Thiemos Bande. Frank Springer
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Dörte sah sich gezwungen, etwas draufsetzen zu müssen, und sagte mit angeekeltem Tonfall: „So ein Muster hätte meine Großmutter damals nicht einmal für ihre Küchengardine genommen.“
Thiemo, der immer noch neben Merle saß, hatte das Gespräch bislang verfolgt, ohne sich daran zu beteiligen. Nun sprang er auf und stellte sich schützend vor Merle.
Er fuhr die anderen Mädchen an: „Lasst Merle in Ruhe. Sie kann sich doch so anziehen, wie sie möchte. Ich finde es übrigens sehr hübsch, nicht immer nur Rosa zu sehen.“
Erschrocken wichen die drei Mädchen zurück und wandten sich ab. Sie gingen zurück auf ihre Plätze und tuschelten aufgeregt miteinander. Merle schaute Thiemo verschmitzt an und zwinkerte ihm erleichtert zu.
4. Alles ist vorbei
Der restliche Schultag verging für Thiemo wie im Fluge. Er war überglücklich, neben Merle zu sitzen. Da sie ohnehin den gleichen Heimweg hatten, schlenderten die beiden nach Schulschluss miteinander nach Hause. Dabei lachten sie und alberten ausgelassen herum. Zum ersten Mal seit Ludwigs Umzug war Thiemo wieder richtig fröhlich und unbeschwert. Nie zuvor hätte er gedacht, dass er so viel Spaß mit einem Mädchen haben könnte. In Merles Gegenwart fühlte sich Thiemo so wohl, dass er seine Trauer um Ludwig vergaß.
Thiemo freute sich über alle Maße, als Merle ihn fragte: „Hast du heute Nachmittag Zeit? Wir könnten die Hausaufgaben gemeinsam erledigen. Das ist nicht so langweilig, als wenn wir sie alleine machen müssen.“
„Ja gerne“, wollte Thiemo voller Freunde ausrufen, aber ihm fiel gerade noch rechtzeitig ein, was er bisher erfolgreich aus seinen Gedanken verdrängt hatte.
Stattdessen sagte er: „Nein, tut mir leid. Das geht nicht. Heute ist Bandentreffen.“
„Was, bitte?“, fragte das Mädchen erstaunt nach.
In diesem Augenblick hätte sich Thiemo am liebsten auf seine Zunge gebissen, denn ihm wurde urplötzlich bewusst, dass er einen schwerwiegenden Fehler begangen hatte. Er hatte einem Mädchen von seinem Bandentreffen erzählt. Ein Mädchen in einer Jungenbande war unvorstellbar. Es war die erste Bandenregel, dass kein Mädchen aufgenommen werden durfte. Außerdem mussten Ort und Zeitpunkt der Treffen strikt geheim gehalten werden, insbesondere vor Mädchen. Thiemo ärgerte sich, dass es ihm herausgerutscht war. Merle wusste noch nichts von seiner Bande und fragte nun nach. Das war natürlich.
Thiemo antwortete zögerlich: „Ach nichts. Ich habe nur schon etwas anderes vor.“
Merle war neugierig geworden und hakte nach: „So, was denn?“
Thiemo versuchte sich herauszuwinden: „Nichts wichtiges. Nur so eben.“
Damit gab sich das Mädchen jedoch nicht zufrieden: „Wenn es nicht wichtig ist, dann können wir uns doch treffen. Nun sag schon, was es ist!“
„Das kann ich nicht sagen“, antwortete Thiemo. „Es geht einfach nicht. Sieh es bitte ein!“
Merle spürte, dass es Thiemo unangenehm war, darüber zu sprechen, und dass er deshalb etwas böse wurde. Daher gab sie sich geschlagen und sah von weiteren Fragen ab.
Sie sagte traurig: „Schade, dann eben nicht.“
Auch Thiemo war traurig, denn er hätte viel lieber etwas gemeinsam mit Merle unternommen. Vor dem Bandentreffen hingegen hatte er große Angst, da ihm noch nichts eingefallen war, womit er die Jungen aus seiner Bande beeindrucken konnte. Er durfte es sich keinesfalls erlauben, bei diesem Treffen zu fehlen. Dann würde er seinen Posten als Anführer sofort verlieren.
