen Ortschaft Colón an der Atlantikküste von Panama. Die Amerikaner nannten den Ort stolz nach ihrem Landsmann ‚Aspinwall’, dem Bürger, der so viel zur Finanzierung des Baus der Panama Eisenbahn vor über 30 Jahren beigetragen hatte. Das Schiff tuckerte auf seiner Route entlang der Ostküste, immer gen Süden, bis in die karibische See.

      Als Cornelius auf der SS Athos im Zwischendeck, wie schon über den Atlantik, seine Koje suchte, war die Kabine fast leer. Auch in der ersten und zweiten Klasse reisten nur einige vermögende und abenteuerlustige Vergnügungssuchende, die die weißen Tropenstrände der Karibik sehen und kennenlernen wollten. Geschäftsleute sah man wenige.

      So viel Platz hatte es nicht immer auf den Postschiffen nach Panama gegeben. Es waren nur wenige Jahrzehnte her, da trekkten Tausende zuerst per Schiff nach Colón, überquerten mit der Panama-Eisenbahn in wenigen Stunden die Landenge, um im Hafen von Balboa an der Pazifikküste wieder ein dort wartendes Dampf- oder Segelschiff zu besteigen, das sie entlang der Westküste bis nach San Franzisko brachte. Das war ein kaum endender Strom von Abenteurern. Für die Desperados war das Schiff ein relativ komfortables, zeitsparendes und risikoarmes Transportmittel, statt 2000 Meilen durch Indianergebiet auf dem Landweg viele Monate beschwerlich und gefährlich im Ochsenkarren, der Postkutsche oder mit dem Pferd den Kontinent von Ost nach West zu durchziehen. Der ‚Wilde Westen’ war keineswegs romantisch, dafür gab es genügend Gesetzlose im Land und Friedensrichter, die schnell mit dem Galgen zur Hand waren. Seit die transkontinentale Eisenbahn vor beinahe zwei Jahrzehnten den riesigen amerikanischen Kontinent vom Atlantik bis zum Pazifik verbunden hatte, brach der Treck der Glückssucher im Goldrausch nach Kalifornien ziemlich rasch am Isthmus zusammen.

      Ein zweiter Ansturm von Mensch und Material setzte mit dem Bau des Panama-Kanals ein, aber die französische Société Civile Internationale du Canal Interocéanique, mit ihrem Präsidenten, dem Grafen Ferdinand de Lesseps, berühmtem Erbauer des Suez Kanals, musste erfolglos die Arbeiten am Bau des Panama-Kanals einstellen. Das Ende löste einen riesigen Finanzskandal an der Börse in Paris und politische Tumulte in Frankreich und Panama aus. Schuld waren Planungsmängel, falsche geologische Untersuchungen, Bestechungen, unzählige technische Schwierigkeiten und Pannen, gekrönt mit schlechter Organisation. Riesige Summen wurden buchstäblich im Sumpf des 73 km langen Kanalaushubs versenkt. Am Ende hatten Gelbfieber und Malaria mehr als zwanzigtausend Arbeiter in der morastigen Landschaft bei sintflutartigen Regenfällen und tropischen Temperaturen hingerafft.

      Jetzt konnte aber Cornelius die Reise auf dem amerikanischen Schiff, ohne europäischen Klassendünkel genießen. Die Passagiere im Zwischendeck hatten die Freiheit sich überall zu bewegen solange sie den Reisenden der komfortablen Kabinen nicht die Liegestühle und den Aussichtsplatz aufs Meer an der Reling wegnahmen. Die Lounges und Speisezimmer durfte Cornelius allerdings nur durch die Bullaugen bewundern oder wenn gerade die weiten Türflügel offen standen. In einem kleinen Raum unter Deck standen ein paar Tische mit Bänken, wo er essen konnte. Die Kantine bereitete recht akzeptable Eintöpfe: Fisch mit Kartoffeln, ein Stückchen Huhn im Reis oder Schweinefleisch auf Bohnen. Manchmal leistete er sich sogar ein Glas englisches Porterbier.

      Draußen, auf dem offenen Deck, wehte meist eine milde Brise bei wärmender Sonne. Er fand einen Liegestuhl in einer ruhigen Ecke, den sonst niemand zu beanspruchen schien. Diese Solitüde war ihm angenehm, denn um ihn herum sprachen alle Englisch, dessen Worte er zwar wissbegierig aufsaugte, aber noch wenig Sinn für ihn ergaben. Er war vor allem über die häufig sehr unterschiedlichen Dialekte dieser Sprache überrascht und versuchte herauszufinden, ob ihre Gesichter zum Klang der Worte passten und wo diese Menschen vielleicht herkamen. Er hätte geschworen, dass da Leute von Ungarn versuchten Englisch zu sprechen, so hart war ihre Aussprache. Wenn er sich später daran erinnerte, musste er darüber lächeln, denn das waren Iren oder Schotten mit ihrem besonderen englischen Akzent, so ganz anders, als das der Londoner Aristokratie oder dem Slang der amerikanischen Südstaaten. Aber diesen Unterschied lernte er, wie gesagt, erst nach vielen Jahren zu unterscheiden.

