Bittere Wahrheit…. Inge Elsing-Fitzinger
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„Entschuldigen sie. Ich bin so verwirrt. Ich wollte sie nicht beleidigen“, versuchte ich meinen Fehler wieder gut zu machen.
„Das macht doch nichts. Wenn es ihnen Spaß macht, können sie mich ruhig weiter duzen. Alle Menschen duzen mich. Ich weiß auch nicht warum.“
Sie sagte es mit solch kindlichem Leichtmut, dass ich richtig fröhlich wurde. Aus dem Radio dröhnte der Wetterbericht. Schlagartige Aufhellung, Temperaturanstieg. Nachmittags Sonnenschein.
„Fein“, hörte ich die zarte Stimme neben mir. „Dann werden es doch noch richtige Ostern.“
„Wo wollen sie hin? Wo darf ich sie absetzen?“
„Ach bitte, duzen sie mich weiter, das klingt so freundlich. Dann komme ich mir gleich nicht mehr so verlassen vor.“
Ihre Worte klangen kläglich. Hatte man auch sie gekränkt und beleidigt? Ich hatte sie nicht bemerkt in den vergangenen Tagen. Wo hatte sie gesteckt? Was hatte sie nach Vallouchon verschlagen? Sie sprach ein wunderschönes, fast perfektes Französisch, war aber Ausländerin.
„D’accord! Ich heiße Alain.“
„Merci“, flüsterte sie. „Ich heiße Isabelle!“ Gleich darauf fiel sie wieder in lethargisches Schweigen. Sie hatte etwas unglaublich Beruhigendes, strahlte Wärme aus, die ich schon lange nicht mehr gefühlt hatte.
„Was machst du in Paris? Studierst du da? Wo wohnst du?“
„Ich wohne noch nirgends. Ich weiß auch noch nicht, was ich machen werde. Ich war noch nie in Paris.“
„Woher kommst du denn?“ Ich kam mir richtig lästig vor, doch dieses seltsame Geschöpf hatte meine Neugierde geweckt.
„Von weit her“, lispelte sie verträumt. „Ich hoffte mein Ziel endlich gefunden zu haben. Hier wollte ich gerne bleiben.“
„Mal sehen“, lachte ich überrascht, und trat erneut aufs Gas. Wir erreichten die Vororte von Paris. Ich hatte noch immer nicht das Geringste über sie erfahren. Nicht einmal, wohin ich sie bringen sollte. Paris ist groß.
„Na, wohin fahren wir jetzt?“
„Ich weiß nicht! Ich habe nichts vor. Ich liebe Überraschungen! Entschuldigen sie, wenn das aufdringlich geklungen hat“, hörte ich ihre Stimme wieder, „…aber ich habe wirklich keine Ahnung, wo ich hin soll. Nach den Feiertagen werde ich weitersehen. Ich bin alleine, muss für mich selbst sorgen.“
Was mich plötzlich dazu bewog sie einzuladen, weiß ich bis heute nicht.
„Meine Frau kommt erst nach den Feiertagen zurück. Wenn du willst und mir vertraust, kannst du die ersten Nächte in meinem Haus verbringen. Wir werden dann gemeinsam ein Zimmer für dich suchen. Einverstanden?“
Francois pfiff erheitert durch die Zähne. „Du hast dich ja mächtig ins Zeug gelegt. Hätte ich dir gar nicht zugetraut, du alter Schwerenöter!“
Alain lächelte. „Was sollte ich mit diesem jungen Mädchen? Ich hatte ja nicht die geringste Absicht, meine Marie zu betrügen. Wenn sie es auch vielleicht seit Monaten oder Jahren selbst tat. Ich blieb ein unverbesserlicher Träumer.
„Das ist aber sehr nett von ihnen. Sie sind der erste freundliche Mensch, der mir seit langem begegnet ist.“ Ihr Mona Lisa- Lächeln rührte mich. Bewegungslos saß sie da, abwartend. Die Scheibenwischer säuberten in monotonem Rhythmus die große Windschutzscheibe. Wir schwiegen uns einträchtig an, bis ich vor der Einfahrt meines Hauses hielt.
„Darf ich wirklich mitkommen?“, fragte sie noch einmal zögernd. Ich nickte. Ungestüm hüpfte sie aus dem Wagen, schwang die Tasche über die Schulter. Sie wirkte richtig erleichtert. Das erste Mal lachte sie entspannt und glücklich. Auch ich fühlte mich sonderbar froh.