Zu Hause stocherte Thiemo lustlos in seinem Mittagessen herum und machte sich kurze Zeit später auf den Weg zum Hauptquartier. Als er unten im Treppenhaus angekommen war, glaubte Thiemo zu hören, dass in einem der Stockwerke über ihm eine Tür zugezogen wurde. Er blieb kurz stehen, um zu lauschen, hörte aber keine Schritte. Schnell stieß er die schwere Haustür auf und lief los. Er wollte auf keinen Fall zu spät zum Treffen kommen. Obwohl er den Schuppen noch kurz vor der vereinbarten Zeit erreichte, waren die anderen schon alle da und erwarteten ihn. Thorben hatte bei einem Schulfreund aus seiner Klasse zu Mittag gegessen und war direkt von dort gekommen.
Alle schauten erwartungsvoll Thiemo an. Thiemo wurde es ganz heiß, denn er hatte noch immer keine Idee, die er seinen Freunden mitteilen konnte.
Um Zeit zu gewinnen, fing er umständlich an: „Meine lieben Freunde, hiermit eröffne ich offiziell unser planmäßiges Bandentreffen. Wie ich sehe, sind alle Mitglieder anwesend, sodass wir voll beschlussfähig sind.“
Emilio fiel ihm ins Wort: „Lass den Unsinn! Gibt es nun etwas Neues, was wir machen können? Los erzähl schon!“
„Ja, erzähl es uns!“, stimmten die anderen mit ein.
Thiemo stockte. Er spürte, wie seine Hände feucht wurden und sich der Schweiß auf seiner Stirn sammelte. Alle hatten ihren Blick auf ihn gerichtet und erwarteten seinen Vorschlag. Thiemo versuchte nachzudenken, aber je mehr er sich konzentrierte, desto weniger fiel ihm ein. Er spürte, wie die anderen Jungen allmählich unruhig wurden. Thiemo wusste, dass alles für ihn auf dem Spiel stand. Er musste jetzt etwas sagen, irgendetwas. Aber sein Kopf war leer. Kein Gedanke kam ihm, der ihn hätte retten können. Ihm war klar, dass er nicht mehr länger Anführer seiner Bande sein würde, wenn es ihm nicht in diesem Moment gelang, seinen Freunden einen überzeugenden Vorschlag zu unterbreiten. Diese Schmach wollte er nicht ertragen. Daher unternahm er einen letzten verzweifelten Versuch.
Ohne zu wissen, was er sagen sollte, stammelte er unsicher: „Also, ja, ich habe mir Folgendes überlegt ...“
Weiter kam er nicht, denn vor der Schuppentür war ein Geräusch zu hören. Es war nicht laut, aber dennoch deutlich vernehmlich. Es war wie ein leises Knacken. Alle hatten es gehört und starrten mucksmäuschenstill wie gebannt zur Tür. Thiemo war zunächst froh, dass er vorerst gerettet war, da dieses Geräusch die anderen davon ablenkte, dass er noch keinen Plan hatte, mit dem er sie begeistern konnte. Langsam und leise ging er auf die Tür zu, fasste den Griff und riss die Tür mit einem Schwung auf. Thiemo glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Hinter der Tür stand Merle und schaute ihn erschreckt an. Sie musste ihm gefolgt sein, denn alleine hätte sie das Versteck nicht so schnell finden können. Im allerersten Augenblick freute sich Thiemo, sie wiederzusehen. Dann wurde ihm klar, dass sie ihn in eine unangenehme Lage gebracht hatte.
Noch ehe Thiemo einen sinnvollen Gedanken fassen konnte, fragte ihn Emilio: „Was will die denn hier? Hast du ihr etwa von unserem Treffen erzählt?“
Axel fügte hinzu: „Du weißt doch selbst ganz genau, dass hier bei uns keine Mädchen dabei sein dürfen.“
Thiemo war rot geworden und versuchte zu beschwichtigen: „Nein, ich habe ihr nichts gesagt. Ehrenwort.“
Mirko setzte nach: „Und das sollen wir dir glauben? Ich habe doch selbst gesehen, dass ihr beide heute in der Schule immer die Köpfe zusammengesteckt habt.“
„Das war doch nur wegen der Schulbücher, in die wir gemeinsam hineingucken mussten“, wand sich Thiemo.
Es war ihm bewusst, dass dieses Treffen entscheidend dafür war, ob er weiterhin Anführer der Bande bleiben konnte. Daher musste er so schnell wie möglich diese Situation klären. Thiemo wusste sich in dieser