      Er räkelte sich gerne, versteckt in seinem Liegestuhl, und beobachtete die Wellen und das Meer, das immer ruhiger, blauer und tiefgründiger wurde, je weiter sie gen Süden vorstießen. Nach und nach entledigte er sich im Sonnenschein seiner schweren Kleidungsstücke. Manchmal tauchten unerwartet Tümmler und fliegende Fische auf, Kreaturen, die vor seinen Augen im Wasser spielten und die er bis jetzt nicht zu Gesicht bekommen hatte. Ein Matrose, der wohl sein Interesse beobachtete, deutete im Vorbeigehen auf die Meerestiere und rief ihm ab und an die Namen zu. Er horchte in sich hinein, und fand da in solchen Momenten einen Menschen, den er für ziemlich gesegnet hielt, der nie und nimmer, nicht in seinen kühnsten Phantasien zu träumen gewagt hätte, eine solche Schöpfung Gottes, solche Naturwunder mit eigenen Augen zu erleben. Das waren für Cornelius ganz neue Welten. Wenn er nicht gerade vor sich hin träumte, nahm er Jakobs Geschenk zur Hand, das ihm sein Gärtnerfreund noch beim Abschied zugesteckt hatte, ‚Philipp Helds Großes Illustriertes Gartenbuch zur Selbstbelehrung für Gartenbesitzer, alles in durchaus klarer, leichtverständlicher Darstellung.' Es war für den Eigengebrauch geschrieben worden und reich bebildert. Was da der königlich württembergische Garteninspektor aus seiner langen Erfahrung für Gartenliebhaber von sich gab, war überaus faszinierend, genau das Richtige für Cornelius und ließ ihn hoffen, einmal selbst in einem eigenen kleinen Garten zu praktizieren. Er senkte das Buch halb geöffnet in den Schoß, das unentwegte Rauschen der Wellen am Schiffsrumpf, das leise Knattern des Winds in den Segeln, - der Kapitän hatte volles Tuch gesetzt und die Maschinen gedrosselt, - umhüllten Cornelius mit einem Fluid der Monotonie, so richtig zum Dösen.

      Aus den Augenwinkeln erhaschte Cornelius einen Schatten, der keiner war, denn der sprach ihn nun in gebrochenem Deutsch mit französischem Akzent an. Es gab für unseren Gartenstudiosus verschiedene Möglichkeiten diese Störung los zu werden. Er konnte sich schlafend stellen, in der Erwartung, dass der Schatten sich davonschlich, er konnte vorgeben nichts zu verstehen oder sich auf eine Unterhaltung einlassen. Er entschloss sich für das Letztere und öffnete vollends die Augenlider. Vor ihm stand ein großgewachsener Mann in reichlich verwaschenem, zerknautschtem, weißen Leinenanzug, dessen Fasson schon bessere Tage gesehen hatte. Aber nicht zu verleugnen, seine Kleidung war erheblich komfortabler an das warme Klima angepasst, als Cornelius' Anzug aus dunklem Wollstoff. In seinem unverkennbaren französischen Deutsch stellte sich sein Gegenüber mit einem sehr kleinen Kopfnicken vor: »Bitte erlauben Sie mir, Sie in ihren Studien zu unterbrechen, ich bemerkte Sie lesen ein deutsches Buch. Ich nehme an, Sie sind kein Amerikaner?«

      Sein Deutsch war wirklich sehr holperig, worauf Cornelius sofort bereit war, seinem Gegenüber auf Französisch zu antworten. Die Erwiderung kam überschwänglich in der Muttersprache des Franzosen.

      »Bitte halten Sie mich nicht für aufdringlich Sie sans phrase anzusprechen, aber ich versuche schon seit Tagen mit diesen Leuten hier auf dem Schiff in eine vernünftige Unterhaltung zu kommen. Ist vollkommen utopisch. Alle sprechen nur diese unmögliche englische Sprache, als müsste alle Welt sie verstehen, ich glaube, die haben einfach keine Bildung. Ich habe mir erlaubt Sie schon eine ganze Weile zu beobachten, wie Sie da so alleine herumsitzen und dachte mir, dass wir wohl Leidensgenossen sein könnten. Et voilà, ich habe mich nicht getäuscht. Ich bin Maître Barbier, Paul Barbier von Toulouse und Advokat von Beruf.«

      Cornelius

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