Unschuldsvoll, benahm sie sich dennoch sicher, überraschend beherrscht, wie Marie einst, als ich sie kennen lernte. Ich war beeindruckt. Sie stellte ihre Tasche im Vorzimmer ab, hängte den Mantel auf und eilte zielstrebig in die Küche.
„Ich werde uns Kaffee kochen, den können wir beide sicher gut gebrauchen.“ Kurz darauf hörte ich sie herumwerken. Scheinbar fand sie mühelos alles Nötige. Eine Rolle Zwieback stand auf der Anrichte. Preiselbeermarmelade. Wer war das Mädchen?
Während ich noch leicht aufgewühlt, dennoch sehr zufrieden nicht alleine zu sein, eine Schallplatte auflegte, kam sie mit duftendem Kaffee ins Wohnzimmer spaziert. Alles schien selbstverständlich. Dann saßen wir einander still gegenüber. Sie schenkte Kaffee ein, gab etwas Sahne dazu, drei Stück Zucker, obwohl ich keinen Ton gesagt hatte. Lächelnd reichte sie mir die Tasse. Immer wieder strahlten mich ihre Bernsteinaugen an. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, sie von irgendwoher zu kennen.
„Kommst du überhaupt von dieser Erde?“, fragte ich scherzend. Einen Augenblick lang wurde sie ganz ernst. Dann zwinkerte sie mir unter ihren langen Wimpern zu, und deutete mit zarten Fingern auf den ungeschminkten Mund.
„Was du für Fragen stellst? Tut man das!“
Auch eine Antwort. Sie duzte mich plötzlich, und ich fand auch das charmant. Seelenruhig ließ sie sich mein Anstarren gefallen, wurde weder verlegen noch zierte sie sich. Sie war beglückend natürlich, strahlte eine tiefe, innere Schönheit aus, die mich überwältigte. Ihre kurzen, dunklen Haare standen verstrubbelt nach allen Seiten ab. Selbst das wirkte anziehend. Selten war es mir gegönnt so behaglich mit jemandem beisammen zu sitzen.“
Alain hatte sein Glas nachgeschenkt. Mit Tränen umflortem Blick schaute er in die Vergangenheit, träumte von einer nie wiederkehrenden Zweisamkeit mit seiner einst so geliebten Frau.
„Ein kräftiges Posaunensolo hallte durch den Raum. Fanfaren des jüngsten Gerichtes dröhnten aus den Lautsprechern. Isabelle saß reglos, mit halb geschlossenen Augen da. Wir lauschten der herrlichen Musik. Verklärt. Überirdisch. Plötzlich schrillte das Telefon.
„Du bist mir ja ein feiner Kavalier. Lässt mich einfach hier sitzen!“ Maries hektische Stimme, maßlos frustriert, beleidigend. Ich hielt den Hörer weit ab vom Ohr, ließ das wohlbekannte Geschnatter über mich ergehen. Ihren Redeschwall zu unterbrechen wäre ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen.
„Du hast mich verlassen Alain, ist dir das klar!“ Du warst fort, lange bevor ich dich heute verlassen habe, dachte ich resigniert. Weiß Gott, was sie alles in die Muschel brüllte. Sie klagte, zeterte, zischte zynisch – schließlich legte sie geräuschvoll auf.
Mehrere Stunden waren vergangen. Ich holte eine zweite Flasche Bojaulais aus dem Keller. Wir hörten bereits die dritte Symphonie. Keine Spur von Langeweile auf den Zügen meines Gastes. Mit großer Begeisterung fieberte sie immer neuen Passagen entgegen, war begeistert.
„Gehen wir gemeinsam essen? Hast du Lust?“
„Ja gerne“, rief sie erfreut. Gleich darauf etwas zögerlich: „Aber wird man es nicht anstößig finden, wenn du mit einer fremden Frau in der Öffentlichkeit aufkreuzt?“
„Marie war selten dabei, wenn du dich erinnerst Francois, die hatte stets andere Verpflichtungen“. Boshaft und gekränkt skandierte er jede einzelne Silbe.
„Hast du Bedenken? Sollen wir uns etwas bringen lassen?“
„Mais