PROJEKT KUTAMBATI. Michael Stuhr

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PROJEKT KUTAMBATI - Michael Stuhr

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mussten." Der Chirurg war aufgestanden und ging zur Tür.

      "Richtig, Felix", rief Wallmann ihm nach. "Trotzdem besteht die Zentrale auf den Auswertungen!"

      "Ich weiß", entgegnete Wolters. "Wir hören mal rum, wer von den Versuchskaninchen noch in der Nähe ist. Wir kriegen das schon hin. Notfalls ..."

      "...werden die letzten Berichte einfach aus Wahrheit und Dichtung zusammengemixt." fiel Fischer ein. In Indien hatte er vor ganz ähnlichen Problemen gestanden. In diese verdammten Landkrankenhäuser kamen die Einheimischen nur, wenn es Ihnen nicht zu gut oder zu schlecht ging. Besserte sich ein Leiden, blieben die meisten Patienten einfach weg. Ging es Ihnen wirklich schlecht, verkrochen sie sich in ihre Hütten zum Sterben. Man konnte Versuchsreihen mit tausend Personen starten und bekam unter Umständen doch nur zweihundert Langzeitbeobachtungen zustande. Von einer repräsentativen Untersuchung konnte man da überhaupt nicht mehr reden - aber das hatte die Zentrale noch nie gestört.

      "Wahrheit und Lüge? Na, na, was soll denn das?" wies Wallmann Fischer zurecht. "Halten wir es doch bitte wie üblich. Alle wissen Bescheid - und keiner spricht darüber." Auch er erhob sich. "In diesem Sinne: - frohes Schaffen liebe Kollegen!"

      Fischer spülte das letzte Stück Knäcke mit echtem Kenia-Kaffee runter und folgte den beiden.

      Die drei Ordinationsräume lagen dem Haupteingang gegenüber und teilten den ganzen Block in zwei Hälften. Die vordere Abteilung enthielt den großen Warteraum und die sanitären Anlagen für die Besucher. Hinter den Sprechzimmern lagen die Privaträume der drei Ärzte sowie die Küche und der Gemeinschaftsraum. Koch und Hausboy lebten mit dem anderen Personal zusammen im Nebengebäude, wo es auch 15 Betten zur stationären Behandlung von Patienten gab.

      Fischer ging in sein Sprechzimmer und schloss die Vordertür auf. Kurz darauf wurde von einem der Helfer der erste Patient hereingebracht.

      "Jambo,Bwana!"

      "Jambo!" Fischer nickte dem alten Mann freundlich zu. "Verstehst du englisch?"

      Der Alte blickte verständnislos.

      Fischer seufzte. "Erzähl mir, was er will", befahl er dem Helfer. "War er schon mal hier?"

      Der Helfer sprach ein paar schnelle Worte in Suaheli. Bedächtig wiegte der Alte den Kopf und schaute misstrauisch zu Fischer hinüber. Die Antwort war für afrikanische Verhältnisse sehr kurz. Schon nach ungefähr acht Sätzen durfte der Dolmetscher übersetzen.

      "Nein, er war noch nicht hier. Aber er will jetzt den Doktor sehen."

      "Sag ihm, dass ich der Doktor bin."

      "Sorry, Bwana Doktor Fischer, er wird mir nicht glauben, weil er es nicht sehen kann."

      "Wieso?" Fischer blickte an sich herunter. "Oh Scheiße!" murmelte er auf Deutsch. Er hatte vergessen, sich seinen Kittel anzuziehen. Langsam stand er auf und ging zu dem schmalen Wandschrank, in dem er seine Dienstkleidung verwahrte. Er nahm sich einen frischen Kittel vom Bügel und zog ihn über, ohne die Knöpfe zu schließen. Als Krönung nahm er dann sein Etui mit den elf Kugelschreibern aus der Brusttasche des alten Kittels und steckte es gut sichtbar ein.

      Ehrfurcht zeichnete sich auf dem Gesicht seines Patienten ab. Dieser Mann war bestimmt ein großer Doktor! Selbst der Polizist in seinem Heimatdorf besaß nur drei Kugelschreiber - und der Bürgermeister sogar nur zwei!

