Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler

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Gasse öffnete sich zu einem kleinen Platz, von dem ein mächtiger Gestank zu ihnen herüber wehte. Sie wollten sich schon abwenden, bevor sie näher gekommen waren, da blieben sie wie angewurzelt stehen, glaubten ihren Augen nicht zu trauen.

      »Connie, was geht da vor sich? So was gibt es doch gar nicht. Wo leben wir denn? Das ist ja ein leibhaftiges Horror infernale, ein richtiger Spuk!«

      Im Vordergrund bewegten sich halbnackte Männer in zahllosen großen Erdlöchern. Sie standen bis über die Knie in einer dunklen Brühe und stampften irgend etwas unter ihren Füßen. Angeekelt vom Geruch trieb sie die Neugierde doch näher. Triefende Stücke wurden ab und zu aus den Löchern zum Rand auf den Boden gezogen. Es waren Felle.

      Ihre Augen schweiften weiter und sie sahen Männer, die nasse Wolle von den Häuten schabten und das enthaarte Leder an eine andere Gruppe weiterreichten. Die standen nun in einer weißen Flüssigkeit und bearbeiteten mit Händen, Armen, Beinen und Füßen die Lederstücke, bis diese offensichtlich weicher und weicher wurden. Am faszinierendsten aber waren die hinteren Löcher, deren Oberflächen in der Sonne, wie bunte Spiegel zu ihnen herüber leuchten. Dort wateten Männer bis zur Hüfte im Wasser und wuschen das Leder, bis es mit den verschiedensten Farben vollgesogen war. Sie selbst sahen so bunt aus wie ihre bearbeiteten Produkte. Am Ende trockneten die farbenfrohen Stücke auf Gestellen in der Sonne, bei denen man noch sehr wohl den Hals und die Oberschenkel der abgezogenen Schaffelle erkennen konnte.

      »Wir gehen besser fort von hier, bevor wir auch noch gegerbt werden,« bemerkten sie halb scherzend. Sich abwendend, schnüffelten sie instinktiv an ihren Kleidern, besorgt, ob sich vielleicht schon der Gestank bei ihnen festgesetzt haben könnte.

      Das Schaf war für die beiden nur Wolle- und Fleischlieferant, nicht aber ihre Haut für Leder. Das selbstgesponnene Wolltuch für ihre Burnusse schätzten sie. Das Kleidungsstück war nützlich und angenehm zu tragen. Dagegen war der Geschmack und Geruch von so manchem Stück, häufig zu fettem Hammelfleisch für sie in den vergangenen Monaten schon gewöhnungsbedürftiger. Apropos Essen, das erinnerte sie stark daran, wie wenig sie an diesem Tag bisher zwischen die Zähne bekommen hatten. Das Hungergefühl wurde noch stärker, als sie an einer Bäckerei vorbeikamen, wo duftende, noch warme, flache Brotfladen vor ihren Augen auf einem Tisch gestapelt lagen. Man hatte ihnen ja ein Sümmchen Geld für ihren Aufenthalt in 'Budschaja' mitgegeben. Natürlich wollten sie das Geld für ihre Flucht zurückhalten, aber die Verlockung war zu groß und das Brot nicht teuer. Mit ein paar Fladen betraten sie ein Café, deuteten auf die Gläser der Nachbarn und saßen bald vor würzigem, stark gesüßtem Pfefferminztee und ließen es sich von Herzen schmecken.

      »Ach, tut das gut,« seufzten beide ein über das andere Mal, schauten in die Runde und vergaßen beinahe ihre Sorgen.

      »Die Leute sehen eigentlich ganz freundlich aus, meinst du nicht auch, Caspar? Es muss doch wohl möglich sein, einen Fischer zu finden, der uns mitnimmt und zur französischen oder sardinischen Küste bringt. Dafür wird unser Geld schon reichen. Und wir können ja auch anbieten, ein bisschen beim Fischfang Hand anzulegen. Wir haben zwar keine Ahnung von diesem Gewerbe, aber das brauchen wir nicht gleich zuzugeben. Kräftig genug zum Zupacken sind wir allemal.«

      Als sie wieder aufbrachen, mündeten die Gassen sternförmig auf einen größeren Platz. Sie hatten den Obst- und Gemüsemarkt erreicht. Da weiteten sich ihre Augen ob der Vielfalt von Farben und Formen der Früchte, Knollen und Blätter, die sie weder von zu Hause kannten, noch in den Bauernhöfen um ihr Ordenshaus je gesehen hatten. Vieles, was da auf niederen Ständen oder auf Tüchern, direkt auf dem Boden ausgebreitet lag war so verführerisch und interessant, dass sie sich aufs Neue vergaßen und zwischen den ausgelegten Waren umherschlenderten. So wie die Menschen angezogen waren und mit ihren derben Händen, mussten das die Bauern selbst sein, die ihre Ware zum Markt gebracht hatten. Die Mannigfaltigkeit war kaum zu fassen. Das sollte ihre Mutter gesehen haben. Die Liebe, Gute war schon froh, wenn Kartoffeln, Möhren oder Kohl auf den Tisch kamen. Solche Gemüsearten gab es hier natürlich auch in Hülle und Fülle, aber daneben all das andere, die frischen Gurken und Bohnen, große weiße Rettiche und diese nie für möglich gehaltenen, riesigen Zwiebeln!

