Bittere Wahrheit…. Inge Elsing-Fitzinger
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Die Dämmerung war hereingebrochen. Eine halbleere Flasche Armagnac stand auf der Glasplatte des kapriziösen Ratharntisches. Alain drehte verloren sein Glas zwischen den Fingen. Die Vögel waren verstummt. Der Abendwind frischte auf. Ihn fröstelte. Wie eine Beichte formten sich vergangene Ereignisse in seinem Innern. Eine Beichte, die er sich selbst ablegte. Eine Rechtfertigung, die ihn frei sprechen sollte von einer Schuld, die er sich großteils selbst zuschrieb, in seiner unendlichen Trauer.
„Das Leben, das wir führten war seltsam genug. Ich begeisterte mich an deinen zärtlichen Umarmungen, deinen Küssen, deinen wollüstigen Schreien, wenn du dich selbst zur Ekstase triebst, mich mit dir fortbeamtest in eine lustvolle Traumwelt von erfüllendem Sex. Ich war dir verfallen mit Haut und Haar, mit Leib und Seele. Wie Wachs zerrann ich in deinen Armen, und du formtest mich einzig nach deinem Willen. Ich wurde hart und rücksichtslos gegen Freunde, ertappte mich, wie ich diese mitleidlos abwürgte, völlig unverdient und oft auch unnötig.“
Unwillig schüttelte er den Kopf. Nie wieder wollte er sich zum Scharlatan machen lassen. Beinahe feierlich hob er sein Glas: „Auf ein neues, besseres Leben, cher Alain.“
Im Herbst vor drei Jahren.
Marie-Louise holte Alain mit einem neuen Sportcabrio vom Büro ab. Am Rücksitz lag, völlig unbeachtet, ein sündteurer Leopardenmantel, hingeworfen wie ein Spielzeug, dem man keine besondere Bedeutung beimaß. Brillantklipse im Ohr, einen Brillantreif am Arm, war sie bestens gelaunt, angeregt und gesprächiger denn je. Völlig perplex hatte Alain erst sie, dann das schicke Gefährt angestarrt.
„Ein Geburtstagsgeschenk, cheri! Papa konnte es einfach nicht mehr mit ansehen, dass ich mit dem alten Vehikel herumkutschiere. Schließlich fällt es ja auf dich zurück, wenn die Leute mich lächelnd bedauern, was für ein armes Würmchen ich bin.“ Alains Innerstes bäumte sich auf. Ein fast neuer Audi, den ich für sie unter großen Entbehrungen zusammengespart hatte, ärgerte er sich.
Marie klapperte verführerisch mit den Augendeckeln, legte bittend ihre zarten Hände um seinen Hals. Aller Widerwille in ihm verflog, wie luftige Blätter im Sommerwind.
Maries Familie war von uraltem Adel. Während des Krieges nicht verarmt, sondern beträchtlich reicher geworden. Monsieur Philipe de Valloir hatte mit Waffen gehandelt, sich nach Kriegsende auf Küchengeräte aller Art umgestellt. Die Fabrik wuchs zu enormer Größe. Er thronte auf seinen Millionen, mit Stolz und unerschütterlichem Vertrauen.
Seine Gattin, eine Comtesse aus verarmtem, französischem Adel, residierte an seiner Seite. Huldvoll nahm sie Ovationen entgegen, ließ Handküsse über ihre, mit Edelsteinen voll bestückten Hände streifen. Meist sah sie streng und huldvoll in die Runde. Ihre scharfen Blicke taxierten jeden Einzelnen ihres Bekanntenkreises nach Exterieurs. Garderobe, Schmuck, Orden, Ränge, die sie im Geschäftsleben oder der Politik bekleideten. Je mehr Titel, umso gnädiger der Empfang. Charakter und Herzensbildung waren eher dritt- oder viertrangig. Seelengröße wurde von den Dimensionen der Bankkonten überwuchert.
Marie-Louise schien in den ersten Ehejahren diese, mehr als verachtenswürdigen Talente ihrer Mutter aufs trefflichste zu unterdrücken. Doch später wetteiferten die beiden Frauen eifrig, welche die Fähigere sei. In die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten, trieb sie zu Höchstleistungen an. Ihren Mann hielt sie wie eine Beute fest, rücksichtslos, sinnlich, drakonisch.
Schein und Sein.
Die erste Nacht nach dem schrecklichen Ereignis war dank Beruhigungstabletten überstanden. Unablässiges Klingeln an der Haustür schreckte Alain aus seinen Albträumen. Ein zorniger Blick streifte den Wecker. Halbelf Uhr morgens. Hastig stürzte er die Treppe hinunter. Vor der Tür stand Francois, eine Tüte in der einen, eine Flasche Milch in der anderen Hand.