      Fischer kam sich, wie immer im ersten Moment, recht lächerlich vor. Die Metall- und Plastikclips zierten seine Brust, als sei er ein russischer General in Paradeuniform, aber die Wirkung blieb nicht aus. Der Alte taute zusehends auf und begann, in schnellen Worten zu erzählen. Der Helfer übersetzte:

      "Er ist drei Tage lang gegangen, um hierher zu kommen. Er freut sich, Sie hier anzutreffen und wünscht Ihnen ein langes Leben. Er fragt, wie es Ihnen geht und ob auch ihre Familie wohlauf ist. Es war ein langer Weg hierher - und die Sonne war sehr heiß. - Aber seine Brüder..."

      "Moment! Frag ihn, was ihm weh tut."

      Die beiden Schwarzen unterhielten sich nun angeregt.

      "Well", meinte der Dolmetscher schließlich. "Er ist auf eine Palme geklettert, um Früchte zu holen. Da ist er abgerutscht und auf den Boden gefallen. Dabei ist er mit dem Knöchel auf einen Stein geschlagen. Das tat sehr weh. Seitdem kann er nicht mehr richtig laufen - und jetzt ist er hierher gekommen, um sich heilen zu lassen."

      Fischer ließ sich den Fuß zeigen. Schon der erste Blick zeigte ihm, dass er hier nichts mehr ausrichten konnte. Fast der ganze Fuß war bei dem Sturz zerschmettert worden, und die Brüche waren samt und sonders schief zusammengewachsen.

      "Wieso kommt er erst jetzt? Und wieso klettert er in seinem Alter noch auf Palmen herum?" fragte er den Dolmetscher.

      Der gab die Fragen an den Alten weiter, der wieder zu einer längeren Rede ansetzte. Als er damit fertig war, erfuhr Fischer den wahren Sachverhalt: Der Alte hatte gar nicht sofort kommen können. - Als der Unfall passierte, war er noch ein Kind gewesen.

      Fischer seufzte. Da erwartete dieser arme Alte doch wirklich, dass der weiße Wunderdoktor einen mindestens 50 Jahre alten, schlecht verheilten Knochenbruch repariert. Aber die Weißen waren ja selbst schuld, wenn sie überfordert wurden. Jahrzehnte-, ja jahrhundertelang hatten sie sich als Alleskönner und Wundertäter aufgespielt. Und so was war nun die Quittung dafür.

      "Hier, das ist gute Medizin!" Aus der Schreibtischschublade hatte er ein Röhrchen mit Zuckerpillen geholt und reichte es dem Alten. "Jede Woche eine Pille - und den Fuß schonen!" ließ er übersetzen. "Aber er soll nicht zu viel erwarten, die Sache braucht Zeit."

      Erfreut nahm der Alte die Medizin entgegen und humpelte Danksagungen murmelnd hinaus.

      "Glück gehabt, alter Junge. Für einen Feldversuch mit neuen Präparaten bist du einfach zu alt", stellte Fischer bei sich fest und ließ den nächsten Patienten hereinholen.

      Zwei Geschwüre, zwei Durchfälle, drei Bilharziosen und einige andere Krankheiten später: Fischer fühlte sich total ausgelaugt. Er war kein Arzt aus Leidenschaft. Die Routine der Behandlungen, die Krankheitsgeschichten, die ewig gleichen Begrüßungsformeln machten ihn krank.

      Aus Prestigegründen hatten seine Eltern darauf bestanden, dass er Medizin studierte. Eigentlich hätte er viel lieber eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen. Aber um des Familienfriedens willen hatte er schließlich eingewilligt.

      Schon bald hatte er allerdings festgestellt, dass er dem Arztberuf wirklich nicht viele positive Seiten abgewinnen konnte. Seine Schwierigkeiten mit den hierarchischen Strukturen des Ärztestandes hatten ihm schon in den ersten Semestern Unmengen von Ärger eingetragen. Dass er trotzdem seine Scheine zusammenbekam und auch ganz gut abschnitt, grenzte an ein Wunder. Immerhin ließ er keine Gelegenheit ungenutzt, sich unter der Professorenschaft Feinde zu machen.

      Mitten in diesem Dilemma kam ihm seine Idee, den Fachbereich "Tropenmedizin" zu wählen, wie eine Erlösung vor. Der 22jährige Medizinstudent Martin Fischer träumte davon, eines Tages in einem hübschen kleinen Krankenhaus, in einem interessanten Land - mit netten farbigen Kollegen - nette farbige Patienten zu behandeln.

      Heute, 37jährig - nach sechsjährigem, fast ununterbrochenem Einsatz in verschiedenen Ländern - wusste er, dass Entwicklungsarbeit immer bedeutete, bis über beide Ellbogen im Dreck zu wühlen. Aber das war noch nicht das Schlimmste.

      Viel mehr

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