      »Sieh doch, Caspar, diese Zwiebel muss wenigstens drei Pfund wiegen! Und die wundervollen Melonen und Aprikosen!«

      »Was sind denn das für rot-gelbe Früchte?« Caspar deutete auf sie und schon war der Händler zur Stelle die potentiellen Käufer zu bedienen. Er nahm eine der kleinen ovalen Früchte und schnitt sie vor ihren Augen in zwei Hälften, die er ihnen zur Verkostung reichte. Das Innere der Frucht beherbergte viele Samen, umgeben von einem grünen Gallert. Nicht unbedingt ansprechend für sie. Zögerlich nahmen sie die Probe und bissen hinein. Dabei tropfte der Saft über ihre Hände. Brrr, diesen süßsäuerlichen, leicht bitterlichen Geschmack hatten sie nicht erwartet. An ihrem Gesicht konnte der Bauer unschwer erkennen, dass er da keine Käufer gefunden hatte. Einen Tag später wurde ihnen die Frucht als Pomme d’or vorgestellt. Im darauffolgenden Jahr, in einem ganz anderen Kontinent, fand Cornelius dieses Gemüse in vielen verschiedenen Formen und Färbungen wieder. Da nennen die Einheimischen die Frucht 'Xitomatle', was Tomate heißt und dort seit langem angebaut wird.

       3 Flucht nach Frankreich

      Die Dämmerung setzte ein, als sie endlich ihren Weg zur Mole gefunden hatten. Da waren nur einige Männer mit dem Reparieren der Netze beschäftigt. Nach einigem Fragen mussten sie feststellen, dass die Fischer gewöhnlich erst mitten in der Nacht den Hafen verließen, um im Morgengrauen die Netze weit draußen auszulegen. Es blieb nichts anderes übrig, als entweder hier am Hafen stundenlang herumzulungern noch müder zu werden oder sich irgendwo eine billige Schlafstatt zu suchen. Sie hatten allerdings nicht die geringste Ahnung, wie sie das anstellen sollten. Ziemlich bedrückt, schlurften sie in den Ort zurück.

      Irgendwie musste die Körperhaltung ihre Gemütslage verraten haben. Sie sahen nicht wie Landstreicher aus, aber auch nicht respektabel genug, um eine gute Herberge bezahlen zu können.

      »He, ihr zwei, wohin so spät? Ihr seid doch nicht von hier? Ihr solltet um diese Zeit nicht mehr in der Stadt herumwandern. Das hier ist mein Teppichlager, ein vorzüglicher Platz zum Schlafen. Wenn es Euch beliebt, kommt herein, morgen ist wieder ein neuer Tag.«

      Diese Einladung kam wie gelegen. Sie überquerten die Straße, denn das Lagerhaus lag an einer geräumigen Kreuzung außerhalb der winkeligen Innenstadt. Vor ihnen stand ein drahtiger, hochgewachsener Mittfünfziger, der sie mit aufmerksamen Blicken musterte. Sein angegrauter, wohl getrimmter Spitzbart ließ sein langes, schmales Gesicht mit der Hakennase, den tiefliegenden Augen und den vollen Lippen noch länger erscheinen. Er hatte seine Hände in die weiten Ärmel seiner indigoblauen Djellaba gesteckt, ein Wollmantel, ganz ähnlich ihrem weißen Burnus, aber viel edler gewebt. Sein Kufi-Hut saß ihm keck auf dem Hinterkopf und unter dem langen Gewand schauten die gelben, weichen Babouche-Lederslipper hervor. Die gesamte Erscheinung war vertrauenerweckend.

      »Wo kommt Ihr her, ihr jungen Fürsten? Diese Anrede hatte aus seinem Mund nicht einmal etwas Spöttisches. Ich sehe schon, Berber seid Ihr nicht, auch keine Araber, he, vielleicht Söhne eines französischen Regierungsbeamten? Ihr seid doch nicht von zu Hause abgehauen? Schwierigkeiten kann ich überhaupt nicht ausstehen.«

      Er hatte sie gleich in fließendem Französisch angesprochen, obwohl er selbst Berber zu sein schien, seiner Kleidung nach vielleicht sogar aus Marokko.

      Sie wichen seiner direkten Frage aus.

      »Nein, nein, keine Sorgen. Wir sind Brüder und unsere Eltern schicken uns in geschäftlichen Angelegenheiten zu unserem Onkel nach Frankreich. Wir hatten einen faulen, unzuverlässigen Eseltreiber. Unser Wagen kam einfach nicht von der Stelle. Dadurch haben wir unser Schiff nach Marseille verpasst. Wir müssen

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