„Lust auf ein gemeinsames Frühstück?“, lächelte er beinahe entschuldigend.
Alain schlürfte missmutig ins Bad. Duft von frischen Croissants und Kaffee erfüllte wenig später den Raum. Schwarz und heiß stürzte er die Brühe hinunter. Unvermittelt begann er zu sprechen. Francois lauschte überrascht. Die Stimme des Freundes klang seltsam entrückt, als spräche er mit sich selbst.
„War ich selbst schuld an meinem Dilemma, meiner Verzweiflung? Das düstere Wetter half sicher gehörig mit. Ich hatte es einfach nicht mehr ertragen neben Marie-Louise liegen zu bleiben, die sanft wie ein Engel in ihren Kissen schlummerte. Ein Teufel im Engelsgewand. Das seidige Nachthemd über ihren zarten Brüsten zusammen geschoben. Ich wollte sie küssen. Sie drehte sich im Schlaf zur Seite, wandte mir abweisend den Rücken zu. Wir hatten uns in den letzten Monaten so weit von einander entfernt, und ich liebte sie doch bedingungslos.“ Gebannt starrte er auf die leere Tasse in seiner Hand.
„Im Freien fühlte ich mich erleichtert. Hier verlachte mich keiner, lästerte niemand über meine hündische Abhängigkeit, in die ich mich stets wieder verlor, wenn ich in Maries Nähe war.
Missmutig stapfte ich durch das feuchte Gras in den Nebel hinaus. Dieses graue Osterwetter passte perfekt zu meiner morbiden Stimmung. Die Prognose für die Feiertage war vielversprechend gewesen. Das hatte uns dazu bewogen, die Festtage auch dieses Jahr bei Bekannten, in der Nähe von Paris auf Schloss Vallouchon zu verbringen. Ein herrlicher Besitz. Grauer Granitstein, riesige Erkerfenster mit bleiverglasten Puzzenscheiben, die im Sonnenlicht einen geisterhaften Zauber verstrahlten. Die gekachelte Halle über zwei Stockwerke hätte bequem eine Zirkustruppe aufnehmen können“. Ein mokantes Lächeln begleitete Alains Gestammel.
„Am faszinierendsten allerdings fand ich diesen traumhaft verwilderten Wald, der das Prunkhaus umgab. Er hatte mich schon im Vorjahr beeindruckt. Damals hätte ich bereits Bernards Bedenken ernst nehmen sollen“, stöhnte er missmutig.
„Bernard schien ehrlich schockiert. Unverholener Zweifel lag in seiner Stimme, den ich völlig ignorierte. Marie-Louise wollte ein verlängertes Wochenende fern vom Großstadttrubel verbringen, und ich, verliebt und stets bemüht ihr alle Wünsche von den Augen abzulesen, willigte ein.
„Warum sollten wir nicht da hinaus fahren“, hatte ich Bernard überrascht gefragt. Cléo, die Tochter des Hauses, war Marie-Louises Freundin. Sie hatte uns herzlich eingeladen.“
„Schon recht, reg dich nicht gleich wieder auf. Du bist in letzter Zeit so leicht reizbar, mon cher“, hatte Bernard mit einiger Besorgnis in der Stimme damals gemeint. „Sollte es dir tatsächlich gefallen, kannst du natürlich noch einen Tag anhängen. Die Firma wird nicht gleich in Konkurs gehen, wenn du einmal nicht da bist“. Alain hob kurz den Kopf. Ein versonnenes Lächeln umspielte seine Lippen.
„Wir verbrachten tatsächlich ein herrliches Wochenende, das sich noch in die halbe darauf folgende Woche hinzog. Interessante Leute waren gekommen, mit denen ich wieder einmal nach Herzenslust Golfen konnte. Die Liebesnächte waren umwerfend. Marie-Louise war bezaubernd, verführerisch, wie schon lange nicht. Auch die Familie, die uns mit berauschender Gastfreundlichkeit aufgenommen hatte, erschien mir reizend und charmant. Obwohl der Hausherr stets mit brutaler Unlogik um sich warf, wie die meisten Leute, die mächtig und reich genug sind, stets das zu bekommen, was sie wollen.“
Alain war aufgestanden, schenkte sich einen großen Armagnac ein.
„Als ich am Abend unserer diesjährigen Abfahrt völlig übermüdet heimkam, saß Marie vor dem Schminktisch. Er quoll ebenso über von Tuben, Tiegeln, Dosen und Fläschchen, wie die gläsernen Wandregale, die sie akribisch mit immer neuen Schminkkreationen füllte. Die offene Lederkassette ihrer gierig gehorteten Preziosen stand griffbereit. Der seidene Bademantel lässig geschnürt, gab ihre schlanken Beine frei. Seit