Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler

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heutigen Landbevölkerung sind Abkömmlinge mit den Spaniern. In ihrem Popanz haben sich später die Kolonialherren die schwarzen Sklavenmädchen vorgenommen, die zur Plantagenarbeit aus der Karibik importiert wurden, weil die Indios in den Jahrzehnten davor durch die von Europa eingeschleppten Infektionskrankheiten zu schnell weggestorben waren.«

      »Mein lieber, junger Kirchenmann, diese Leute, befürchte ich, werden wohl Ihre Gemeinde sein. Ignoranz und Aberglaube sind die Werte dieser Menschen, Eigenschaften, die in unserer zivilisierten Gesellschaft nicht mehr ganz so ausgeprägt sind. nährt ihre phlegmatische Lebenseinstellung keinen Fanatismus. Die meisten sind recht friedlich, wenn man sie in Ruhe lässt oder ihnen das Wenige nicht vorenthält, das sie für ihre eigenen Bedürfnisse zu brauchen glauben.«

      Cornelius lauschte angespannt den Schilderungen, wenn auch mit zunehmender Besorgnis. So desolat hatte er sich die Situation auf dem Land nicht vorgestellt. Da kam eine ganz neue, ungeahnte Dimension auf ihn zu, für deren Bewältigung er sich vollkommen unvorbereitet fühlte. Mit Glaubensfanatismus, wie er ihn in Nordafrika teilweise angetroffen hatte, meinte er besser umgehen zu können, als mit Glaubensapathie oder Ignoranz. Darum erkundigte er sich:

      »Herr Grünbaum, ist es wirklich so schlimm? Was hat denn unsere heilige Mutter Kirche in all den Jahren gemacht? Wie kann ein Staatswesen damit umgehen?«

      Grünbaum zog nur die Augenbrauen nach oben. Seine Ausführungen waren vollkommen ohne Dramaturgie, versuchten sich nur auf das Wesentliche zu beschränken und Cornelius nicht mit Schwarzmalerei zu benebeln. Er war zwar kaum zehn Jahre älter, hatte aber einen wachen Blick für sein Umfeld und wusste als Geschäftsmann sich in diesem Rahmen erfolgreich zu behaupten.

      »Herr Pfarrer, ich wollte Sie weiß Gott nicht erschrecken oder gar entmutigen. Dachte mir aber doch, Sie sollten wissen und vorbereitet sein auf das, womit Sie in den kommenden Jahren konfrontiert werden. Sie hatten mir ja gesagt, wie wenig Sie bis jetzt unser Land und seine Leute kennen. Bin sowieso ziemlich erstaunt, dass Sie als Seminarist nicht schon längst mit all dem vertraut gemacht wurden. Man kann Sie doch nicht einfach in einer Regentonne aufs Land rollen, wenn ich mir den Vergleich erlauben darf.«

      »Sie haben vollkommen Recht, Herr Grünbaum, ich habe schlicht keine Ahnung. Da muss ich mir erst noch eine Strategie zurechtlegen. Natürlich sollte man Erfahrungen nicht überbewerten, denn das schränkt den Tatendrang ein. Ich stelle mir vor, dass es mein Anliegen sein muss, menschliche Werte denjenigen zu vermitteln, die sich mir anvertrauen, sie glücklich und zufrieden machen, sich selbst, ihre Familien, ihre Gemeinschaft. Aber was kann ich tun, wenn dieses Volk gar kein Bedürfnisse hat bessere Menschen zu werden, das ihnen mein Glaube, mein Gott geben könnte? Das Prinzip unseres Glaubens ist doch die Liebe, die Vergebung und das Mitgefühl. Mein lieber Herr Grünbaum, Sie haben eben von Leuten gesprochen, die Ignoranz und Aberglaube zu ihren Werten erhoben haben. Das ist ja furchtbar, wo soll, wo kann ich denn da beginnen, wie tief muss ich in deren Herzen vordringen? Als Seelsorger darf ich ja gar nicht fragen, ob solche Individuen überhaupt Seelen haben, denn dann würde ich mich ja selbst aufgeben.«

      »Aber bitte, ich merke schon, dass Sie mir noch viel mehr zu erzählen haben, dass ich sicherlich noch allerhand wissen muss, um meine Augen, meinen Verstand zu öffnen. Und dabei sollte ich mich in diese wunderschöne Landschaft vertiefen. Gerade sind wir an drei kleinen Mädchen vorbeigefahren, die ihre Sachen im Bach wuschen. Wie machen die Leute das bloß, dass ihre weißen Kleider immer so proper und sauber aussehen? Ja, bitte, mein lieber Herr, wenn es ihnen nichts ausmacht, fahren Sie doch fort. So schockierend, wie sich manches anhört, so muss ich es doch wissen. Es ist für mich eine unglaubliche Bereicherung. Mein guter Engel hat mich an der Hand in Ihr Geschäft geführt und uns bekannt gemacht.«

      Wieder schaute Grünbaum Cornelius nur vielsagend an, fuhr dann aber fort:

      »Dann wurde uns vor Jahrzehnten nach den Goldgräbern eine neue Welle von Einwanderern aus aller Herren Länder beschert, die zu Hause wahrscheinlich auch nicht weiter kamen. Sie hatten sich in der Hölle von Panama für den Eisenbahnbau verdingt. Die kolossale Arbeit und Krankheiten, vor allem das Gelbfieber und die Malaria rafften bis zur Fertigstellung die meisten hinweg. Der Rest blieb im Land hängen. Dann wurde vor einigen Jahren von den Franzosen der Kanalbau begonnen, wieder mit vielen zehn-tausend Arbeitern aus aller Herren Länder, meist angelockt als Ungelernte. Die Fehlkonstruktion war ein komplettes Desaster, an dem das Land heute noch leidet. Überall ist die Erde aufgewühlt, wo Wasser fließen sollte. Die Arbeiter starben wie die Fliegen, eilig verscharrt auf riesigen Friedhöfen, getötet durch die Dämpfe, seit neuestem sagt man auch von den Milliarden von Mücken aus den Sümpfen. Die Ingenieure haben das Land schon längst wieder verlassen. Die restlichen Überlebenden kommen nun zu den anderen und lungern in den Städten und Dörfern herum.«

      »Eigentlich sollte es der Landbevölkerung besser gehen seit der Befreiung von und dem Zerfall der spanischen Kolonialmacht. Die Einheimischen haben Land bekommen, wenn auch nicht viel, aber sie können oder wollen damit nicht wirtschaften. Selbst hundert Kaffeesträucher würden genügen, um mit der Ernte der Kaffeebohnen einen entscheidenden Anfang zu machen. Dazu braucht man wirklich nicht viel Kapital, und das würden wir sogar vorstrecken, wenn wir wüssten, dass wir dafür eines Tages auch die Ernte aufkaufen könnten. Meine eigene Philosophie ist, dass das Leben auf Gegenseitigkeit beruhen sollte. Aber jeder muss dabei seiner Verpflichtung nachkommen. Heute zieht das Landvolk in der Erwartung auf ein besseres Leben in die Städte, wenn es ihnen in ihren Hütten zu eng und schwierig wird. Aber Sie haben ja selbst gesehen, wie heikel sie es in der Stadt haben. Die Politik wird immer noch von der alten Kolonialkaste gesteuert, ist zutiefst korrupt, lebt in einer Klüngelwirtschaft und kümmert sich nur um die eigenen Vorteile. Die Kirche - verzeiht Hochwürden - hält sich aus all dem heraus und hofft auf bessere Zeiten. Die Geschäftswelt gehört uns Deutschstämmigen zusammen mit den Amerikanern und Engländern. Die alten spanischen Familien haben immer noch ihre Haziendas, wie seit eh und je. Sie bauen in erster Linie Kaffee und Zuckerrohr an und verkaufen die Erzeugnisse an uns zum Export nach Übersee. Das sind beinahe die einzigen erwähnenswerten Einnahmen, die das Land erwirtschaftet, außer dem Geld, das die Passagiere zurücklassen, wenn sie den Isthmus überqueren. Dabei gehört die Eisenbahn auch nicht dem Staat von Panama, sondern den Amerikanern.«

      »Wir Deutschen haben einen wichtigen Anteil am Kaffeehandel in Händen. Natürlich war das nicht immer so. Nehmen Sie meine Familie. Mein Großvater landete hier in Panama, er hatte Fortune, aber auch Grips genug sich umzusehen, was der Landstrich ihm bieten könnte. Er war sozusagen gestrandet auf dem Weg nach Kalifornien, zu erschöpft vom harten Fußmarsch den Isthmus zu überqueren. Damals gab es ja noch keine Eisenbahn. Den Proviant hatte er auf dem langen Marsch aufgefuttert, der eigentlich bis Kalifornien hätte reichen sollen und die Ausrüstung für das Goldschürfen war verloren gegangen oder er hatte alles weggeworfen, weil das Werkzeug in der Hitze und Schwüle zu schwer geworden war. Im Nachhinein war das ein Glück für unsere Familie, wie auch für so manch anderen Gefährten, der sich für das Gleiche entschied. Wir haben es in diesem Land geschafft, wir sind nicht dem Geldrausch zu verfallen, noch sind wir in Kalifornien dem Goldrausch verfallen und verkommen. Zugegeben, unsere Vorfahren waren anfänglich Glücksritter, aber letztendlich doch ein klein bisschen cleverer oder realistischer als viele andere. Sie können es auch Chuzpe nennen oder Schicksal, auf alle Fälle scheint der Allmächtige uns bis jetzt in Händen gehalten zu haben.«

      Während sie sich noch unterhielten, hatte sich die Landschaft rasch verändert. Links und rechts des Weges breiteten sich nun weite, zur Ernte bereite Zuckerrohrfelder aus abwechselnd mit frisch gepflügtem Land aus rostroter Erde und mit neu gepflanzten Parzellen. Ihr Zweispänner wurde beinahe auf der schmalen Straße, wie in einer hohlen Gasse, von dem Blätterwald des mehrere Meter hohen Zuckerrohrs eingeschlossen. Nach einer Wegbiegung schien sich plötzlich vor ihnen der Tunnel in einem dichten Nebel aufzulösen. Es roch intensiv nach Verbranntem, und man sah durch die Schwaden links am Weg vom Boden her gelb-rotes Feuer züngeln. Die Pferde scheuten und waren kaum zu beruhigen. Zum Glück wusste der Kutscher damit umzugehen, es sah schlimmer aus, als es tatsächlich war. Er hatte

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